dbb magazin 7-8/2019

blickpunkt „Aber die wirtschaftliche Ent­ wicklung trübt sich ein. Und in solchen Phasen brauchen Un­ ternehmen mehr Flexibilität, nicht weniger.“ Einig waren sich die beiden Verbandschefs aber darin, dass die Ansätze aus dem Koaliti­ onsvertrag nicht zielführend sind. So sind beispielsweise Quoten geplant, wie hoch der Anteil der befristet Beschäftig­ ten an der Gesamtbelegschaft sein darf. Bei Unternehmen mit bis zu 75 Mitarbeitern etwa 2,5 Prozent. „Die Metall- und Elektroindustrie ist mittel­ ständisch geprägt. Diese Gren­ ze betrifft etwa 70 Prozent unserer Mitglieder“, erklärte Dulger. „Bei 75 Beschäftigten dürfen die also keine zwei be­ fristeten Vollzeitstellen ha­ ben.“ Ein Metall-Unternehmer aus dem Publikum unterstrich, dass dies selbst bei guter Kon­ junktur für solide unternehme­ rische Entscheidungen kein ausreichender Spielraum sei. Silberbach bemängelte in die­ sem Zusammenhang vor allem die Unklarheit der Pläne: „Was bedeutet das denn für den öffentlichen Dienst? Wie ist hier der Arbeitgeber definiert? Der Staat? Die Gebietskörper­ schaft? Die Dienststelle?“ << Der Staat selbst ist „Befristungsmeister“ Dulger und Silberbach forder­ ten auch gemeinsam, dass der Staat – bevor er unklare und unpraktische Regelungen er­ lässt (Stichwort „Bürokratisie­ rung“) – auf jeden Fall auf allen Ebenen selbst mehr gegen Be­ fristungen unternehmen müs­ se. „Im öffentlichen Dienst sind 9,5 Prozent befristet beschäf­ tigt, in der Privatwirtschaft sind es 7,1 Prozent. Und in der Metall- und Elektroindustrie sogar nur 4 Prozent“, so der Gesamtmetall-Präsident. Der dbb Chef ergänzte: „Der öf­ fentliche Dienst ist nicht Vor­ reiter, sondern Schlusslicht im Kampf gegen die sachgrund­ lose Befristung. Es gibt zwar Vorbilder wie die Länder Berlin oder bald Sachsen, die auf die sachgrundlose Befristung ver­ zichten. Aber in den Bundesmi­ nisterien wurde in den letzten Jahren fast jeder zweite Be­ schäftigte befristet eingestellt. Im Geschäftsbereich des Bun­ desgesundheitsministeriums waren sogar acht von zehn Neubeschäftigten betroffen.“ Ein weiteres Beispiel dazu kam erneut aus dem Publikum. Jens Weichelt, Vorsitzender des Sächsischen Lehrerverban­ des, erläuterte, dass in vielen Ländern Lehrkräfte immer noch nur bis zu den Sommer­ ferien eingestellt werden. „Dann endet der Vertrag, sie werden arbeitslos – um dann nach den Ferien erneut einge­ stellt zu werden. Das ist ein Unding!“ Die Untauglichkeit der bisherigen Pläne zeige sich auch mit Blick auf den öffent­ lichen Dienst, erklärte Silber­ bach: „Als einzigem Arbeit­ geber steht dem Staat die sogenannte Haushaltsbefris­ tung zur Verfügung: Er kann Arbeitsverträge mit der Be­ gründung befristen, im Haus­ halt sei schlicht keine unbefris­ tete Stelle vorgesehen. Aber dieser Aspekt spielt in der politischen Diskussion bisher so gut wie keine Rolle.“ << Politik will gegensteuern Über alle Parteigrenzen hin­ weg waren sich dann auch die vier Bundestagsabgeordneten aus dem Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales auf dem Podium einig: Die gän- gige Befristungspraxis im öf­ fentlichen Dienst sei erstens ein Skandal und sollte zwei­ tens mit höchster gesetzge­ berischer Priorität angegan- gen werden. Insbesondere die Haushaltsbefristung als „Sonderrecht“ des öffentlichen Dienstes gehöre abgeschafft. Als besonders verwerflich be­ zeichneten die Politiker mit Blick auf den öffentlichen Dienst die Hire-and-fire-Praxis bei Lehrerinnen und Lehrern. „Das treibt mir die Zornesröte ins Gesicht“, sagte Wilfried Oellers (CDU/CSU) und appel­ lierte an alle Landesregierun­ gen „und damit an alle dort vertretenen Parteien“, diese unhaltbare Praxis endlich zu unterbinden. „Der eigentliche Verursacher der kritischen Befristungsfälle ist der Staat selbst“, so Oellers weiter, das belegten schon al­ lein die Zahlen. So seien in der freien Wirtschaft 92 Prozent der Arbeitsverhältnisse unbe­ fristet, und mit einem katego­ rischen Ende der Befristungs­ möglichkeiten ohne Sachgrund nähme man den privaten Ar­ beitgebern „das einzige unbü­ rokratische und rechtsfeste Flexibilisierungsinstrument“. Damit sprach Oellers bewusst gegen die Absichtserklärung im Koalitionsvertrag zur kate­ gorischen Beendigung sach­ grundloser Befristungen. „Ich halte das nicht für sinnvoll, die Befristungen werden zu Un­ recht pauschal an den Pranger gestellt.“ Dabei bleibe vollkom­ men unberücksichtigt, dass Befristungen in der Privatwirt­ schaft oft auch eine Brücken­ funktion zukomme: 43 Prozent der zunächst befristet Beschäf­ tigten würden übernommen, bis zu 25 Prozent verlängert. Demmochte Gabriele Hiller- Ohm vom Koalitionspartner SPD allerdings nicht folgen: „Wir wollen die sachgrundlose Befristung überall abschaffen“, stellte sie klar. „Befristete Ar­ beitsverhältnisse sind stets eine schwierige Situation für die Beschäftigten. Sie treffen insbesondere jüngere Men­ schen, die sich dadurch exis­ tenziellen Fragen ausgesetzt sehen – ob es nun um Famili­ enplanung oder den schlichten Lebensunterhalt geht.“ Kritik an den Befristungsab­ schaffungsplänen der Großen Koalition kam erwartungsge<< Jens Weichelt << Rainer Dulger 9 dbb > dbb magazin | Juli/August 2019

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