dbb magazin 9/2019

arbeitnehmerrechte Tarifeinheit Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Das vom dbb und anderen Gewerkschaften angestrengte Verfahren gegen das Tarifeinheitsgesetz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschen­ rechte (EGMR) befindet sich in der entscheidenden Phase. Die Bundesrepub­ lik Deutschland als Beschwerdegegner sowie die Drittbeteiligten haben ihre Stellungnahmen abgegeben. Der dbb hat mit detaillierten Erwiderungen auf die schriftlichen Erklärungen der Gegnerseite geantwortet. Der Gerichtshof wird voraussichtlich eine Entscheidung treffen, ohne eine vorherige mündli­ che Verhandlung anzusetzen. Der dbb hatte im Dezember 2017 erneut den Rechtsweg gegen das Tarifeinheitsgesetz beschritten und Individualbe­ schwerde vor dem Straßburger Gerichtshof erhoben. Nach Auffassung des dbb verstößt das Tarifeinheitsgesetz unter anderem gegen die Koalitions­ freiheit. Aus diesem Grund hatte der renommierte Ar­ beitsrechtler Prof. Dr. Wolf­ gang Däubler bereits im Jahr 2015 im Auftrag des dbb gegen das Tarifeinheitsgesetz Verfas­ sungsbeschwerde erhoben. Entgegen der Einschätzung zahlreicher Verfassungs- und Arbeitsrechtler hatte das Bun­ desverfassungsgericht das Regelwerk jedoch weitgehend als rechtskonform anerkannt. Die Verdrängung der Tarifver­ träge von Minderheitsgewerk­ schaften beeinträchtige zwar deren Koalitionsfreiheit, doch sei diese Beeinträchtigung bei entsprechender Handhabung zumutbar, hieß es in der Ur­ teilsbegründung des Karlsruher Gerichts. Durch den Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts stand der Weg zum Europäi­ schen Gerichtshof für Men­ schenrechte offen. Aus Sicht des dbb verletzt das Gesetz unter anderem das Grundrecht aus Art. 11 Abs. 1 der Konven­ tion zum Schutze der Men­ schenrechte und Grundfrei­ heiten (EMRK). Nach Art. 11 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht, [...] zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten. Dieser Grund­ rechtseingriff ist weder „ge­ setzlich vorgesehen“ noch „in einer demokratischen Gesell­ schaft notwendig“. Tarifplura­ lität ist Ausfluss grundrechtli­ cher Freiheit, Tarifollisionen sind in der Praxis selten und Konflikte Teil einzelfallbezoge­ ner Entwicklungen. Daher hat Prof. Dr. Däubler als Bevollmächtigter für den dbb auch den Weg nach Straßburg beschritten. Die Individualbe­ schwerde richtet sich, wie auch zuvor die Verfassungsbeschwer­ de, gegen das im Juli 2015 in Kraft getretene Tarifeinheits­ gesetz vom 3. Juli 2015. Die Beschwerde wurde zu­ nächst angenommen und der Beschwerdegegner, die Bundesregierung, zu seiner Stellungnahme aufgefordert. Ende April dieses Jahres lagen die Stellungnahmen der „Dritt­ beteiligten“ der Gegenseite vor. Unter anderem haben der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Deutsche Bahn AG auf die Beschwerde reagiert. Seit Anfang Juni liegt auch die Er­ klärung der Bundesregierung dem dbb vor. Auf diese Schrift­ sätze hat der dbb eingehend entgegnet. Es ist damit zu rechnen, dass keine weiteren Schriftsätze eingereicht wer­ den und der EGMR ohne münd­ liche Verhandlung eine Ent­ scheidung treffen wird. Durch Einschalten des EGMR hat der dbb die letzte Mög­ lichkeit wahrgenommen, um gerichtlich gegen das Tarif­ einheitsgesetz vorzugehen. Nicht nur der dbb hat diesen Rechtsweg beschritten. Unter anderem haben auch die Ge­ werkschaft Deutscher Lokomo­ tivführer und der Marburger Bund eine Individualbeschwer­ de gegen das Tarifeinheitsge­ setz in Straßburg eingereicht. Der dbb hofft, dass die Ent­ scheidung des Gerichtshofs zugunsten der Minderheitsge­ werkschaften ausfällt, da dies zu einer größeren Rechtssicher­ heit für die Gewerkschaftsar­ beit und zu einer Stärkung der Versammlungs- und Vereini­ gungsfreiheit führen würde. << Der EGMR ... ... ist ein auf Grundlage der Europäischen Menschen­ rechtskonvention (EMRK) eingerichteter internationa­ ler Gerichtshof mit Sitz in Straßburg. Die Konvention ist ein völkerrechtlicher Ver­ trag, in dem die Mitglieds­ staaten des Europarats übereingekommen sind, bestimmte Grundrechte zu sichern. Als Reaktion auf die Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs ist der Europarat als europäische Organisati­ on beschlossen worden, um unter anderem den Frieden in Europa zu wahren und die Menschenrechte zu schüt­ zen und zu fördern. Der Eu­ roparat besteht aus 47 Staa­ ten. Dieser darf nicht mit dem Europäischen Rat der Europäischen Union (EU) verwechselt werden. Der EGMR und die EMRK sind für das „Europa der 47“ zustän­ dig, die EU dagegen stellt das „Europa der 28“ dar. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straß­ burg erfüllt die Konventi­ onsgarantien mit Leben. << Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg © CherryX/CC-by-sa 3.0 26 dbb > dbb magazin | September 2019

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