dbb magazin 7-8/2019
brennpunkt Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft Frust durch Frist Kaum eine Berufsgruppe ist so qualifiziert wie Wissenschaftler und Forscher. Kaum eine Berufsgruppe ist so gefragt wie Wissenschaftler und Forscher. Kaum eine Berufsgruppe ist so wichtig für Fortschritt und wirtschaftliche Ent wicklung wie Wissenschaftler und Forscher. Doch die Arbeitsbedingungen an Hochschulen und Forschungseinrich tungen sind so prekär wie in kaum einem anderen Metier. Kettenbefristungen sind die Regel – oft mit einer Vertragslaufzeit von unter einem Jahr. Das Futurium am Berliner Spreebogen. Steffens* Gesicht spiegelt sich in den dreiecki gen, türkisfarbenen Kacheln, die sich entlang der Seiten wände mit Glasscheiben ab wechseln. Auf der Vorderseite stülpt sich das gesamte Gebäu de über seinen zurückgenom menen, komplett verglasten Eingangsbereich. Alles in allem sieht es aus wie ein auf Hoch glanz polierter, nach vorne geöffneter Lüftungsschacht. Das Haus der Zukünfte, wie es auf der Homepage heißt, soll „Raum geben für Visionen und Ansätze aus Wissenschaft und Forschung für die Lösung zen traler Zukunftsherausforde rungen.“ Und weiter: „Im Kern geht es dabei immer um die Frage ‚Wie wollen wir leben?‘“ Auch Steffen hat sich diese Fra ge schon mehrfach gestellt – allerdings vor einem anderen Hintergrund. „Vor etwa einem Jahr war ich an einem Punkt in meinem Leben“, rekapituliert der 31-jährige Wissenschaftler, „da habe ich schon Zweifel an meiner beruflichen Situation gehabt.“ Junger Familienvater, befristet beschäftigt und ohne belastbare Perspektive in sei nem Institut. „Für mich war ei gentlich klar“, erklärt Steffen, „dass ich mit einer wissen schaftlichen Karriere – Dokto rand, Promotion, Postdoc – nur meine prekäre Lage vor mir her schiebe.“ Immerhin gebe es un ter seinen Kollegen genügend abschreckende Beispiele dafür. Forscher in den späten 40ern, die immer noch keine entfriste te Stelle hätten. „Einer ist sogar schon über 50“, erzählt Steffen und schüttelt den Kopf. Wie passt das zusammen? Bes tens ausgebildete, engagierte junge Menschen sind derzeit überall gefragt: laut einer aktu ellen, repräsentativen Umfrage der DZ Bank und des Banken verbandes BVR nannten 96 Pro zent der befragten Unterneh men den Fachkräftemangel als drängenstes Problem. Auf der anderen Seite beschäftigen Hochschulen und außeruniver sitäre Forschungseinrichtungen Scharen von Dok toranden und Post docs, also Wissenschaft ler, die bereits promoviert haben, immer noch befris tet – in den allermeisten Fäl- len ohne Sachgrund. Laut dem Bundesbericht Wissenschaft licher Nachwuchs (BuWiN) 2017 haben 84 Prozent aller Nachwuchswissenschaftler an außeruniversitären For schungseinrichtungen einen befristeten Arbeitsvertrag. An Hochschulen liegt die Quote gar bei 93 Prozent. Über die Hälfte aller Arbeitsverträge mit wissenschaftlichen Mitarbei tern an Hochschulen und For schungseinrichtungen wie der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft haben eine Laufzeit von unter einem Jahr. Zwölf Prozent der Promo vierenden sind sogar armuts gefährdet, weil sie weniger als 826 Euro imMonat verdienen. In deutschen Großstädten wächst ein neues, bestens aus gebildetes Prekariat heran. Sie würde es nicht noch einmal machen, nein. Nach kurzem Nachdenken ist sich Karlotta* sicher. „Vor ein paar Wochen hätte ich wahrscheinlich noch anders geantwortet“, sagt die 32-jährige Doktorandin, „aber wenn ich jetzt noch einmal die Wahl hätte, ob ich nun promo viere oder einfach anfange zu arbeiten – dann würde ich mich für das Zweite entschei den.“ Karlotta wirkt enttäuscht über die Arbeitsbedingungen in der deutschen Forschungs landschaft. Auch wenn sie na türlich grundsätzlich gewusst habe, auf was sie sich einlässt, 20 dbb > dbb magazin | Juli/August 2019
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