dbb magazin 4/2025

lungsspielraum der Schule gering. Zu gering in Anbetracht der sozialen Brennpunkte, mit denen die Schule zu kämpfen hat. „Nicht zuletzt ist der Raum Bielefeld auch ein Clan-Hotspot. Da muss der Regierungsbezirk tätig werden.“ Ob Schule in Deutschland auf amerikanische Verhältnisse mit Sicherheitsschleusen, Videoüberwachung, bewaffnetem Sicherheitspersonal und Schutzwesten für den Lehrkörper zusteuert? „Noch nicht, aber weit weg ist der Gedanke ebenfalls nicht, und das ist traurig.“ Für die Zukunft sieht Astrid Pradella vor allem für große Schulen keine andere Möglichkeit, als zumindest Sicherheitspersonal zu engagieren. Ihre Schule habe die passive Sicherheit erhöht und dafür gesorgt, dass Klassenräume von außen nicht mehr zu öffnen sind, und natürlich gebe es auch einen Amokplan. Für die Zukunft wünscht sich die Pädagogin eine aktivere Gesetzgebung nach dem Vorbild der Schweiz, wo die Schulgesetze angepasst wurden. Die Gesetze seien hierzulande bislang sehr schüler- und elternfreundlich, was Lehrkräfte quasi handlungsunfähig macht. „Das muss dringend an die realen Umstände angepasst werden. Es kann nicht sein, dass ein gewalttätiger Schüler lediglich verwarnt wird, während der Lehrer eine Versetzung ‚aus Sicherheitsgründen‘ schlucken muss. Vom Land Nordrhein-Westfalen wünsche ich mir mehr Lehrerschutz. Wie gesagt: Der Dienstherr hat die Fürsorgepflicht.“ Symptomatisch sei darüber hinaus, dass viele junge Lehrkräfte nicht mehr verbeamtet werden wollen, um leichter kündigen zu können. „Wenn Referendare vor dir stehen und sagen, dass sie diesen Job nicht ihr Berufsleben lang durchhalten können, wird überdeutlich, wie dringend der Handlungsbedarf ist.“ Fliegende Computer im Jobcenter „Sie blöde Kuh!“ ist harmlos – Beleidigungen gehen oft unter die Gürtellinie. Eine weitere Eskalationsstufe: Leute, die Computer durch die Gegend schmeißen und Schreibtische abräumen. Und der schlimmste Fall: Leute, die Beschäftigte mit dem Messer bedrohen, verletzen oder gar töten. Solche Vorfälle gab es in Jobcentern bereits. 2012 in Neuss. Damals starb eine Frau nach einem Messerangriff. 2020 in Rottweil: Eine Frau wurde schwer verletzt. Und 2022 in Frankfurt am Main: Ein Mann bedrohte zwei Jobcenter-Mitarbeiter mit einem Messer. Stephanie Rau arbeitet im Jobcenter Limburg-Weilburg. Derartige Fälle sind ihr nicht unbekannt, manches hat sie selbst erlebt, teils war sie als Zeugin dabei. „Man macht sich schon gar nicht mehr bewusst, wie oft man bedroht wird, aber bisher habe ich alles gut weggesteckt und musste mich nicht krankmelden. Das Gespräch im Kollegenkreis hilft, unschöne Erlebnisse zu verarbeiten.“ Das ist allerdings nicht der Regelfall. „Die Fluktuation in den Jobcentern ist höher denn je. Beschäftigte suchen das Weite, nicht selten verlassen sie den öffentlichen Dienst ganz. Das wäre vor 20 Jahren nicht denkbar gewesen.“ Dabei habe es in Jobcentern schon immer Vorfälle gegeben, berichtet Rau. Aber die Häufigkeit hat zugenommen. Ob die Situation in sozialen Brennpunkten schlimmer sei? Nicht zwingend: „Ich war zwei Jahre in Frankfurt-Höchst. Man könnte meinen, dass es hier im beschaulichen Limburg-Weilburg gesitteter zugeht. So ist es aber nicht.“ Eine entscheidende Rolle spielt aus ihrer Sicht vor allem, in welchem Umfang die Beschäftigten in den Jobcentern auf schwierige Situationen vorbereitet werden. „Deeskalationstrainings und Seminare zu interkultureller Kompetenz sind wertvolle Bausteine.“ Ein weiterer entscheidender Aspekt liegt darin, inwiefern präventive Maßnahmen in den Dienststellen zum Schutz der Beschäftigten getroffen werden, um Eskalationssituationen zu vermeiden. Hier ist aus ihrer Sicht noch viel Luft nach oben. Was passieren muss, um die Situation zu verbessern? Außer für mehr Schulungen für Beschäftigte wirbt Stephanie Rau für mehr Personal. Die Politik müsse verstehen, dass Gewalt im Jobcenter aus enttäuschten Erwartungen resultiert. „Das rechtfertigt natürlich nichts. Aber oft fehlen schlichtweg die Ressourcen, um optimal auf die Menschen einzugehen. Je mehr Erwartungen wir gerade im Hinblick auf die Bearbeitungszeiten erfüllen können, desto geringer die Eskalationsgefahr.“ Ein weiterer Punkt: Die Richtlinien zum Arbeitsschutz seien ihrer Meinung nach oft zu schwammig. „Es muss konkreter werden, weil der Staat dann auch für konkrete Maßnahmen Geld zur Verfügung stellen muss“, unterstreicht Rau. Nicht zuletzt von Bedeutung: „Wenn jemand auffällig wird und Sachen durch die Gegend schmeißt, hat das strafrechtlich in der Regel keine Konsequenzen. Das sorgt bei den Beschäftigten für Unverständnis. Hier muss es mehr Optionen geben.“ Angesichts der Umstände selbst das Handtuch zu werfen, das kommt für Stephanie Rau allerdings nicht infrage. „Dafür mache ich den Job Lehrerinnen und Lehrer stehen permanent im Fokus von Spannungen. Astrid Pradella © Privat FOKUS 13 dbb magazin | April 2025

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