dbb magazin 9/2019

interview Entscheidungen in öffentli­ chen Sitzungen getroffen und im Anschluss von den Wahllei­ tungen mündlich bekannt ge­ geben werden. Nationale wie internationale Wahlergebnisse gelten – frei nach dem Motto „the winner takes it all“ – als attraktives Ziel für Hackerangriffe. Wie sicher ist Deutschlands Wahl- software? Bei der Übermittlung der vorläufigen Ergebnisse kann Wahlsoftware auf allen föde­ ralen Ebenen zum Einsatz kom­ men. Es gibt keine zentrale Software. Jede Ebene entschei­ det selbst, welche Software eingesetzt wird, und ist damit auch für die Informationssi­ cherheit verantwortlich. Wir arbeiten allerdings sehr eng mit allen Sicherheitseinrich­ tungen zusammen. Hieraus ist eine Reihe von anderen organi­ satorischen und technischen Vorkehrungen entstanden, um die Ermittlung des vorläufigen Ergebnisses in der Wahlnacht zu sichern. Das endgültige Wahlergebnis wird ohnehin anhand der Niederschriften der Wahlvorstände und Wahl­ ausschüsse ermittelt. Es ist da­ her nicht von der Sicherheit von Netz- und Informations­ systemen abhängig. Selbstver­ ständlich evaluieren wir alle Systeme und Abläufe perma­ nent, um größtmögliche Si­ cherheit zu gewährleisten. Dies ist für das Vertrauen in Wahlen ein wichtiges Element. Anders als beispielsweise in den USA werden in Deutsch- land weiterhin Papierwahlzet- tel benutzt. Wann zieht auch hier die Digitalisierung ein? Werden wir in zehn oder zwan- zig Jahren vielleicht alle von zu Hause aus wählen können? Seit einigen Jahren wird die Möglichkeit einer elektroni­ schen Stimmabgabe über das Internet kontrovers diskutiert. Bei Parlamentswahlen ist die Onlinewahl bisher nur in weni­ gen Staaten zur Anwendung gekommen. Es sprechen aber durchaus wichtige rechtliche und technische Gründe gegen eine solche Möglichkeit, ins­ besondere die aktuell stets diskutierten Sicherheitsrisiken durch Manipulationsversuche von außen. Vor diesem Hinter­ grund erscheint mir die Online- stimmabgabe bei Parlaments­ wahlen problembehaftet. Ich sehe auch keine Notwendig­ keit, das über viele Jahre be­ währte Wahlverfahren in die­ ser Richtung zu verändern. Letztlich entscheidet das je­ doch immer der Gesetzgeber. In einer immer älter werdenden Bevölkerung brauchen immer mehr Wählerinnen und Wähler Hilfe beim Ausfüllen der Wahl- zettel. Sehen Sie hier Gefahren für das Wahlgeheimnis und die freie Ausübung des Wahl- rechts? Wie könnte man diesen Gefahren begegnen? Die Ausübung des Wahlrechts kann nur persönlich erfolgen. Eine Stellvertretung ist unzu­ lässig. Ältere Menschen, die beispielsweise wegen einer Behinderung an der Abgabe der Stimme gehindert sind, können sich hierzu der Hilfe einer anderen Person bedie­ nen. Die Hilfeleistung ist aber auf technische Hilfe bei der Kundgabe einer vomWahlbe­ rechtigten selbst getroffenen und geäußerten Wahlent­ scheidung beschränkt. Sie darf die selbstbestimmte Willens­ bildung nicht ersetzen oder verändern. Wer im Rahmen zulässiger Assistenz entgegen der Wahlentscheidung des Wahlberechtigten oder ohne eine geäußerte Wahlentschei­ dung eine Stimme abgibt, macht sich strafbar. Der Ge­ setzgeber hat erst kürzlich klarstellende Regelungen hier­ zu erlassen, die möglichen Gefahren bei fehlender Ein­ sichtsfähigkeit begegnen. Sie haben die Zunahme der Briefwahlquote in jüngster Zeit durchaus kritisch bewertet. Was spricht aus Ihrer Sicht ge- gen Briefwahl? Das Bundesverfassungsgericht hat der Stimmabgabe an der Urne, also amWahlsonntag, gesetzlichen Vorrang einge­ räumt. Zum einen wird durch die Briefwahl der Wahlzeit­ raum auf mehrere Wochen ge­ streckt. In manchen Wahlkrei­ sen ist die Briefwahlquote sehr hoch. Bei der Europawahl 2019 lag der höchste Landesdurch­ schnitt bei 44,2 Prozent in Rheinland-Pfalz. Natürlich ist eine hohe Wahlbeteiligung gut für den demokratischen Willensbildungsprozess. Aller­ dings stellt die Durchführung der Briefwahl alle beteiligten Wahlorgane vor große logisti­ sche Herausforderungen. Die Wahl zum Europaparla- ment wurde in Großbritannien innerhalb eines Monats orga- nisiert. Auch in Deutschland ist eine vorgezogene Bundestags- wahl inzwischen durchaus denkbar. Wie lange bräuchte man hierzulande, eine bundes- weite Wahl zu organisieren? Gemäß Art. 39 Grundgesetz findet im Fall der Auflösung des Bundestages eine Neu­ wahl innerhalb von 60 Tagen statt. Eine Neuwahl wird ent­ sprechend den Vorgaben des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung wie eine „reguläre“ Bundestagswahl – nur eben mit verkürzten Fris­ ten – vorbereitet und durch­ geführt. Dies kann und wird die Wahlorganisation in Deutschland selbstverständ­ lich gewährleisten. Zu Ihren Aufgaben gehört auch die Vorprüfung der so­ genannten Beteiligungsanzei- gen von Kleinstparteien für Bundestags- oder Europawah- len. Nach welchen Kriterien erfolgt diese Prüfung? Spielen hierbei – angesichts der Zu- nahme extremistischer Strö- mungen – auch politische Inhalte eine Rolle? Bei einer Bundestagswahl werden eingereichte Betei­ ligungsanzeigen vom Bun­ deswahlausschuss nach for­ malen Kriterien geprüft. Die Programminhalte sind nicht Gegenstand der Prüfung. Bei Europawahlen ist demgegen­ über eine derartige Anzeige gar nicht erforderlich. Hier sind die eingereichten Wahlvorschläge der Parteien und politischen Vereinigungen und ebenfalls nicht die Programminhalte Gegenstand der Prüfung. << Dr. Georg Thiel ... ... Jahrgang 1957, ist am 1. November 2017 zum Präsidenten des Statistischen Bundes­ amtes (Destatis) berufen und damit auch zum Bundeswahlleiter ernannt worden. Der gebürtige Kölner studierte Rechtswis­ senschaften in seiner Heimatstadt und schloss mit der Promotion ab. 1988 trat er in das Bundesamt für Zivilschutz ein und wurde dort Referatsleiter. Von 1997 bis 2002 leitete er das Referat „Organisation und Informationstechnik“ sowie verschiedene Projektgruppen im Bundesministerium des Innern (BMI). Anschließend war er Präsi­ dent des Technischen Hilfswerks (THW). 2006 wechselte Thiel zu­ rück ins BMI, wo er als ständiger Vertreter der Abteilungsleitung „Verwaltungsmodernisierung; Verwaltungsorganisation“ unter anderem für die Bereiche Geoinformation, Statistik, Beschaffungs­ wesen und Einheitliche Behördenrufnummer zuständig war. Von Oktober 2015 bis Oktober 2016 übernahm Thiel die stellvertreten­ de Leitung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Zum Vizepräsidenten des Statistischen Bundesamtes und Stellvertreter des Bundeswahlleiters wurde er im Oktober 2015 ernannt. Von Januar bis November 2017 war er zugleich Stellvertreter des Be­ auftragten für Flüchtlingsmanagement. 5 dbb > dbb magazin | September 2019

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