dbb magazin 7-8/2019
arbeitnehmerrechte Aktuelles Urteil des EuGH zur Zeiterfassung Arbeitnehmerrechte gestärkt Was gilt in Sachen Arbeitszeiterfassung? Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019, Az.: C-55/18, scheint es so, dass ab jetzt alle Unternehmen die Regel arbeitszeit immer und in jedem Fall erfassen müs sen. Allerdings hat die Entscheidung des EuGH das nicht unmittelbar zur Folge. Der EuGH hat in sei ner Ent scheidung über eine Vor lagefrage eines spanischen Gerichts entschieden. Eine spani sche Gewerkschaft hatte Klage gegen die auch in Spanien täti ge Deutsche Bank erhoben, die die tägliche Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmerinnen und Ar beitnehmer nicht stunden genau erfasst, sondern nur ganztägige Abwesenheiten. Die spanischen Rechtsvor schriften sehen eine explizite Verpflichtung zur stundenwei sen Erfassung der Arbeitszeit so nicht vor. Im Kern ging es daher rechtlich um die Reich weite der EU-Arbeitszeitricht linie 2003/88 und darum, wie deren „praktische Wirksam keit“ sichergestellt werden kann. << Der Hintergrund Die EU-Arbeitszeitrichtlinie ist wie alle Richtlinien sogenann tes „Sekundärrecht“ der EU, das sich unmittelbar „nur“ an die Mitgliedstaaten richtet, die diese dann noch umsetzen müssen – in der Regel durch ein eigenes nationales Gesetz. Der Einzelne kann sich daher grundsätzlich nicht direkt auf eine Richtlinie berufen. Richtli nien können lediglich mittel bar über die richtlinienkonfor me Auslegung von nationalen Gesetzen auch unmittelbar wirken und so beispielsweise in einem Rechtsstreit von Be deutung sein. Vom Grundsatz her ist die Ent scheidung des EuGH eindeutig und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer positiv: Die Arbeitszeiterfassung ist aus Sicht des EuGH erforderlich. Die Arbeitszeitrichtlinie und konkret die Art. 3, 5 und 6 in Verbindung mit Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtscharta der EU sind so zu verstehen, dass sie „der Regelung eines Mitglied staates entgegenstehen, die die Arbeitgeber nicht verpflich tet ein System einzurichten, mit dem die von einer jeden Arbeitnehmerin/einem jeden Arbeitnehmer geleistete täg liche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Der EuGH betont, dass die objektive und verlässliche Be stimmung der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeits zeit für die Feststellung, ob die wöchentlichen Höchstarbeits zeiten einschließlich der Über stunden sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eingehalten worden sind, im Sinne der Richtlinie unerläss lich ist. Danach ist es erforder lich, ein objektives, verlässli ches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Allerdings stellt der EuGH auch klar, dass es den Mitgliedstaa ten obliegt, im Rahmen des ihnen insoweit eröffneten Spielraums die konkreten Mo dalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, mit dem die Arbeitszeit gemessen werden kann, und insbesondere dessen Form, festzulegen. Zudem be tont der EuGH auch die Spiel räume der Gesetzgeber und weist dadurch darauf hin, dass kein Gesetzgeber verpflichtet ist, diese Verpflichtung lücken los auszugestalten. Der „Ball“ liegt nach dieser Entscheidung daher zunächst bei den jeweili gen nationalen Gesetzgebern. Wie der deutsche Gesetzgeber dies umsetzt und gegebenen falls die Aufzeichnungspflich ten verschärft, ist noch voll kommen offen. << Die Rechtslage in Deutschland Bisher gelten in Deutschland unterschiedliche Regelungen. Eine generelle Verpflichtung, die tägliche Regelarbeitszeit genau zu erfassen, gibt es in Deutschland branchenüber greifend derzeit so nicht. Eine solche Verpflichtung gilt nur in bestimmten Branchen wie etwa dem Baugewerbe, dem Gaststätten- und Hotel-, dem Transport- und Speditionsge werbe infolge des Schwarzar beitsgesetzes sowie den vom gesetzlichen Mindestlohn be troffenen Betrieben infolge des Mindestlohngesetzes. Ansonsten gilt gemäß § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) eine Aufzeichnungs pflicht für die Arbeitszeit, die über acht Stunden werk täglich hinausgeht – das be trifft umgangssprachlich also nur „Überstunden“. << Der Druck erhöht sich Die Entscheidung des EuGH stärkt die Rechte der Arbeit nehmerinnen und Arbeitneh mer und wird Druck auf die na tionalen und damit auch den deutschen Gesetzgeber aus üben, die diesbezüglichen Re gelungen weiter zu präzisieren. Wie dies im Einzelnen im deut schen Recht aussehen wird, bleibt abzuwarten. Allerdings ist anzumerken, dass eine nachvollziehbare und verläss liche Aufzeichnung von Über stunden nur dann möglich ist, wenn im Vorfeld auch die Re gelarbeitszeit erfasst wird. Eine Ergänzung der Regelung des § 16 Abs. 2 ArbZG erscheint daher durchaus sinnvoll und auch im Sinne der Arbeitszeit richtlinie. © Colourbox.de 25 dbb > dbb magazin | Juli/August 2019
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