INTERVIEW Prof. Dr. Jonas Rees, Universität Bielefeld Härtere Strafen für Gewalttäter reichen nicht Die gesellschaftliche Polarisierung nimmt weltweit zu. Welche Faktoren tragen aus Ihrer Sicht besonders dazu bei, dass sich gesellschaftliche Gruppen feindselig gegenüberstehen, und was sind die Folgen? Im alltäglichen sozialen Miteinander neigen wir dazu, die Menschen um uns herum in Kategorien einzuteilen – Groß und Klein, Alt und Jung, Arm und Reich. Das geschieht oft automatisch und ist zunächst einmal nichts Neues. Am Ende teilen wir aber natürlich auch immer uns selbst mit ein, dann lauten die Kategorien „wir“ und „die anderen“. Aus der Forschung zu Konflikten und Gruppendynamiken wissen wir, dass schon die bloße Einteilung anhand vollkommen unbedeutender oder zufälliger Merkmale wie Kunst- oder Musikgeschmack, Wohnort oder Augenfarbe zu Konflikten führen kann. In den vergangenen Jahren beobachten wir eine Zunahme an Konflikten, die sich im Kern um Identität und Kultur drehen. Solche Konfliktlinien verlaufen erstens deutlich tiefer, weil es dann schnell darum geht, wer „wir“ sind, was „uns“ ausmacht und wer dazugehört. Zweitens eignen sich solche Konfliktlinien dafür, politisch zugespitzt und instrumentalisiert zu werden. Wenn Gruppen sich über kulturelle oder ideologische Unterschiede definieren, werden gesellschaftspolitische Debatten emotionalisiert und Konflikte identitätsstiftend. Kompromisse erscheinen dann nicht mehr als Lösung, sondern als Bedrohung der eigenen Identität. Fakten treten hinter gefühlte Wahrheiten und Überzeugungen zurück. Dabei lebt das demokratische Miteinander ja gerade auch von der Vielfalt von Meinungen und dem faktenbasierten Diskurs. Wenn aber in die eigene, vermeintlich richtige Meinung einerseits und alle anderen, folglich falschen, Meinungen andererseits eingeteilt wird, gehen uns die Abstufungen dazwischen verloren. Dazu kommt, dass Krisen – seien sie wirtschaftlich, pandemisch oder geopolitisch, wie wir sie zuletzt zur Genüge erleben – das Bedürfnis nach klaren Antworten und auch Feindbildern verstärken, denn sie geben Halt in unsicheren Zeiten. In solchen Zeiten wächst die Anfälligkeit für einfache Erklärungen und Sündenbock-Denken. Die Folgen können verheerend sein: Der gesellschaftliche Zusammenhalt schwindet, politische Lager radikalisieren sich und das Vertrauen in demokratische Institutionen geht verloren. Polarisierung ist nicht nur ein Meinungsstreit, sondern kann zu einer ernsthaften Gefahr für das gesellschaftliche Miteinander werden. Gibt es nationale Unterschiede oder deutsche Besonderheiten? Die gesellschaftliche Polarisierung nimmt in den vergangenen Jahren in vielen westlichen Demokratien zu, folgt dabei aber unterschiedlichen Dynamiken und Mustern, weil jeweils verschiedene Ursachen zugrunde liegen. Eines der extremen Beispiele sind sicherlich die USA, in denen sich mit Demokraten und Republikanern, die inzwischen in weiten Teilen in Trumps MAGA-Bewegung aufgegangen sind, zwei nahezu unversöhnliche politische Lager gegenüberstehen. Die Situation wird verstärkt durch identitätspolitisch aufgeheizte Themen und ein stark fragmentiertes Mediensystem. Die Polarisierung führt hier inzwischen regelmäßig zu politischer Blockade, wir haben es auch immer wieder mit Gewalt zu tun. In unserem europäischen Nachbarland Frankreich verlaufen die Konflikte hingegen insbesondere entlang sozioökonomischer und kultureller Bruchlinien. Themen wie Migration, Religion und soziale Ungleichheit haben hier in den vergangenen Jahren für Proteste und Unruhen gesorgt. In anderen Ländern wie Ungarn wird die Polarisierung teilweise sogar gezielt von der Regierung genutzt, um kritische Medien und politische Gegner zu delegitimieren. Insgesamt würde ich sagen, dass wir in den USA oder Ungarn inzwischen eine Spaltung sehen, die kaum mehr überwindbar scheint. In Deutschland bin ich hoffnungsvoll, dass sich trotz zunehmender Polarisierung noch tragfähige Brücken zwischen den demokratischen Lagern finden, wenn sie denn aufrichtig gesucht werden. Wir sollten uns weniger um die offen ausgetragenen Konflikte sorgen, solange sie konstruktiv und fair bearbeitet werden. Entscheidend ist am Ende, dass wir Aushandlungsmechanismen finden, um Polarisierung und Konflikte zu regulieren. Die verdeckten und schwelenden, also unbearbeiteten Konflikte sind hingegen oft die, die Gesellschaften mittel- und langfristig weiter in die Extreme driften lassen. Jonas Rees ist Professor für Politische Psychologie am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt und arbeitet an der Konfliktakademie der Universität Bielefeld zur Wahrnehmung und Regulierung von Konflikten. © Universität Bielefeld/Sarah Jonek 18 FOKUS dbb magazin | April 2025
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