dbb magazin 7-8/2019

brennpunkt sagt die Sozialwissenschaftle­ rin aufgeräumt, sei für sie er­ schreckend gewesen, mit wel­ cher Konsequenz sich dieser Missstand in der täglichen Ar­ beit niederschlägt. „Professo­ ren zum Beispiel“, betont sie, „haben überhaupt kein Inte­ resse daran, Doktorarbeiten schnell durchzubekommen.“ Ihnen seien die den Promotio­ nen zugrunde liegenden Pro­ jekte oft wichtiger. Folglich bleibt den Doktoranden laut Karlotta kaum noch Zeit für ihre eigene Arbeit. „Letzten En­ des führt das alles dazu, dass wir Unmengen unbezahlter Überstunden machen müssen.“ Karlotta selbst hat offiziell eine 65-Prozent-Stelle, ist aber nach eigener Aussage zumeist Voll­ zeit mit dem Projekt beschäf­ tigt. „Die meisten von uns machen ihre Doktorarbeit ne­ benbei“, fährt sie fort. Für sie als Frau sei diese Art der Be­ schäftigung doppelt problema­ tisch. „In meinem Umfeld gibt es viele, die jetzt Kinder bekom­ men“, sagt sie, „aber das möch­ te ich mit einem Zweijahresver­ trag eigentlich nicht.“ Karlotta berichtet von viel Frust in der Wissenschaftslandschaft, der sich durch die Kettenbefristun­ gen immer breiter macht. „Die­ ses ständige Hangeln von Pro­ jekt zu Projekt, von einer Befris- tung in die nächste, sorgt für ein sehr angespanntes Arbeits­ klima.“ Ein Arbeitsklima, für das haupt­ sächlich das Wissenschaftszeit­ vertragsgesetz (WissZeitVG) verantwortlich ist, das 2007 In Kraft trat und 2018 abgeändert wurde. Es hebelt das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) für wissenschaftliches und künstlerisches Personal aus – mit ihm sind befristete Be­ schäftigungen über zwölf Jahre hinweg ohne besonderen Sach­ grund möglich. Denn für eine Doktorandenstelle wird man in der Regel bis zu sechs Jahre an­ gestellt, das gleiche gilt für die Stelle als Postdoc. In Fachkreisen haben diese Kettenbefristungen sogar schon einen entsprechenden Namen bekommen: die Zwölf- Jahres-Regel – die jedoch noch ausgeweitet werden kann, wenn etwa der entsprechende Wissenschaftler in Elternzeit geht oder Medizin studiert, dort ist es bis zu 15 Jahren zu­ lässig. Ganz ausgehebelt wird diese Befristungshöchstdauer sogar, wenn die betroffene Stelle hauptsächlich über Dritt­ mittel finanziert wird – was in der wissenschaftlichen Praxis heutzutage eher die Regel als die Ausnahme ist. Auch Karlotta ist seit kurzer Zeit auf eine über Drittmittel finanzierte Stelle gewechselt. „Dort ist die Bezahlung in der Regel besser“, erklärt sie, „außerdem sind diese Stellen näher an der Forschung und daher auch attraktiver.“ Über­ haupt gehe es in der Forschung hauptsächlich um Ansehen und Prestige. Denn mit einem ent­ sprechend prominenten Namen ließen sich leichter Drittmittel einsammeln, was wiederum dazu führt, dass diese Perso- nen größere Budgets, größere Teams und größere Forschungs­ projekte verantworten dürfen. „Drittmittel sind für Profes­ soren das A und O, mit denen werden dann neue 50 Prozent Stellen geschaffen“, meint Kar­ lotta. „Die Mehrarbeit wird einkalkuliert oder zumindest in Kauf genommen.“ Wissenschaft und Forschung sind mit der Flut an neuen Mit­ arbeitern schlicht überfordert. Es gibt keine Strukturen und keine verstetigten Mittel, den in den vergangenen zwanzig Jahren rasant angewachsenen Mittelbau an Unis und For­ schungseinrichtungen Karri­ erechancen zu bieten. Seit 2000 ist laut BUWIN der wis­ senschaftliche Nachwuchs an Hochschulen um 76 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeit­ raum stieg die Zahl der Profes­ soren nur um 21 Prozent an – ein Flaschenhals. Ein Hauen und Stechen um die begehrten Plätze ist die Folge. Ein Phänomen, das Steffen in der Wissenschaft nicht für möglich gehalten hat. Doch als er und ein paar Kollegen zusam­ men an einem Projekt arbeite­ ten, wurde er eines Besseren belehrt. „Wir brauchten Blut­ proben für ein Experiment“, schildert er den Vorgang. „Und der Kollege für die Blutproben stellte die Bedingung, dass er unter dem Bericht als Erster ge­ nannt wird – andernfalls wollte er die Proben nicht zur Verfü­ gung stellen.“ Den Erst- und Letztgenannten schiebt er er­ klärend nach, werde die Verant­ wortung für die Arbeit zuge­ schrieben. Dem Erstgenannten die inhaltliche, dem Letztge­ nannten die organisatorische. „Also für gewöhnlich die Besor­ gung der Drittmittel“, sagt Stef­ fen. Für die Beteiligten eines Projekts, die unter dem Bericht in der Regel in der Mitte stehen, würde sich hingegen kaum je­ mand interessieren. Wer de fac­ to für welchen Teil verantwort­ lich zeichnet, sei eigentlich egal. Für ihn selbst sei es inzwischen nicht mehr entscheidend, ob er vorne, hinten oder dazwischen Erwähnung findet. „Ich habe zum Glück vor ein paar Mona­ ten eine entfristete Stelle an meinem Institut bekommen“, lächelt er zufrieden. Das Hauen und Stechen überlässt er seitdem anderen. dro * Die Namen der Protagonisten wurden von der Redaktion geändert. © Dominique Roth 21 dbb > dbb magazin | Juli/August 2019

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==