dbb magazin 10/2019

PRO Frauke Hildebrandt ist Professorin für Sozial- und Erziehungswissenschaften an der FH Potsdam und Leiterin des M.A.-Studiengangs „Frühkindliche Bildungsforschung“ von FH Potsdam und Uni Potsdam. Dreißig Jahre nach der Wende ist die Unterrepräsentanz Ostdeut­ scher auf allen Leitungsebenen, im Bund und in den Ländern er­ drückend. Nur 1,7 Prozent der Führungskräfte in Deutschland sind aus dem Osten, obwohl die Gesamtbevölkerung 18 Prozent an Ostdeutschen ausmacht. Lediglich 17 Prozent der Abteilungs­ leiter in brandenburgischen Ministerien kommen 2019 aus dem Osten, und nur zwölf Prozent der Professoren sind es an der Uni­ versität Potsdam. Soweit nur einige Zahlen, die beliebig ergänzt werden können. Das ist nicht nur ungerecht, sondern es führt auch dazu, dass vielen Ostdeutschen tagtäglich bewusst ist, nicht hinreichend vertreten zu sein. Und Menschen, die nicht vertreten sind, fühlen sich nicht zugehörig und erliegen in Teilen der Ge­ fahr, sich aus dem gemeinsamen gesellschaftlichen Zusammen­ hang zu verabschieden. Das ist soziologisch gut belegt, und wir müssen den Effekt im Osten gerade erleben. Dass Ostdeutsche minderrepräsentiert sind, hat nicht individuel­ le, sondern strukturelle Ursachen: Nach der Wende wurde die Elite im Osten systematisch ersetzt. Das war zum Teil berechtigt. Bis heute aber rekrutiert diese Elite pro & contra PRO & CONTRA Braucht Deutschland eine „Ost-Quote“ für die Besetzung von Spitzenpositionen im öffentlichen Dienst? © CDU / Jan Kopetzky © FH Potsdam CONTRA Christian Hirte ist Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie, zugleich Beauftragter der Bundesregie­ rung für die neuen Bundesländer. Eine Quote mag sinnvoll sein, wenn bestimmte Gruppen struktu­ rell benachteiligt werden. Ich sehe keinen Anhaltspunkt dafür, dass Ostdeutsche heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, nicht die gleichen Chancen hätten, sich erfolgreich auf Führungs­ positionen zu bewerben. In den 90er-Jahren hatten viele Ostdeutsche sicher noch nicht die Qualifikationen, die im vereinten Deutschland nachgefragt wurden. Davon kann heute nicht mehr die Rede sein. Ostdeut­ schen stand mit der Wiedervereinigung die gesamte Palette der Bildungsangebote offen. Heute verfügt der Osten über viele gut ausgebildete und qualifizierte Fachkräfte mit internationaler Er­ fahrung. Diese Fachkräfte sind hoch motiviert, arbeiten in mo­ dernen, innovativen Unternehmen und wollen auch Verantwor­ tung übernehmen. Wer Karriere machen möchte, muss seinen Führungsanspruch aber auch klar zum Ausdruck bringen. Nur zu hoffen, entdeckt zu werden, reicht da nicht aus. Deshalb überzeugt mich die Idee einer Quote nicht. Aber auch aus ganz praktischen Überlegungen würde sie scheitern: Wer ist denn heute „ostdeutsch“ oder „westdeutsch“? Die Uni Leipzig hat 16 dbb > dbb magazin | Oktober 2019

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