dbb magazin 7-8/2019

nachgefragt Für die Ziele des Klimaabkommens müssen sich alle Länder bewegen Die Fraktion Die Grünen/Euro­ päische Freie Allianz verfügt vor allem wegen des sehr starken Wahlergebnisses in Deutschland über mehr Sitze im Europäischen Parlament. Ist der Klimaschutz nur in Deutschland ein Topthema? Nein, auch in vielen anderen Ländern haben die Grünen da­ mit zulegen können. In Frank­ reich konnten wir Grünen wie in Deutschland die Zahl der Sit­ ze ungefähr verdoppeln. Wei­ tere Zugewinne kommen aus den Niederlanden, Belgien und Irland. Als Grüne/EFA-Fraktion sind wir um 50 Prozent ge­ wachsen. Aber den Wählerin­ nen und Wählern ging es nicht allein um das Klima. Die euro­ paweit erhöhte Wahlbeteili­ gung ist ein Auftrag, Europa zu stärken. Es ist eine Abwahl der ständigen Blockaden euro­ päischer Politik durch die Ber­ liner GroKo. Frankreich und andere EU- Partner halten am Atomstrom fest, Polen an der Kohle. Wie wollen Sie die grünen Politik­ ziele in Europa umsetzen? Der Erfolg der Grünen in Frank­ reich hat Macron ankündigen lassen, er wolle grüner werden. Atomenergie wird immer teu­ rer, Erneuerbare Energie rech­ net sich dagegen immer mehr, sobald sie Planungssicherheit bekommt. Im einkommens­ schwachen Osten Polens, in der Wojewodschaft Podlasie haben die von Warschau vernachläs­ sigten Bürger mit EU-Geld An­ lagen für Energie aus Sonne, Wind und Biogas gebaut. De­ ren Erfolg wird mehr Aufmerk­ samkeit schaffen. Bis Ende des Jahres muss die EU ihre Pläne abgeben, wie wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens errei­ chen können. Dafür müssen sich alle Länder bewegen. Das gilt zuerst auch für Deutsch­ land selbst. Denn die letzten zehn Jahre hat Deutschland selbst leider gebremst und die vorher durch das Erneuerbare- Energien-Gesetz gewonnene Führungsrolle wieder verloren. Was kann die Europäische Uni­ on tun, um den ökologischen Umbau zu steuern? Für Europa brauchen wir ein intelligentes Stromnetz, das die erneuerbaren Energien dezentral verknüpft und über­ regional verbindet. Das zuneh­ mende Angebot an volatilem erneuerbarem Strommuss so auch über flexibel steuerbaren Stromverbrauch clever vernetzt werden. Wir wollen dabei zu­ nächst den Schwerpunkt auf den dezentralen Ausbau set­ zen. Das ist eine große Chance für den ländlichen Raum. Dann braucht es aber auch zentrale europäische Strukturen mit Netzen und Speichern. Dabei muss auch die Kopplung ver­ schiedener Sektoren mitbe­ dacht werden, wenn Mobilität und Wärme mit der fortschrei­ tenden Stromwende zuneh­ mend elektrifiziert werden. Um mehr Speicherkapazitäten zu schaffen, setzen wir uns zudem für ein Markteinführungspro­ gramm für Energiespeicher ein. Was kann der öffentliche Dienst für das Erreichen der Klimaschutzziele tun? Auch wenn Investitionen für den Klimaschutz in erster Linie von Unternehmen und priva­ ten Haushalten kommen müs­ sen, kommt dem öffentlichen Dienst beim Klimaschutz eine wichtige Rolle zu. Der Staat muss die richtigen Rahmenbe­ dingungen setzen, dass sich individuelles ökologisches Ver­ halten auch rechnet. Eine be­ sondere Aufgabe hat der Staat als Beschaffer: Mit der richti­ gen Verwendung von Steuer­ geldern kann er dafür sorgen, dass sich nachhaltige Produkte auf demMarkt dauerhaft durchsetzen. Auch bei der Be­ reitstellung von nachhaltiger Infrastruktur kann der öffentli­ chen Dienst mit den richtigen Investitionen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Berei­ che wie die öffentliche Infra­ struktur, Gesundheit und Bil­ dung, die nicht demWettbe- werb ausgesetzt sind, sollten öffentlich organisiert werden. Dort, wo sie nichts bringen, braucht es auch keine öffent­ lich-privaten Partnerschaften. Erfolgreiche private Anbieter, die heute öffentliche Funktio­ nen erfüllen, sollten dies aber auch weiter tun können. Wie beurteilen Sie das neue Parlament und seine Zusam­ mensetzung? Das neue Europäische Parla­ ment ist bunter als zuvor. Das ist eine große Chance für poli­ tische Veränderungen. Die alte Große Koalition aus Christde­ mokraten und Sozialdemokra­ ten hat keine Mehrheit mehr. Es braucht die Liberalen und uns Grüne, um zu einer tragfä­ higen Mehrheit zu kommen. Mit unserem gestärkten Ge­ wicht wollen wir uns dabei einsetzen für den Klimaschutz, ein sozialeres Europa und star­ ke Bürgerrechte. Ob die eben­ falls gewachsenen Populisten an Einfluss gewinnen werden, hängt weniger an den Popu­ listen selbst, sondern daran, wie sehr die proeuropäischen Fraktionen ihnen hinterherlau­ fen. Wir Grünen werden das jedenfalls nicht tun. Das vollständige Interview online in Ausgabe 5 der dbb europathemen: https://bit.ly/30sFUC6 ? nachgefragt bei ... ... Sven Giegold, Mitglied der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament und Sprecher der Europagruppe Grüne << Sven Giegold © privat 27 dbb > dbb magazin | Juli/August 2019

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