dbb-Chef Dauderstädt: „Gewalt spielt im Öffentlichen Dienst eine immer größere Rolle“

Interview von Peter Berger mit dem dbb Bundesvorsitzenden Klaus Dauderstädt im Kölner Stadt-Anzeiger vom 9. Januar 2017.

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Herr Dauderstädt, warum befasst sich der Beamtenbund bei der Jahrestagung in Köln mit der Zukunft Europas, wo es außerhalb Deutschlands gar keine Beamten gibt?

 

Wir haben uns immer schon mit Europa beschäftigt, zum Beispiel Themen wie Finanzsicherheit oder Arbeitslosigkeit sehr ernst genommen. Aber das wird bei der Tagung in Köln nicht mein wichtigstes Thema sein.

 

Was dann?

 

Es geht mir vor allem um das Thema Gewalt, das auch im Öffentlichen Dienst leider eine immer größere Rolle spielt.

 

Wie äußert sich das?

 

Früher beschränkte sich das auf Bereiche, die wir als latent konfliktreich bezeichnet haben. Dazu gehören die Vollzugsdienste von Polizei und Justiz, der Zoll, und dort vor allem die Schwarzarbeitskontrollen. Aber wir haben festgestellt, dass inzwischen immer mehr kommunale Verwaltungen mit Gewalt konfrontiert werden. Die Jobcenter zum Beispiel. Die Mitarbeiter dort haben es immer häufiger mit empörten, aufgebrachten und aggressiven – ich nenne sie mal – Kunden zu tun. Wenn eine Verwaltung einen Wunsch des Bürgers nicht erfüllen kann, endet das immer öfter in aggressiven Handlungen. Die Übergänge zwischen verbaler und physischer Gewalt sind längst fließend. Das beschäftigt uns sehr.

 

Lässt sich das nachweisen?

 

In den Polizeistatistiken schon. Aber in großen Bereichen von Verwaltungen eben leider nicht. Wir haben sogar die Erfahrung gemacht, dass viele Vorgesetzte in den Dienststellen von Ämtern Betroffenen von einer Strafanzeige abraten, weil sie den guten Ruf ihres Hauses nicht gefährden wollen. Das gilt vor allem für die Schulen. Das hat eine repräsentative Umfrage ergeben, die unser Verband für Bildung und Erziehung gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa kürzlich durchgeführt hat.

 

Mit welchem Ergebnis?

 

Mehr als 45.000 Lehrer an allgemeinbildenden Schulen sind schon einmal tätlich angegriffen worden. Das sind sechs Prozent aller Lehrer. Und zwar nicht nur von Schülern, sondern auch von Eltern.

 

Was sind die Ursachen?

 

Wir sehen einen Zusammenhang zwischen der Verrohung der deutschen Sprache, einem Niveauverlust in der Kommunikation und dem Übergang von verbaler in physische Gewalt. Da findet gerade ein grundlegender Wandel statt. Dazu gehört auch die Entmenschlichung und Anonymisierung von Kommunikation in den sozialen Medien. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das sich natürlich auch im Öffentlichen Dienst auswirkt. Der Staat muss das Gewaltmonopol haben.

 

Ein Gerichtsvollzieher sollte nicht Angst haben müssen, wie in Karlsruhe bei einer Pfändung erschossen zu werden. Diese Fälle sind extrem, aber es hat sie gegeben. Oder denken Sie an das Tötungsdelikt im Jobcenter in Neuss oder den Finanzbeamten in Schleswig-Holstein, der mit einem Messer attackiert wurde.

 

Was wollen Sie dagegen tun?

 

Darüber werde ich in Köln mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière und DGB-Chef Rainer Hoffmann reden. Wir wollen für den gesamten Öffentlichen Dienst 2017 eine gemeinsame Aktion starten, um das Thema in den Mittelpunkt zu rücken.

 

Im Vergleich zur freien Wirtschaft schlecht bezahlt, jetzt noch das Gewaltproblem. Und dann die Frage, ob die Pensionsrücklagen reichen. Warum soll man da noch Beamter im Öffentlichen Dienst werden?

 

Wenn der Öffentliche Dienst attraktiv bleiben will, muss er entsprechend finanziert werden. Dazu gehört eine angemessene Lohnentwicklung. Die Verhandlungen mit den Ländern beginnen gerade. Unsere Gesamtforderung liegt bei sechs Prozent. Wir müssen die sozialen Sicherungssysteme für die Beamten erhalten. Nachwuchs für Polizei, Schuldienst und Finanzverwaltung zu gewinnen gelingt nur, wenn wir die Beihilfe weiterhin in Aussicht stellen können. Das gilt auch für die Altersversorgung. Da hat die öffentliche Hand nicht rechtzeitig Vorsorge getroffen.

 

Deshalb müssen immer größere Anteile der Haushalte für das Personal inklusive der Ruhegehälter ausgewiesen werden. Deshalb begrüßen wir es, dass die Politik Rücklagen geschaffen hat, die Pensionskosten zum Teil zu übernehmen, bei neu ernannten Beamten sogar komplett.

 

Die Beamtenpensionen liegen deutlich über der normalen Rente, die liegt bei 1176 Euro, die Bruttopension zwischen 2400 und 3070 Euro.

 

Der Vergleich hinkt, weil zwei Drittel der Beamten eine akademische Ausbildung haben. Nimmt man bei den Rentnern nur diese Gruppe heraus, sieht das schon anders aus. Die Beamtenversorgung ist eine Gesamtversorgung. Da gibt es keine Betriebsrenten oder private Altersvorsorge wie bei klassischen Arbeitnehmern.

 

Dieses Drei-Säulen-Modell funktioniert doch längst nicht mehr.

 

Sie sagen es. Deshalb wollen wir mit Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und den Gewerkschaften einen Rechtsanspruch auf eine Betriebsrente durchsetzen. Auch wenn das für kleine und mittlere Betriebe ein großes Problem ist. Und Menschen, die später einmal von Altersarmut bedroht sein könnten, haben auch nicht das Geld für einen Riester-Renten-Vertrag. Die brauchen jeden Euro für die Lebenshaltung.

 

Was ist mit den modernen digitalisierten Arbeitswelten?

 

Das ist ein Riesenproblem. Diese Menschen leben oft in selbstständigen und scheinselbstständigen Arbeitsverhältnissen. Die können gar nichts ansparen für ihr Alter.

 

Wie kann man da gegensteuern?

 

Wir müssen eine Pflicht zur Altersvorsorge einführen mit solidarisch finanzierten Schutzregelungen für alle, die sich das nicht leisten können. Wie bei der Kranken- und Pflegeversicherung. Das erhöht die Arbeitskosten, wäre aber ein probates Mittel gegen Altersarmut.

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