dbb talk „Man macht sich schon gar nicht mehr bewusst, wie oft man bedroht wird …“ Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind mindestens einmal Opfer von Beschimpfungen, Bedrohungen oder tätlicher Gewalt geworden. Das dbb magazin hat mit vier Betroffenen aus unterschiedlichen Bereichen des öffentlichen Dienstes gesprochen. Astrid Pradella unterrichtet als Lehrerin an einer Realschule in Ostwestfalen Englisch und Sport. Ihre Schule gilt als Brennpunktschule. Pradella steht kurz vor der Pensionierung und verfügt über einen reichen Erfahrungsschatz. Ein Vorfall ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: „Das liegt längere Zeit zurück, als ich Klassenlehrerin einer 5. Klasse war. Damals hatten wir die Regel in der Schule, dass zu spät kommende Kinder, die sonst den Unterricht gestört hätten, selbstständig ins Schulbistro gehen und dort bis zum Ende der laufenden Schulstunde lernen. Das fand der Vater einer Schülerin scheinbar nicht in Ordnung“, erinnert sich die Pädagogin. „Es klopft an der Klassentür und er steht vor mir. Ich bitte ihn, sein Kind ins Bistro zu bringen. Damit ist er nicht einverstanden und versucht, die Kleine in den Klassenraum zu schieben. Beim Versuch, das zu blockieren, geht der Vater auf mich los.“ Pradella konnte gerade noch ausweichen, sonst hätte der hünenhafte Mann sie heftig getroffen. Zwei Kolleginnen im Raum und auf dem Flur waren so erschrocken, dass sie im ersten Moment nicht helfen konnten. „Schockstarre umschreibt es wohl ganz gut. Mithilfe der Schüler haben wir die Tür dann zugesperrt und ich habe erst mal weiter unterrichtet.“ In der Pause meldet Pradella den Vorfall der Schulleitung, die sofort die Polizei hinzuzieht. Der Angreifer bekommt Hausverbot. Pradella selbst bemerkt die Auswirkungen des Vorfalls erst später. „So stark wie ich in diesem Moment war, so schlimm war der Zusammenbruch zu Hause.“ Die Lehrerin war zehn Tage krankgeschrieben und konnte den Angriff dank ihres psychologisch gebildeten Hausarztes verarbeiten. Schulzukunft mit Sicherheitsdienst Grundsätzlich diagnostiziert die Lehrerin, die sich auch im Personalrat engagiert, über die vergangenen 40 Dienstjahre eine zunehmende Verrohung in manchen Teilen der Gesellschaft. „In den 80er-Jahren war man als Lehrkraft noch eine Respektsperson. Heute haben wir Schülerinnen und Schüler, deren Eltern ihnen Respektlosigkeit vorleben. Regeln werden nicht eingehalten, Eltern stellen die Notenvergabe infrage. Lehrerinnen und Lehrer stehen damit permanent im Fokus von Spannungen.“ Das hat Pradella auch im Personalrat thematisiert, wo sie Ansprechpartnerin für Gewalt gegen Lehrkräfte ist. Zudem steht sie im Austausch mit dem Regierungsbezirk Detmold und der Landesbildungsministerin. „Daraufhin wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, das Thema ist also präsent.“ Letztlich obliege dem Dienstherrn die Fürsorgepflicht, denn auch, wenn die Schulleitung damals gut reagiert habe, sei der rechtliche Hand © Creativ 94/Unsplash.com 12 FOKUS dbb magazin | April 2025
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