dbb magazin 4/2025

dbb magazin Gewalt gegen Beschäftigte | Gefährlicher Alltag Interview | Dr. Jonas Rees, Professor für Politische Psychologie dbb talk | „Man macht sich schon gar nicht mehr bewusst, wie oft man bedroht wird …“ 4 | 2025 Zeitschrift für den öffentlichen Dienst

STARTER Gewaltprävention muss Chefsache sein Die Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft nimmt zu – und das oft wegen Nichtigkeiten. Beschäftigte im öffentlichen Dienst erleben täglich, wie kurz die Zündschnüre geworden sind: Einsatzkräfte werden attackiert, Verwaltungsmitarbeiter bedroht, Rettungskräfte bei ihrer Arbeit behindert. Die Gründe sind vielfältig: Der weltweite Rückbau demokratischer Strukturen geht einher mit der Erosion gesellschaftlicher Werte. Soziale Medien verstärken die Polarisierung, treiben Menschen in Meinungsblasen und radikale Positionen. Respekt und Toleranz weichen Frustration und Aggression. Diese Entwicklung erfordert eine doppelte Antwort. Einerseits müssen wir dringend darüber diskutieren, wie wir zusammenleben wollen – und dabei auch die Ursachen dieser Verrohung analysieren. Andererseits braucht es besseren Schutz für die Beschäftigten, die Gewalt ausgesetzt sind. Niemand wünscht sich Sicherheitsdienste in Ämtern oder Panikknöpfe an Schreibtischen. Aber wo solche Maßnahmen nötig sind, müssen sie finanziert und umgesetzt werden. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst erwarten zu Recht, dass ihre Arbeitgeber und Dienstherren sie nicht alleinlassen, sondern ihnen Rückhalt geben. Gewaltprävention darf keine Randnotiz sein – sie muss zur Priorität auf Führungsebene werden. br 18 5 12 TOPTHEMA Gewalt gegen Beschäftigte 24 AKTUELL EINKOMMENSPOLITIK Tarifstreit geht in die Schlichtung: „So viel Verweigerung war nie“ 4 Warnstreiks und Proteste: Starke Auftritte für den öffentlichen Dienst 5 FOKUS DOSSIER GEWALT GEGEN BESCHÄFTIGTE Gesetzliche Unfallversicherung: Gewalt bei der Arbeit bleibt ein Problem 8 Gewalttaten gegen Polizeikräfte: Erschreckend hohe Fallzahlen 10 dbb talk: „Man macht sich schon gar nicht mehr bewusst, wie oft man bedroht wird …“ 12 Gewalt gegen Beschäftigte: Initiativen für mehr Sicherheit 16 INTERVIEW Prof. Dr. Jonas Rees, Universität Bielefeld: Härtere Strafen für Gewalttäter reichen nicht 18 ONLINE Cybermobbing: Überall vernetzbar, überall verletzbar? 20 NACHGEFRAGT Netzwerk sicher im Dienst: „Machen Sie das Thema zum Thema!“ 22 REPORTAGE Unterwegs mit dem Zoll am Hamburger Hafen: Wie sich Beamte gegen Schmuggler schützen 24 INTERN BERUFSEINSTEIGER Neuordnung der Ausbildung der Justizfachangestellten: Modern und zukunftsfähig für einen starken öffentlichen Dienst 29 SENIOREN Hauptversammlung der dbb bundesseniorenvertretung: Gegen Ageismus, für gutes Altern 33 SERVICE Impressum 41 KOMPAKT GEWERKSCHAFTEN 42 © Denny Müller/Unsplash.com AKTUELL 3 dbb magazin | April 2025

EINKOMMENSPOLITIK Tarifstreit geht in die Schlichtung „So viel Verweigerung war nie“ dbb Verhandlungsführer Volker Geyer hat das Scheitern der Einkommensrunde für die Beschäftigten von Bund und Kommunen am 17. März 2025 in Potsdam kritisiert. Die Arbeitgeberseite hatte nach vier Tagen zäher Verhandlungen die Schlichtung angerufen. Bund und Kommunen haben einen Kompromiss mit viel Verzögerung und destruktiver Energie verhindert. Mit dieser Taktik verärgern und demotivieren die Arbeitgebenden ihre Beschäftigten und schwächen die Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Dienstes auf dem Arbeitsmarkt“, so der dbb Vize. Es sei richtig, wenn Bund und Kommunen darauf hinwiesen, dass die Sanierung der maroden Infrastruktur der Bundesrepublik viel Geld kostet. „Aber klar ist doch auch: Die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst sind unverzichtbarer Teil dieser Infrastruktur. Brücken, Straßen, Kitas, Schwimmbäder, Bibliotheken oder Krankenhäuser: nichts funktioniert ohne ausreichend Personal. Ohne faire Bezahlung und attraktive Arbeitsbedingungen wird das aber weder zu gewinnen noch zu halten sein.“ An der von Bund und Kommunen angerufenen Schlichtung werde sich der dbb konstruktiv beteiligen, so Geyer. Allerdings stehen die Schlichter vor einer extrem schwierigen Aufgabe: „Die Vielzahl der aufgetretenen Konflikte zu lösen, ist eine riesige Herausforderung. Zunächst muss aber zwischen den divergierenden Interessen und Positionen innerhalb der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände geschlichtet werden. Erst dann hat auch eine Schlichtung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebenden eine reale Chance.“ Zwei Schlichter sollen versuchen, die Tarifpartner zu einem Kompromiss zu bewegen: für die Arbeitgeberseite der ehemalige Ministerpräsident von Hessen, Roland Koch, und für die Arbeitnehmerseite der Professor für Verwaltungswissenschaften und ehemalige Staatsrat beim Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen, Henning Lühr. Koch könnte als stimmberechtigter Schlichter am Ende den Ausschlag geben. Nach der Schlichtung wird es eine weitere Verhandlungsrunde geben, in der der Schlichterspruch angenommen, modifiziert oder abgelehnt werden kann. Andreas Hemsing, dbb Vize und stellvertretender Vorsitzender der dbb Bundestarifkommission, sieht in der Schlichtung eine Chance. Er weist aber auch darauf hin, dass ein Arbeitskampf nach der Schlichtung unausweichlich werden könnte, „falls der Schlichterspruch weit weg von unseren Erwartungen ist“. _ Festgefahrene Gespräche: Auch die dritte Verhandlungsrunde brachte keinen Durchbruch. Volker Geyer sprach zum Verhandlungsauftakt zu den Demonstrierenden in Potsdam. © Friedhelm Windmüller (2) 4 AKTUELL dbb magazin | April 2025

Warnstreiks und Proteste Starke Auftritte für den öffentlichen Dienst Tausende Mitglieder der dbb Gewerkschaften haben ihren Protest gegen die schleppend verlaufenden Tarifverhandlungen vor der dritten Runde auf die Straßen der Republik getragen. Ob in der Bundesagentur für Arbeit oder in der Kommunalverwaltung – überall fehlt das Personal“, mahnte dbb Verhandlungsführer Volker Geyer am 20. Februar 2025 vor der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg auf einer Kundgebung mit rund 700 Teilnehmenden. „Die Beschäftigten stehen unter enormem Druck und müssen eine stetig wachsende Arbeitslast bewältigen. Die Politik überträgt ihnen ständig neue Aufgaben – ohne Rücksicht auf die Belastungsgrenze. Von den Kolleginnen und Kollegen wird dabei Flexibilität erwartet, doch wenn es um eine faire Bezahlung geht, zeigen sich die Arbeitgebenden maximal unflexibel und flüchten sich in Ausreden. Das hat mit echter Wertschätzung nichts zu tun!“ Betroffen von der Tarifrunde ist auch die Autobahn GmbH des Bundes, denn die dort geltenden Entgelttabellen sind an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) des Bundes gekoppelt. Deshalb demonstrierten Beschäftigte aus den Reihen der VDStra. am 25. Februar 2025 vor der Zentrale der Autobahn GmbH in Berlin. Die dbb Mitgliedsgewerkschaft VDStra. ist die Fachgewerkschaft der Straßen- und Verkehrsbeschäftigten. Deren Bundesvorsitzender Hermann-Josef Siebigteroth warnte vor weiteren Sparmaßnahmen: „Wir fahren unsere Infrastruktur seit Jahren auf Verschleiß. Es muss endlich investiert werden. Und zwar in beides: Beton und Beschäftigte.“ Personal unter Druck „Wir stehen heute hier mit über 1 000 Beschäftigten und kämpfen für eine faire Bezahlung und einen funktionstüchtigen öffentlichen Dienst“, betonte dbb Vize und Bundesvorsitzender der komba gewerkschaft, Andreas Hemsing, am 25. Februar 2025 auf einer Kundgebung in Bonn. Für das Argument prekärer Finanzen © Friedhelm Windmüller © Friedhelm Windmüller © Roberto Pfeil © Friedhelm Windmüller dbb Verhandlungsführer Volker Geyer am 12. März in Bochum. Volker Geyer am 20. Februar in Nürnberg. Protest zur Karnevalszeit am 25. Februar in Bonn: gerne auch ein bisschen jeck. komba Mitglieder am 25. Februar in Düren. AKTUELL 5 dbb magazin | April 2025

der Arbeitgeber hatte er wenig Verständnis: „Den Spruch über die leeren Kassen kennen wir – den hören wir in jeder Tarifrunde. Aber dass sich die Arbeitgebenden nur um die Belastung der Kommunen sorgen, zeigt, dass ihnen die Belastungen ihrer Beschäftigten wohl egal sind.“ Am 26. Februar gingen Beschäftigte in Fulda, München, Müllheim bei Freiburg und in Wuppertal auf die Straße. „Ohne die Beschäftigten ist kein öffentlicher Dienst möglich. Alarmierend ist, dass die Belastung durch die Arbeitsverdichtung zu mehr gesundheitlichen Problemen und einem früheren Rückzug aus dem Arbeitsleben führt. Wer mit leeren Kassen argumentiert, verstärkt das Problem, anstatt es zu lösen“, sagte Heini Schmitt, Landesvorsitzender des dbb Hessen in Fulda. „Es ist offensichtlich, dass beim öffentlichen Dienst angesichts der anstehenden Pensionierungen und des allgemeinen Fachkräftemangels eine enorme Personallücke klafft. Da wird es schwierig, allen Aufgaben gerecht zu werden“, so der Vorsitzende des Bayerischen Beamtenbundes (BBB), Rainer Nachtigall. In München hatten sich mehrere Hundert Betroffene versammelt, um vor dem Gebäude des Kommunalen Arbeiterverbands zu demonstrieren. In Müllheim bei Freiburg bestreikten Mitglieder des Verbands der Arbeitnehmer der Bundeswehr (VAB) die Robert-SchuhmannKaserne. Thomas Zeth, stellvertretender Bundesvorsitzender des VAB, kritisierte die Verweigerungshaltung der Arbeitgeberseite: „Ständige Mehrarbeit, steigende Lebenshaltungskosten sowie langjährige Lohnzurückhaltung stehen auf dem Konto der Arbeitnehmer.“ Wie ernst die Lage ist, machte Sandra van Heemskerk, Landesvorsitzende der komba gewerkschaft nordrhein-westfalen, in Wuppertal deutlich: „In vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes ist es fünf vor zwölf. Die Beschäftigten sind bereits an der Belastungsgrenze und es kommen ständig neue Aufgaben obendrauf.“ Zeitbombe Demografie Bei einer Demonstration am 4. März 2025 in Hannover machten über 1 200 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes ihrem Frust über die Haltung der Arbeitgebenden Luft. Die Kundgebung auf dem hannoverischen Kröpcke startete symbolisch um fünf vor zwölf. Damit wollten die Beschäftigten auf ihre prekäre Situation aufmerksam machen, erklärte Alexander Zimbehl, Landesvorsitzender des dbb niedersachsen: „Die Beschäftigten haben große Schwierigkeiten, die immer größer werdende Aufgabenlast zu bewältigen. Gleichzeitig tickt die Uhr des demografischen Wandels: In den nächsten zehn Jahren wird ein Viertel der Beschäftigten altersbedingt aus dem Dienst ausscheiden. Die Politik muss diese Schieflage bestehend aus mehr Arbeit bei weniger Personal unverzüglich beheben.“ © Lucas Pompino © Jan Brenner © Andreas Gebert © Anne Oschatz © Jan Brenner © Kim Laubner Keine Schönwetter-Demonstranten: Protestzug am 26. Februar in Wuppertal. vbob Mitglieder rührten ihre Trommel am 3. März in Berlin vor dem Gebäude des Bundesnachrichtendienstes. Lautstarker Protest am 7. März in Freiburg. In Kiel forderten Beschäftigte am 6. März mehr Wertschätzung für ihre Arbeit. Zusammenhalt und kreativer Protest am 26. Februar in München. Berliner in der VDStra.-Hausfarbe gab es am 25. Februar in Berlin für Beschäftigte der Autobahn GmbH. 6 AKTUELL dbb magazin | April 2025

Leistungsstark, aber schlecht bezahlt? Am 6. März 2025 demonstrierten fast 3 000 Beschäftigte in Kiel gegen die Blockadehaltung der Arbeitgebenden. Matthäus Fandrejewski, Bundesvorsitzender der dbb jugend, machte deutlich: „Der öffentliche Dienst darf bei der Berufswahl für Jugendliche nicht zur zweiten Wahl hinter der Privatwirtschaft werden. Wir bieten sinnstiftende und erfüllende Arbeit. Die Arbeitgebenden müssen jetzt dafür sorgen, dass diese Leistung auch entsprechend bezahlt wird.“ Der Landesvorsitzende des dbb schleswig-holstein, Kai Tellkamp, forderte: „Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich auf den öffentlichen Dienst verlassen können. Das funktioniert aber nur, wenn sich die Beschäftigten auf Entlastung und faire Einkommen verlassen können.“ Mehrere Hundert Betroffene protestierten am 7. März 2025 in Freiburg und warnten vor den Folgen ausbleibender Investitionen in den öffentlichen Dienst. Der Vorsitzende des BBW, Kai Rosenberger, sagte: „Mit dem demografischen Wandel werden in den Kommunen bis 2035 mehr als 30 Prozent des heutigen Personals aus dem Dienst ausscheiden. Gerade vor Ort, wo es um die alltäglichen Belange der Bürgerinnen und Bürger geht, können wir uns ein Ausbluten des öffentlichen Dienstes aber nicht leisten.“ Vertrauensbruch im Beamtenbereich Kurz vor der dritten Verhandlungsrunde zogen Beschäftigte am 7. März vor das Bundesministerium des Innern in Berlin. Auf der Abschlusskundgebung forderten sie faire Löhne statt leerer Versprechen. Thomas Liebel, Bundesvorsitzender der BDZ Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft, kritisierte Ignoranz und gebrochene Versprechen auf der Arbeitgeberseite: „Viel zu lange wurden Beamtinnen und Beamte von den Dienstherren systematisch schlechtergestellt. Es wurde bis zur Verfassungswidrigkeit gespart und gekürzt. Das ist nicht nur ein Rechtsbruch, sondern auch ein historischer Vertrauensbruch!“ In Nordrhein-Westfalen kam es am 12. März 2025 landesweit zu Warnstreiks. 10 000 Beschäftigte nahmen außerdem an einer zentralen Demonstration in Bochum teil. Maik Wagner, dbb Vize und Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Sozialversicherung (GdS), betonte: „Um die vorhandenen Fachkräfte zu halten und Nachwuchskräfte zu gewinnen, brauchen wir nicht nur höhere Einkommen – ein Volumen von acht Prozent, mindestens 350 Euro mehr –, sondern auch mehr Entlastung durch zusätzliche freie Tage und mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit.“ Für attraktive Arbeitsbedingungen und einen starken öffentlichen Dienst gingen am 13. März rund 1 700 Beschäftigte auf die Straße. „Die Kommunen brauchen dringend eine große Personaloffensive, damit der öffentliche Dienst an Attraktivität gewinnt, durch flexible Arbeitszeitmodelle etwa. Gutes Personal muss gehalten, neues gewonnen und die Zufriedenheit unserer Kolleginnen und Kollegen wiederhergestellt werden“, stellte Adi Abt, Vorsitzender der komba gewerkschaft bayern, klar. _ Mehr Bilder und Infos zur Einkommensrunde unter dbb.de/einkommensrunde Hintergrund © Jan Brenner © Friedhelm Windmüller © Luca Scheuring © Dirk Guldner © Jan Brenner Beschäftigte des Nahverkehrs demonstrierten am 11. März vor der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) in Berlin. Beschäftigte zogern am 7. März vor das Bundesministerium des Innern in Berlin. Rasseln und Pfeifen am 12. März in Saarbrücken. Mitglieder der GdS am 13. März in Bad Steben. Rote Karten für die Arbeitgeber am 12. März in Bochum. AKTUELL 7 dbb magazin | April 2025

DOSSIER GEWALT GEGEN BESCHÄFTIGTE Gesetzliche Unfallversicherung Gewalt bei der Arbeit bleibt ein Problem Gewalt ist ein Problem. Betriebe und Einrichtungen sind dem aber nicht ausgeliefert, sie können etwas dagegen tun. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) Rund ein Drittel der abhängig Beschäftigten mit häufigem Kundenkontakt oder Patientinnen hat in den vergangenen zwölf Monaten verbale Übergriffe bei der Arbeit erlebt. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die die forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen mbH im Auftrag der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) durchgeführt hat. Besonders betroffen sind nach der Online-Umfrage das Gesundheits- und Sozialwesen sowie die öffentliche Verwaltung. Hier gab mehr als die Hälfte der Befragten an, von mindestens einem verbalen Übergriff betroffen gewesen zu sein. In den Branchen Verkehr, Handel und Erziehung berichteten mehr als ein Drittel der Befragten über entsprechende Vorkommnisse. Psychische Gewalt dominiert Wie verbreitet ist Gewalt bei der Arbeit? Die Statistiken liefern ein gemischtes Bild: Zwischen 9 000 und 13 000 meldepflichtige Arbeitsunfälle pro Jahr gehen auf Gewalteinwirkung zurück. Nach einem pandemiebedingten Rückgang stieg ihre Zahl zuletzt wieder an. Die Statistik der gesetzlichen Unfallversicherung zeigt jedoch nur einen Ausschnitt des Geschehens. Meldepflichtig ist ein Arbeitsunfall erst, wenn er zu mehr als drei Tagen Arbeitsunfähigkeit führt. Psychische Gewalt wie Beleidigungen oder Bedrohungen erfasst die Statistik häufig nicht. „Unsere Umfrage macht diese Formen von Gewalt sichtbar“, sagt Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der DGUV. Um ein aktuelles Bild zu gewinnen, befragte forsa vergangenen November und Dezember 2 512 zufällig ausgewählte abhängig Beschäftigte, die bei der Arbeit häufig Kontakt mit betriebsfremden Menschen haben, nach ihren Gewalterfahrungen. Die häufigste Form psychischer Gewalt sind Beleidigungen und Beschimpfungen (32 Prozent). Zwölf Prozent erleben Spott, Schikanen oder Verleumdung. Sieben Prozent geben an, bedroht oder erpresst worden zu sein, sechs Prozent haben sexualisierte Model Foto: Thai Noipho/Colourbox.de 8 FOKUS dbb magazin | April 2025

psychische Gewalt erlebt. Generell berichten Frauen (41 Prozent) häufiger als Männer (32 Prozent) von psychischen oder verbalen Übergriffen. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen betreffen vorwiegend Beschimpfungen und Beleidigungen sowie Formen von sexualisierter psychischer Gewalt. Körperliche Übergriffe sind selten Körperliche Übergriffe kommen deutlich seltener vor. Acht Prozent der Befragten geben an, in den vergangenen zwölf Monaten von physischer Gewalt durch betriebsfremde Personen betroffen gewesen zu sein. Am häufigsten sind Schubsen, Anspucken sowie Tritte und Schläge. Befragte, die im Gesundheits- und Sozialwesen tätig sind, gaben deutlich häufiger (22 Prozent) als der Durchschnitt an, körperliche Gewalt erlebt zu haben. Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: In einigen Branchen beobachtet ein relevanter Anteil der Beschäftigten eine Zunahme von Gewalt. Dies betrifft neben dem Gesundheitswesen und der öffentlichen Verwaltung auch die Branchen Verkehr und Erziehung. Der Handel liegt mit 18 Prozent im Durchschnitt aller Wirtschaftszweige. „Diese Zahlen zeigen: Gewalt ist ein Problem – Betriebe und Einrichtungen sind diesem Problem aber nicht ausgeliefert“, sagt Hussy. „Sie können etwas dagegen tun. Das betonen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung daher auch in einer Resolution, die die Mitgliederversammlung der DGUV Ende November beschlossen hat.“ Wichtig sei, dass Unternehmen und Einrichtungen deutlich machen, dass sie Gewalt nicht tolerieren. Eine systematische Erfassung von Gewaltvorfällen helfe dabei, Problemstellen zu identifizieren. „Die Umfrage zeigt, dass wir hier noch mehr Bewusstsein schaffen müssen: Nur etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen hat ein Gewaltereignis auch ihrer Führungskraft gemeldet. Zwölf Prozent haben den Vorfall bei den Behörden angezeigt.“ Führungskräfte sollten deshalb regelmäßig fragen, ob es Vorfälle gegeben habe. Wo es häufig zu Gewalt kommt, sollte es zudem Vorkehrungen geben. Ein Teil der Unternehmen und Einrichtungen ergreift hier der Umfrage zufolge bereits Maßnahmen – von Deeskalationstrainings über Notfallpläne bis zu einer betrieblichen psychologischen Erstbetreuung. Rund ein Viertel der Befragten gibt zudem an, dass ihr Arbeitgeber Gewaltvorfälle systematisch erfasst. Im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Verwaltung ist es sogar ein Drittel. „Diese Werte sind durchaus ermutigend. Sie zeigen, dass viele Betriebe und Einrichtungen sich bereits auf den Weg gemacht haben“, erläutert Hussy und fügt hinzu: „Zudem gibt es Beispiele guter Praxis, an denen sich diejenigen orientieren können, die noch nach Lösungen suchen. Berufsgenossenschaften und Unfallkassen unterstützen ebenfalls mit Angeboten zur Prävention und Nachsorge.“ _ Gewalt bei der Arbeit. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung unter abhängig Beschäftigten für die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV): t1p.de/gewaltstudie Die Resolution der DGUV „Gewalt bei der Arbeit und im Ehrenamt begegnen wir gemeinsam“: t1p.de/gewalt_resolution Materialien im Download Die DGVU hat gemeinsam mit weiteren Partnern die Kampagne #GewaltAngehen ins Leben gerufen. Beteiligt sind Berufsgenossenschaften und Unfallkassen mit dem Ziel, zur Prävention von Gewalt bei der Arbeit, in Bildungseinrichtungen und bei ehrenamtlicher Tätigkeit beizutragen. Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung heben damit hervor, dass Gewalt nicht hinnehmbar ist, und zeigen Möglichkeiten auf, wie Gewalt vorgebeugt werden kann. Sie informieren zudem über ihre Beratungs- und Unterstützungsangebote vor und nach Gewaltereignissen am Arbeitsplatz. Schirmherr der Kampagne ist Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales. Lilian Tschan, Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, zur Kampagne #GewaltAngehen: „Übergriffe dürfen nicht bagatellisiert oder tabuisiert werden. Die Kampagne #GewaltAngehen der DGUV macht darauf aufmerksam, wie gewalttätigen Übergriffen begegnet und über Gewaltprävention aufgeklärt werden kann. Es ist unser aller Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Beschäftigte geschützt sind und in einem respektvollen Umfeld arbeiten können. Denn Gewalt am Arbeitsplatz betrifft uns als Kolleginnen und Kollegen alle.“ Weitere Informationen zur Kampagne gibt es im Netz unter www.gewalt-angehen.de. Hintergrund #GewaltAngehen Rettungskräfte sehen sich oft mit aggressiven Bürgern konfrontiert. © DGUV/Wolfgang Bellwinkel FOKUS 9 dbb magazin | April 2025

Gewalttaten gegen Polizeikräfte Erschreckend hohe Fallzahlen Die registrierten Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten haben mit 46 218 Fällen im Jahr 2023 einen neuen Höchststand erreicht. Das geht aus dem aktuellen Bundeslagebild „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte 2023“ des Bundeskriminalamtes (BKA) von Oktober 2024 hervor. Mit einem Anstieg um 8,0 Prozent gegenüber 2022 handelt es sich demnach um die stärkste Zunahme seit dem Jahr 2017. Insgesamt wurden 105 708 Polizistinnen und Polizisten Opfer einer gegen sie gerichteten Gewalttat. Dies sind 9 500 betroffene Beamtinnen und Beamte mehr als im Jahr zuvor, was einem Anstieg um 9,9 Prozent entspricht. Bei Gewalttaten gegen Rettungs- und Feuerwehrkräfte wurden ebenfalls neue Höchststände verzeichnet. Wenn Polizistinnen und Polizisten in Deutschland Gewalt erfahren, handelt es sich laut BKA in den meisten Fällen um Widerstandshandlungen und tätliche Angriffe. Sie machen mit 84,5 Prozent den größten Anteil der Gewalttaten gegen Polizeikräfte aus. Im Vergleich zum Vorjahr sind die entsprechenden Fälle um 8,5 Prozent auf 39 046 Fälle gestiegen (2022: 35 983). Häufig werden Polizeikräfte darüber hinaus bedroht. Hier wurden 3 851 Fälle registriert, was einem Anstieg von 5,9 Prozent gegenüber dem Jahr zuvor entspricht. Gesunken ist die Zahl der Fälle, bei denen Polizistinnen und Polizisten Opfer von gefährlicher und schwerer Körperverletzung wurden. Die Zahl der registrierten Delikte sank um 13 Prozent auf 1 260 Fälle (2022: 1 449). Insgesamt wurden 40 versuchte Tötungsdelikte erfasst, drei mehr als im Jahr zuvor. Vollendete Tötungsdelikte gab es 2023 nicht – im Gegensatz zum Jahr zuvor, als eine Polizistin und ein Polizist im Landkreis Kusel/Rheinland-Pfalz ermordet wurden. Die Zahl der Tatverdächtigen hat um 5,9 Prozent zugenommen, sodass im Jahr 2023 insgesamt 38 630 Tatverdächtige erfasst wurden (2022: 36 495). Während der Anteil der deutschen Tatverdächtigen von 69,9 auf 66,4 Prozent sank, stieg der Anteil der nicht deutschen Tatverdächtigen von 30,1 auf 33,6 Prozent. Die Tatverdächtigen waren meistens männlich (83,6 Prozent) und über 25 Jahre alt (73,0 Prozent). Sie waren in der Regel allein handelnd (95,1 Prozent), oft polizeilich bekannt (75,3 Prozent) und mehr als jeder Zweite stand unter Alkoholeinfluss (50,2 Prozent). Das Bundeslagebild enthält zudem Daten zu Rettungsdienst- und Feuerwehrkräften, die im Einsatz von Gewalttaten betroffen waren. Mit 687 Fällen (plus 5,7 Prozent) und 1 069 Opfern (plus 13,7 Prozent) bei der Feuerwehr sowie 2 050 Fällen (plus 6,8 Prozent) und 2 902 Opfern (plus 8,4 Prozent) bei sonstigen Rettungsdiensten wurden im Jahr 2023 ebenfalls Höchststände verzeichnet. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, hatte die Zahlen mit Erschütterung kommentiert: „Wir haben eine Steigerung erwartet. Trotzdem entsetzen rund acht Prozent mehr Gewaltdelikte gegen die Polizei. Hinter jeder Zahl stehen Menschen, die sich für diesen Staat einsetzen und buchstäblich ihren Kopf hinhalten, um Freiheit zu schützen und Sicherheit zu gewährleisten. Sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen, die zwar immer viele Erklärungen bereithält, wenn es um die Täter geht, aber wenig Empathie für die Opfer aufbringt“, so Wendt nach der Veröffentlichung der Statistik. Von der Politik forderte Wendt moderne Technik für die Polizei und schärfere Gesetze, „damit Gewalttätern die Taten nachgewiesen und sie verurteilt werden können“. Außerdem müsse die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts die Regel und nicht die Ausnahme sein, wenn Täter jünger als 21 Jahre seien, die Strafmündigkeitsgrenze müsse auf zwölf Jahre gesenkt werden. Genauso wichtig seien die zwingende Kombination von Strafverfahren und Ausweisungsbemühungen schon während der Anklage sowie eine schnell handelnde Justiz. _ © Viktor Dukov/Unsplash.com 10 FOKUS dbb magazin | April 2025

dbb talk „Man macht sich schon gar nicht mehr bewusst, wie oft man bedroht wird …“ Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind mindestens einmal Opfer von Beschimpfungen, Bedrohungen oder tätlicher Gewalt geworden. Das dbb magazin hat mit vier Betroffenen aus unterschiedlichen Bereichen des öffentlichen Dienstes gesprochen. Astrid Pradella unterrichtet als Lehrerin an einer Realschule in Ostwestfalen Englisch und Sport. Ihre Schule gilt als Brennpunktschule. Pradella steht kurz vor der Pensionierung und verfügt über einen reichen Erfahrungsschatz. Ein Vorfall ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: „Das liegt längere Zeit zurück, als ich Klassenlehrerin einer 5. Klasse war. Damals hatten wir die Regel in der Schule, dass zu spät kommende Kinder, die sonst den Unterricht gestört hätten, selbstständig ins Schulbistro gehen und dort bis zum Ende der laufenden Schulstunde lernen. Das fand der Vater einer Schülerin scheinbar nicht in Ordnung“, erinnert sich die Pädagogin. „Es klopft an der Klassentür und er steht vor mir. Ich bitte ihn, sein Kind ins Bistro zu bringen. Damit ist er nicht einverstanden und versucht, die Kleine in den Klassenraum zu schieben. Beim Versuch, das zu blockieren, geht der Vater auf mich los.“ Pradella konnte gerade noch ausweichen, sonst hätte der hünenhafte Mann sie heftig getroffen. Zwei Kolleginnen im Raum und auf dem Flur waren so erschrocken, dass sie im ersten Moment nicht helfen konnten. „Schockstarre umschreibt es wohl ganz gut. Mithilfe der Schüler haben wir die Tür dann zugesperrt und ich habe erst mal weiter unterrichtet.“ In der Pause meldet Pradella den Vorfall der Schulleitung, die sofort die Polizei hinzuzieht. Der Angreifer bekommt Hausverbot. Pradella selbst bemerkt die Auswirkungen des Vorfalls erst später. „So stark wie ich in diesem Moment war, so schlimm war der Zusammenbruch zu Hause.“ Die Lehrerin war zehn Tage krankgeschrieben und konnte den Angriff dank ihres psychologisch gebildeten Hausarztes verarbeiten. Schulzukunft mit Sicherheitsdienst Grundsätzlich diagnostiziert die Lehrerin, die sich auch im Personalrat engagiert, über die vergangenen 40 Dienstjahre eine zunehmende Verrohung in manchen Teilen der Gesellschaft. „In den 80er-Jahren war man als Lehrkraft noch eine Respektsperson. Heute haben wir Schülerinnen und Schüler, deren Eltern ihnen Respektlosigkeit vorleben. Regeln werden nicht eingehalten, Eltern stellen die Notenvergabe infrage. Lehrerinnen und Lehrer stehen damit permanent im Fokus von Spannungen.“ Das hat Pradella auch im Personalrat thematisiert, wo sie Ansprechpartnerin für Gewalt gegen Lehrkräfte ist. Zudem steht sie im Austausch mit dem Regierungsbezirk Detmold und der Landesbildungsministerin. „Daraufhin wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, das Thema ist also präsent.“ Letztlich obliege dem Dienstherrn die Fürsorgepflicht, denn auch, wenn die Schulleitung damals gut reagiert habe, sei der rechtliche Hand­ © Creativ 94/Unsplash.com 12 FOKUS dbb magazin | April 2025

lungsspielraum der Schule gering. Zu gering in Anbetracht der sozialen Brennpunkte, mit denen die Schule zu kämpfen hat. „Nicht zuletzt ist der Raum Bielefeld auch ein Clan-Hotspot. Da muss der Regierungsbezirk tätig werden.“ Ob Schule in Deutschland auf amerikanische Verhältnisse mit Sicherheitsschleusen, Videoüberwachung, bewaffnetem Sicherheitspersonal und Schutzwesten für den Lehrkörper zusteuert? „Noch nicht, aber weit weg ist der Gedanke ebenfalls nicht, und das ist traurig.“ Für die Zukunft sieht Astrid Pradella vor allem für große Schulen keine andere Möglichkeit, als zumindest Sicherheitspersonal zu engagieren. Ihre Schule habe die passive Sicherheit erhöht und dafür gesorgt, dass Klassenräume von außen nicht mehr zu öffnen sind, und natürlich gebe es auch einen Amokplan. Für die Zukunft wünscht sich die Pädagogin eine aktivere Gesetzgebung nach dem Vorbild der Schweiz, wo die Schulgesetze angepasst wurden. Die Gesetze seien hierzulande bislang sehr schüler- und elternfreundlich, was Lehrkräfte quasi handlungsunfähig macht. „Das muss dringend an die realen Umstände angepasst werden. Es kann nicht sein, dass ein gewalttätiger Schüler lediglich verwarnt wird, während der Lehrer eine Versetzung ‚aus Sicherheitsgründen‘ schlucken muss. Vom Land Nordrhein-Westfalen wünsche ich mir mehr Lehrerschutz. Wie gesagt: Der Dienstherr hat die Fürsorgepflicht.“ Symptomatisch sei darüber hinaus, dass viele junge Lehrkräfte nicht mehr verbeamtet werden wollen, um leichter kündigen zu können. „Wenn Referendare vor dir stehen und sagen, dass sie diesen Job nicht ihr Berufsleben lang durchhalten können, wird überdeutlich, wie dringend der Handlungsbedarf ist.“ Fliegende Computer im Jobcenter „Sie blöde Kuh!“ ist harmlos – Beleidigungen gehen oft unter die Gürtellinie. Eine weitere Eskalationsstufe: Leute, die Computer durch die Gegend schmeißen und Schreibtische abräumen. Und der schlimmste Fall: Leute, die Beschäftigte mit dem Messer bedrohen, verletzen oder gar töten. Solche Vorfälle gab es in Jobcentern bereits. 2012 in Neuss. Damals starb eine Frau nach einem Messerangriff. 2020 in Rottweil: Eine Frau wurde schwer verletzt. Und 2022 in Frankfurt am Main: Ein Mann bedrohte zwei Jobcenter-Mitarbeiter mit einem Messer. Stephanie Rau arbeitet im Jobcenter Limburg-Weilburg. Derartige Fälle sind ihr nicht unbekannt, manches hat sie selbst erlebt, teils war sie als Zeugin dabei. „Man macht sich schon gar nicht mehr bewusst, wie oft man bedroht wird, aber bisher habe ich alles gut weggesteckt und musste mich nicht krankmelden. Das Gespräch im Kollegenkreis hilft, unschöne Erlebnisse zu verarbeiten.“ Das ist allerdings nicht der Regelfall. „Die Fluktuation in den Jobcentern ist höher denn je. Beschäftigte suchen das Weite, nicht selten verlassen sie den öffentlichen Dienst ganz. Das wäre vor 20 Jahren nicht denkbar gewesen.“ Dabei habe es in Jobcentern schon immer Vorfälle gegeben, berichtet Rau. Aber die Häufigkeit hat zugenommen. Ob die Situation in sozialen Brennpunkten schlimmer sei? Nicht zwingend: „Ich war zwei Jahre in Frankfurt-Höchst. Man könnte meinen, dass es hier im beschaulichen Limburg-Weilburg gesitteter zugeht. So ist es aber nicht.“ Eine entscheidende Rolle spielt aus ihrer Sicht vor allem, in welchem Umfang die Beschäftigten in den Jobcentern auf schwierige Situationen vorbereitet werden. „Deeskalationstrainings und Seminare zu interkultureller Kompetenz sind wertvolle Bausteine.“ Ein weiterer entscheidender Aspekt liegt darin, inwiefern präventive Maßnahmen in den Dienststellen zum Schutz der Beschäftigten getroffen werden, um Eskalationssituationen zu vermeiden. Hier ist aus ihrer Sicht noch viel Luft nach oben. Was passieren muss, um die Situation zu verbessern? Außer für mehr Schulungen für Beschäftigte wirbt Stephanie Rau für mehr Personal. Die Politik müsse verstehen, dass Gewalt im Jobcenter aus enttäuschten Erwartungen resultiert. „Das rechtfertigt natürlich nichts. Aber oft fehlen schlichtweg die Ressourcen, um optimal auf die Menschen einzugehen. Je mehr Erwartungen wir gerade im Hinblick auf die Bearbeitungszeiten erfüllen können, desto geringer die Eskalationsgefahr.“ Ein weiterer Punkt: Die Richtlinien zum Arbeitsschutz seien ihrer Meinung nach oft zu schwammig. „Es muss konkreter werden, weil der Staat dann auch für konkrete Maßnahmen Geld zur Verfügung stellen muss“, unterstreicht Rau. Nicht zuletzt von Bedeutung: „Wenn jemand auffällig wird und Sachen durch die Gegend schmeißt, hat das strafrechtlich in der Regel keine Konsequenzen. Das sorgt bei den Beschäftigten für Unverständnis. Hier muss es mehr Optionen geben.“ Angesichts der Umstände selbst das Handtuch zu werfen, das kommt für Stephanie Rau allerdings nicht infrage. „Dafür mache ich den Job Lehrerinnen und Lehrer stehen permanent im Fokus von Spannungen. Astrid Pradella © Privat FOKUS 13 dbb magazin | April 2025

zu gerne. Ich sehe es jeden Tag als neue Herausforderung und Bereicherung an, mit schwierigen Charakteren umzugehen.“ Brennpunkt Notaufnahme Victoria Kerl hat für das Gespräch mit dem dbb magazin auf Schlaf verzichtet. Nein, nicht auf ihren kleinen Powernap am Nachmittag, sondern auf den Ersatz für die Nachtruhe, den sie während ihrer Nachtschichtwochen braucht. Das Thema ist der Medizinischen Fachangestellten, die in der Universitätsklinik Göttingen arbeitet, wichtig, denn verbale Attacken gehören zu Kerls Arbeitsalltag in der Anmeldung der Notaufnahme: „Die Patientin, die nach mehreren Tagen mit Bauschmerzen abends zu uns kommt, ist unzufrieden mit der langen Wartezeit und fängt an zu beleidigen“, schildert sie einen der zahlreichen Vorfälle. „Dass im Hintergrund drei Patienten parallel wiederbelebt werden müssen, versteht die Dame nicht.“ Immerhin ist sie möglichen Attacken nicht direkt ausgesetzt, denn in der Anmeldung sitzt sie in einer Kabine, geschützt von einer stabilen Glasscheibe. „Es gibt in der Uniklinik Notknöpfe und einen hauseigenen Sicherheitsdienst, der gerufen werden kann, denn in den Behandlungsräumen bleibt es manchmal nicht bei Beleidigungen, es kommt immer wieder zu Handgreiflichkeiten“, erzählt die junge Frau. Wie in anderen Notaufnahmen auch, triagieren die Kolleginnen und Kollegen in Göttingen. Behandelt wird nach medizinischer Notwendigkeit, nicht nach Reihenfolge der Ankunft. Wer umgehend Hilfe braucht, muss sie so schnell wie möglich erhalten. Wer mit Beschwerden kommt, die auch der Hausarzt hätte versorgen können, muss warten. Laien verstehen oder akzeptieren diesen Zusammenhang oft nicht. Auch Victoria Kerls Kolleginnen und Kollegen in der Behandlung erzählen so einiges: „Wer schon bei der Aufnahme pöbelt, gibt dann meist auch keine Ruhe, wenn er dran ist. Schwierig können auch Patienten sein, die glauben, falsch behandelt zu werden.“ Als weiteres Problem kommt in der Uniklinik hinzu, dass die Räumlichkeiten der Notaufnahme beengt sind. Gerade wird ein Neubau errichtet. Um sich emotional zu entlasten, nutzt Victoria Kerl die relativ lange Fahrzeit nach Hause. Die gibt ihr „Gelegenheit, auf Abstand zu gehen“. Es gebe im Haus außerdem ein Angebot für Psychotherapie, erzählt Kerl weiter, „und mit den Stationsleitungen des Hauses können wir reden, auch das ist wichtig“. Wie überall im Gesundheitsbereich ist die Arbeitsbelastung für das Personal in der Uniklinik Göttingen hoch, die Notaufnahme ist ein Brennpunkt. Was Kerl sich wünscht, sind „Patienten, die nicht wegen jeder Kleinigkeit zu uns kommen. Um die Sicherheit zu erhöhen, hätten wir gerne wieder Sicherheitspersonal am Eingang, das aus Kostengründen eingespart worden ist. Es ist nämlich so, dass nachts jeder, wie er möchte, über die Notaufnahme ins Haus kommen kann.“ Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Grundsätzlich müsse eigentlich mehr Personal da sein, „unsere Kapazität ist schnell erschöpft. Wir haben immer offene Stellen zu besetzen, denn Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte gibt es eben zu wenig.“ Eigentlich arbeitet Victoria Kerl gerne in der Notaufnahme, mag ihr Team, die Ärzte und Chefs der Abteilung. Trotzdem bewirbt sie sich nach drei Jahren weg: „Ich will aus dem Dreischichtdienst raus.“ Zugbegleiter am Limit Er ist seit 38 Jahren im Dienst: René Bäselt hat als Zugchef im ICE der Deutschen Bahn AG unzählige Kilometer quer durch die ganze Republik zurückgelegt. Der gebürtige Berliner hat 1987 seine Lehre begonnen und ab 1990 zunächst als Schaffner für die Bahn gearbeitet. Was das Gewaltpotenzial betrifft, empfindet er den Arbeitsalltag als Chef einer Besatzung im Intercity-Express zwar als ruhiger als beispielsweise im Regionalzug. „Mit Ausrastern, Pöbeleien und tätlichen Angriffen bekommen wir es aber auch hier zu tun“, erzählt der Eisenbahner. Übergriffe haben vor allem seit der Coronazeit spürbar zugenommen, sagt er. Die krisengeplagte Zeit gehe an vielen Menschen nicht spurlos vorüber. „Dann wird ein Anschluss verpasst oder sogar ein Flug, und schon liegen die Nerven blank. Bei manchen führt das zur lauten Beleidigung, manche langen aber auch zu.“ Sein heftigstes Erlebnis lag jedoch vor der Pandemie: „2017 habe ich einen arabischstämmigen Mitbürger ohne Fahrschein im ICE angetroffen. Nachdem er sich zunächst auf eine Bordtoilette geflüchtet hatte, habe ich ihn erfolgreich überredet, herauszukommen. Zunächst zeigt er sich einsichtig, wir stehen ganz ruhig im Gang.“ Dann aber sieht der Mann im nächsten Bahnhof eine Polizeistreife auf dem Bahnsteig. „Das muss etwas ausgelöst haben. Er greift mich unvermittelt an und schafft es, mir einen Arm schmerzhaft auf den Rücken zu drehen.“ Ein anderer, ebenfalls arabischstämmiger Fahrgast bekommt das mit und schreitet beherzt ein. „Erst mit seiner Hilfe kann ich mich befreien. Wir überwältigen den Angreifer und übergeben ihn der Polizei. Ich habe mir dabei das Handgelenk verstaucht. Von der Anzeige habe ich übrigens bis heute nichts gehört.“ Wenn jemand Sachen durch die Gegend schmeißt, hat das strafrechtlich in der Regel keine Konsequenzen. Stephanie Rau © Privat 14 FOKUS dbb magazin | April 2025

In einem anderen Fall war Bäselt privat in einem ICE unterwegs, als ein Drogensüchtiger das Zugpersonal attackierte. „Ich bin dazwischengegangen und konnte Schlimmeres verhindern. Im nächsten Bahnhof musste der Zug dann aber eine halbe Stunde auf die Landespolizei warten, weil die Bundespolizei nur auf großen Bahnhöfen direkt vor Ort ist. „Das führt natürlich wieder zum Gewalttrigger ‚Verspätung‘.“ Ein Teufelskreis. Verspätungen gehören mittlerweile aber zum Bahnalltag. Deshalb komme es eher zu verbalen Angriffen als zu Tätlichkeiten. „Im Ernstfall funktioniert die Kommunikation im ICE aber gut“, erklärt der Zugchef. Ein ICE 4 mit 13 Wagen kommt auf 925 Sitzplätze. „Da werden die Wege lang, weshalb es in jedem Wagen eine Sprechstelle gibt. Was aber fehlt, sind Rückzugsräume. Bei Gefahr kann ich mich auch nur auf die Toilette flüchten.“ Auch seien auf langen ICE-­ Zügen neben den Kolleginnen und Kollegen von der Gastronomie früher mindestens drei, oft auch vier Betriebseisenbahner an Bord gewesen. „Heute sind es noch zwei. Damit werden die Sicherheitsstandards zwar formal eingehalten. Aber eben am Limit“, kritisiert der Zugchef. Als gefährlicher schätzt Bäselt die Arbeit im Regionalzug ein und hat aus dem Kollegenkreis bereits viele entsprechende Berichte gehört. „Das liegt daran, dass die Zugbegleiterin oder der Zugbegleiter im Regio allein ist. Das macht sie natürlich viel angreifbarer.“ Im Fernverkehr sind neben dem Zugchef ein weiterer Zugbegleiter und zwei Gastronomen an Bord. „Eine Kollegin hatte im Regio einen Zwischenfall mit einer ganzen Gruppe, die sie umzingelt hat. Da kommt man dann nicht so leicht raus und ist erst mal auf sich allein gestellt“, kritisiert der Eisenbahner, der sich auch beim Projekt „Runder Tisch Security“ der DB AG engagiert. Ob neue Sicherheitstechnik wie die Bodycam, die zum Teil bereits in Regionalzügen im Einsatz ist, helfen kann? „Das hält den einen oder anderen sicher davon ab, handgreiflich zu werden. Allerdings muss man den Einsatz erst ankündigen und die Kamera starten. Dieser Moment kann den Sicherheitsaspekt in sein Gegenteil verkehren, weil ein potenzieller Angreifer vielleicht schneller sein will“, gibt Bäselt zu bedenken. Die Technik soll bald auch im ICE getestet werden. Für die Zukunft wünscht sich René Bäselt mehr passive Sicherheit. Das bedeutet: Neben den regelmäßigen Deeskalationstrainings und Selbstverteidigungskursen, die die DB AG anbietet, müsse der Fokus auf besseren Arbeitsbedingungen für die Kolleginnen und Kollegen der DB Sicherheit GmbH liegen. Sie sind für die Sicherheit und Ordnung in Objekten und Anlagen sowie in Fahrzeugen der Deutschen Bahn zuständig. „Einerseits werden diese Kolleginnen und Kollegen für Großveranstaltungen wie Fußballspiele gerne in großer Zahl abgezogen. Andererseits gehört die Bahn im Securitybereich nicht gerade zu den am besten zahlenden Mitbewerbern, was zu hoher Fluktuation beim Personal führt.“ Grundsätzlich plädiert Bäselt für eine konsequente Strafverfolgung von Gewaltdelikten. „In der Schweiz geschieht das zum Beispiel von Rechts wegen – ein Angriff auf einen Zugbegleiter wird dort genauso gewertet wie eine Attacke auf einen Polizisten.“ ada, br, cdi Patienten sollten nicht wegen jeder Kleinigkeit in die Notaufnahme kommen. Victoria Kerl Wir haben es mit Ausrastern, Pöbeleien und tätlichen Angriffen zu tun. René Bäselt © Privat © Privat FOKUS 15 dbb magazin | April 2025

Gewalt gegen Beschäftigte Initiativen für mehr Sicherheit Zahlreiche Programme und Erklärungen zeugen davon, dass das Thema in den Ländern angekommen ist. Wie weit sie reichen und wie konkret die Hilfestellungen werden, ist jedoch höchst unterschiedlich. Was gibt es wo und welche Angebote eignen sich womöglich zur Nachahmung und Vernetzung? Hamburg hat eine Null-Toleranz-Erklärung zur Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unterzeichnet und bietet mit einer Beratungsstelle Gewaltprävention vor allem Schulen und Lehrkräften Unterstützung bei Gewaltvorfällen. In Bremen schult die Polizei Behördenmitarbeiter zum Umgang mit Bedrohungen und Gewalt. Auf Schulungsmaterial und Seminare legt auch Berlin den Schwerpunkt. Hinzu kommt die Möglichkeit der Vor-OrtBeratung in Ämtern, Behörden und sozialen Einrichtungen, um Gewaltvorfällen am Arbeitsplatz so weit wie möglich vorzubeugen. Nach vier Jahren ist überdies endlich – auf Druck des dbb Landesverbandes – die Festlegung gelungen, dass die Senatsverwaltung für Inneres und Sport für die seit 2021 vorgesehene Dokumentation von Gewaltfällen im Landesdienst zuständig sein soll. Kampagnen und ressortübergreifende Konzepte Schulungen bietet auch Thüringen an. Der Landespräventionsrat hält insbesondere zur Gewalt gegen Rettungskräfte Material bereit. Zudem bereist der Innenminister seit 2022 jeden Sommer die unterschiedlichsten Trainings- und Einsatzorte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten. „#RespektdenRettern“ heißt die öffentlichkeitswirksam aufbereitete Kampagne, „#Respekt?! Ja bitte!“ eine weitere bundesweite, die auf YouTube abrufbar ist und Gewalterfahrungen von Rettungskräften zum Inhalt hat. Dazu hat neben Thüringen auch Sachsen mit einem eigenen Film beigetragen. Schleswig-Holstein setzt ebenfalls auf eine „Respekt!“-Kampagne. Hier steht der Schutz von Straßenwärterinnen und Straßenwärtern im Vordergrund. Einen anderen Weg hat Baden-Württemberg eingeschlagen. Eine „Ressortübergreifende Landeskonzeption für einen besseren Schutz von Beschäftigten im öffentlichen Dienst vor Gewalt im Arbeitsalltag“ gehört hier seit Juni letzten Jahres zum Instrumentarium der Gewaltprävention und sie richtet sich an alle Berufsgruppen im öffentlichen Dienst. Sieben Handlungsfelder umfasst die Konzeption, an deren Erarbeitung sich neben zehn Landesministerien die kommunalen Landesverbände, die gewerkschaftlichen Spitzenverbände DGB und BBW – Beamtenbund Tarifunion, die Unfallkasse Baden-Württemberg sowie Personalvertretungen beteiligten. Das Vorhaben ist ambitioniert: Geplant sind ein umfassendes Monitoring, um zu einer aussagekräftigen Lagebeurteilung zu kommen, die Entwicklung einer Präventionsdatenbank sowie behördenspezifischer Krisen- und Notfallpläne, der Aufbau von Ansprechstellen zur Gewaltprävention, Informationen zu Unfallmeldung, rechtlichen Maßnahmen und Hilfsangeboten. Abgedeckt werden so alle Phasen des Gewaltereignisses – von Prävention über Intervention bis zur Nachsorge. Die Präventionsdatenbank ist mittlerweile online; mit Filtermöglichkeiten nach Art des Vorfalls, Berufsfeld und Tätigkeit lassen sich Maßnahmen von A wie Aachener Modell bis Z wie Zugangssteuerung passgenau abrufen. Konkrete Handlungsempfehlungen sowie Vorlagen für Krisenpläne und anderes bietet auch die Konzeptbroschüre selbst. Eine Meldeplattform zu Gewaltvorfällen wird demnächst online gehen. Die Einrichtung einer Ansprechstelle zur Gewaltprävention beim Landeskriminalamt ist ebenfalls auf gutem Weg. Weitere Infos zu Hilfen stellt das Forschungsprojekt InGe, das die Konzeption wissen­ „Wir setzen uns für die Einhaltung von gesellschaftlichen Regeln und Gesetzen ein. Dafür möchte ich weder beleidigt und schon gar nicht bedroht oder angegriffen werden!“ Lea-Maxime Heil, Mitarbeiterin im kommunalen Ordnungsdienst ES GEHT EUCH ALLE AN, WENN MAN MICH ANGEHT. www.gewalt-angehen.de #Gewalt Angehen gemeinsam stark gegen gewalt. Die Unfallkassen und Berufsgenossenschaften engagieren sich mit der Kampagne #GewaltAngehen für Prävention von Gewalt bei der Arbeit, in Bildungseinrichtungen, bei ehrenamtlicher Tätigkeit und im öffentlichen Dienst. 16 FOKUS dbb magazin | April 2025

schaftlich begleitet hat, auf seiner Website www.projekt-inge.de zur Verfügung. Übersichtlich und konkret In Bayern präsentiert das Staatsministerium der Finanzen und für Heimat sämtliche relevanten Informationen auf einer Website. Ein Klick und man kommt zum gewünschten Inhalt. Hier kann man sich zum kompletten Gewaltschutzprogramm informieren, aber auch darüber, wie kollegiale Soforthilfe zu leisten ist, was Vorgesetzte tun können und müssen, wohin Beschäftigte sich wenden können und vieles mehr. Wie in Baden-Württemberg gab es zunächst ein ressortübergreifendes Monitoring, um das Ausmaß der Gewaltvorfälle gegen öffentlich Bedienstete angemessen zu erfassen. Das anschließende Gewaltschutzprogramm, das den Rechtsschutz der Betroffenen erweitert, ein ganzes Bündel an Maßnahmen aufzeigt und die Prävention verbessert, wurde gemeinsam mit dem Bayerischen Beamtenbund (BBB) entwickelt. Vernetzung: #sicherimDienst Eine Vorreiterrolle im Umgang mit Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes hat NRW im Jahr 2022 mit der Einrichtung des Präventionsnetzwerkes #sicherimDienst übernommen. Analog über regelmäßige Treffen und direkte Beratung sowie mittels digitaler Angebote richtet sich das Netzwerk an alle Berufsgruppen im Landesdienst und wird von einer eigenen Stabsstelle professionell koordiniert und betreut. Auf seiner Website stellt es eine Vielzahl an Informationen zur Verfügung. Neben grundsätzlichen Informationen zu Bedingungen, Ursachen und Formen von Gewalt gibt es allgemeine Handlungsempfehlungen sowie konkrete Leitfäden, die auf die einzelnen Berufsgruppen abgestimmt sind. Die Rolle von Führungskräften wird ebenso thematisiert wie die schnelle Hilfe im Bedarfsfall – etwa durch Taschenkarten für verschiedene Zielgruppen, ob im Innendienst mit Publikumsverkehr oder im Straßendienst tätig, ob Einsatz- und Operativkräfte oder Mandatsträgerinnen und -träger. Orientierung bieten Praxisbeispiele aus ganz NRW, eine geschützte Kommunikationsplattform eröffnet den Teilnehmenden die Möglichkeit zum konkreten Austausch. Über 2 450 Partnerinnen und Partner haben sich dem Netzwerk mittlerweile angeschlossen. Vertreten sind mehr als 850 Behörden, Verbände, Organisationen und Institutionen, und zwar nicht allein aus dem öffentlichen Dienst. Das Thema Gewalt am Arbeitsplatz beschäftigt auch Berufsgenossenschaften, Handwerkskammern oder Bankinstitute. Praxisnah: die Sichere Verwaltung Auf Landesebene aktiv sind zum Thema Gewaltprävention außerdem die gesetzlichen Unfallkassen. Das Angebot reicht von Hinweisen auf sinnvolle Links bis zu einem ausgefeilten Tool wie dem der Unfallkasse NRW. Mit ihrem interaktiven Infoportal „Die Sichere Verwaltung“ gibt sie konkrete Tipps, wie sich Räumlichkeiten in Behörden und öffentlichen Einrichtungen so gestalten lassen, dass Gewaltsituationen im besten Fall gar nicht erst entstehen. So wichtig Fluchtwege und Alarmknöpfe sind – was lässt sich darüber hinaus tun, um ein friedliches und geschütztes Miteinander in Eingangsbereichen, Wartezonen, Zahlstellen, Bürger- und Einzelbüros zu erreichen? Auf dem Infoportal lassen sich solche typischen Veraltungsräumlichkeiten hinsichtlich dieser Fragestellungen virtuell erkunden. Bis in die Details der Arbeitsplatzgestaltung – ist der Tacker auf meinem Schreibtisch unverzichtbar oder im Zweifelsfall nicht doch ein gefährliches Wurfgeschoss, das außer Reichweite meiner Klienten gehört – kann sich hier jede und jeder mit Blick auf den eigenen Arbeitsplatz Anregungen holen oder überhaupt erst für Gefahrenquellen sensibilisieren. Das Spektrum dessen, was die Bundesländer in Reaktion auf das zunehmende Maß an Bedrohung ihrer Beschäftigten zur Verfügung stellen, ist mithin breit. Und die Angebote sind häufig ausbaufähig. Eine Null-Toleranz-Grundsatzerklärung ist das Mindeste. Ohne diesen Standard geht es nicht. Doch das kann nur der Anfang sein – für einen Mitarbeiterschutz, der diesen Namen verdient. Ideen dazu gibt es. Andrea Böltken „Gewalt darf nicht Alltag werden! Auch Kritik kann freundlich und ohne Beleidigung oder Wutausbruch geäußert werden.“ Michael Vogt, Fachbereichsleiter Soziales und Wohnen der Stadt Coesfeld ES GEHT EUCH ALLE AN, WENN MAN MICH ANGEHT. www.gewalt-angehen.de #Gewalt Angehen gemeinsam stark gegen gewalt. Die Konzeption aus Baden-Württemberg findet sich hier: tinyurl.com/ ycymxsjb, die Präventionsdatenbank unter tinyurl.com/mw4v39c2. Die Handreichungen zum Mitarbeiterschutz in Bayern sind unter tinyurl. com/24n453be abrufbar. Zur Startseite von #sicherimDienst geht es hier: sicherimdienst.nrw. Das interaktive Angebot der Unfallkasse NRW zur sicheren Verwaltung ist unter sichere-verwaltung.de einsehbar. Webtipps © DGUV (2) FOKUS 17 dbb magazin | April 2025

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