dbb magazin 7-8/2019

viele Erkenntnisse wie möglich zu gewinnen, um später aus der Kernfusion einen wirtschaftli­ chen Energieträger zu machen. „Darüber hinaus sind durchaus auch Kombinationen aus Stelle­ rator und Tokamak möglich.“ << Auch Kernforschung drastisch unterfinanziert Das riesige, meterdicke Schie­ betor aus Beton steht offen. Ralf Kleiber läuft wie selbstver­ ständlich hindurch, nachdem er sich seinen Sicherheitshelm auf­ gesetzt hat. Dahinter befindet sich eine mit Schläuchen, Roh­ ren und Kabeln übersäte Kugel, die aussieht wie eine Weltraum­ kapsel. Um sie herumwurden Edelstahlgerüste angeordnet, ähnlich denen beim Bau – nur sauberer. Auch auf der Oberflä­ che der Kugel selbst sind überall kleine Wege angelegt, mit Prit­ schen und Planken aus Holz. Sie verleihen diesem futuristisch aussehenden Koloss einen letz­ ten Charme der Improvisation. „Hier wird gerade umgebaut“, stellt Ralf Kleiber klar. Für die vielen unterschiedlichen Experi­ mente bräuchten er und seine Kollegen immer wieder neue Komponenten und Anordnun­ gen. Das dauert: Für den jetzi­ gen Umbau seien zwei Jahre veranschlagt. „Und dann kön­ nen wir wieder drei Monate lang experimentieren“, schmunzelt Kleiber. Allerdings, betont er gleich im Anschluss, müssten die Daten, die in diesen drei Monaten an­ fallen, ja auch aufbereitet und analysiert werden, bevor die nächste Experimentierphase beginnen kann. „Und da kom­ men wir eigentlich gar nicht hinterher“, meint er knapp. „Gerade für die Aufbereitung der Rohdaten könnten wir mehr Leute brauchen.“ Ein realistischer Zeitraum für wirtschaftlich arbeitende Fusi­ onsreaktoren sei die zweite Hälfte des Jahrhunderts, stellt Kleiber in Aussicht. „Wir könn­ ten auch früher“, will er seine Prognose nicht falsch verstan­ den wissen, „wenn der politi­ sche Wille da wäre und wir mehr Geld zur Verfügung hät­ ten.“ Mit den aktuellen Mitteln sei es aber nicht früher zu schaffen. Außerdem wisse er auch, dass das Thema Kern­ energie gerade in Deutschland immer noch sehr ideologisch aufgeladen ist. „Wir standen schon einmal kurz vor dem Aus“, erinnert sich Kleiber, als es beim Bau von Wendelstein 7-X Verzögerungen gab. Heutzutage ist die Finanzie­ rung des Projekts relativ stabil, auch weil Wendelstein 7-X in­ zwischen international aner­ kannt ist. Finanziert wird die Anlage vom Bund, vom Land Mecklenburg-Vorpommern und der EU. Darüber hinaus gibt es mit Japan und den USA weitere Kooperationspartner. << Atommüll nach 100 Jahren unbedenklich Wie bunt und international es hier zugeht, wird schon vor dem Gebäude deutlich. Auf dem Parkplatz wechseln sich Autos mit Wiesbadener, Hamburger und Euskirchener Nummern­ schildern ab – also die Kommu­ nen, in denen große Mietwa­ genfirmen ihre Autos zulassen. Und auch an der Pinnwand hin­ ter dem Konferenztisch, an dem Kleiber sitzt, wird die globale Dimension der Anlage sichtbar. Postkarten aus der ganzen Welt finden sich dort. Kernfusionsanlagen sind nicht zu verwechseln mit den herkömmlichen, gerade in Deutschland viel diskutier­ ten Atomkraftwerken, die auf dem Prinzip der Kernspaltung basieren. „Kernfusion ist im Gegensatz zur Spaltung ein passiv sicheres Prinzip“, gibt Kleiber Entwarnung. Ein GAU wie in Fukushima oder Tscher­ nobyl sei bei einem Fusionsre­ aktor aus mehreren Gründen gar nicht möglich. Zunächst einmal werde bei einem Störfall laut Kleiber der Fusionsprozess sofort beendet. Auch die Nachzerfallswärme würde – selbst wenn kein Kühl­ mittel vorhanden ist – im Ge­ gensatz zur Kernspaltung nicht den Schmelzpunkt von Stahl überschreiten, wodurch keine Gefahr einer Kernschmelze be­ steht. „Überhaupt“, wird der Theoretiker grundsätzlich, „fällt bei der Kernfusion für sich gese­ hen kein radioaktiver Müll an.“ Dennoch entsteht auch bei der Kernfusion strahlendes Materi­ al. „Das liegt daran, dass die Fusion in einer Röhre aus Stahl stattfindet“, bestätigt Kleiber. Und die werde mit der Zeit ra­ dioaktiv. „Aber“, betont der Physiker, „hier sprechen wir von deutlich kürzeren Lagerzei­ ten als bei der Kernspaltung.“ Mit speziellem Vanadiumstahl müssten die entsprechenden Teile nur 500 Jahre sicher gela­ gert werden. „Dann“, fügt er hinzu, „hat der Stahl eine nied­ rigere Strahlenbelastung als Kohleasche – vor der auch nie­ mand Bedenken haben muss.“ Für den alten Stahl eines Fusi­ onsreaktors brauche man folg­ lich keine Endlager, schließt Kleiber. „Da reichen die Zwi­ schenlager, die wir bereits ha­ ben, locker aus.“ Für ihn gebe es daher kaum ei­ nen Grund, auf diesen Energie­ träger zu verzichten. „Wenn wir die Hürden gemeistert bekommen“, ist sich Kleiber sicher, „können wir das Prob­ lem des wachsenden Energie­ bedarfs auf der Erde lösen.“ Text: Dominique Roth Fotos: Jan Brenner reportage << Viereckige Augen: In der Kommandozentrale können Physiker und Ingenieure bei Tests die Werte und Daten der Anlage ablesen. << Kernfusion im Reaktor Die größte Wahrscheinlichkeit, unter den auf der Erde vorherr­ schenden Bedingungen eine Kernfusion herzustellen, ist mit der Deuterium-Tritium-Reaktion. Dabei werden diese beiden Isotope des Wasserstoffs mittels Magnetspulen in einem 150 Millionen Grad heißen Plasma gehalten, sodass sie dort fusionieren. Deuteri­ um ist imMeerwasser enthalten, Tritium kann aus Lithium erbrü­ tet werden. Die Vorräte für diese beiden Ausgangsstoffe sind für mehrere Jahrtausende vorhanden. << Auch bei der Kernfusion fällt radioaktives Material an. Im Gegensatz zur Kernspaltung (rot) strahlt es jedoch nach rund 100 Jahren schon deutlich weniger stark als Kohleasche (schwarz), wenn hochwertiger Vanadiumstahl (blau) verwen­ det wird. 18 dbb > dbb magazin | Juli/August 2019

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