dbb magazin 10/2019

sich vor einiger Zeit an einer Definition versucht und kam zu dem Schluss: ostdeutsch ist, wer vor dem 31. Dezember 1975 auf dem Gebiet der DDR geboren wurde und bis 1989 in der DDR gelebt hat. Diese Definition schließt Angela Merkel und Wolf Biermann aus. Auch ich selbst wäre kein Ostdeutscher. Die Debatte um eine Quote für Ostdeutsche führt auch jenseits aller Ressentiments ins Leere. Die Einführung einer „Ostquote“ wäre zudem auch rechtlich pro­ blematisch. Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes garantiert die Chan­ cengleichheit beim Zugang zu öffentlichen Ämtern. Dieses hohe Gut sollten wir nicht durch eine Quotenregelung auf der Basis ei­ nes angreifbaren Kriteriums einschränken wollen. Viel wichtiger finde ich Vorbilder, die Ostdeutsche zu Karrierewe­ gen ermutigen. Zweifellos brauchen wir eine noch stärkere Sensi­ bilität derjenigen, die für die Besetzung von Führungspositionen in Verantwortung stehen. Das gilt für die Personalverwaltungen in Bundesbehörden, aber auch für die Politik, die Wirtschaft und Wissenschaft. Die gesellschaftliche Akzeptanz des gesamten Sys­ tems leidet, wenn der Eindruck entsteht, dass Personengruppen ausgegrenzt oder bevorzugt werden. In den nächsten Jahren sind durch Altersabgänge in vielen Be­ reichen Führungspositionen neu zu besetzen. Auch durch die Ansiedlungen von neuen Behörden in Ostdeutschland eröffnen sich vielversprechende Chancen für ostdeutsche Bewerber. Mein Appell ist ganz klar: Wir müssen unseren eigenen Fähigkeiten vertrauen und die Chancen nutzen. den eigenen Nachwuchs aus den alten Netzwerken. Das kann man deutlich in gehobenen Verwaltungspositionen, in den Medi­ en und auch in der Wissenschaft erkennen. Die Eltern im Osten haben berufliche Brüche erlebt. Ostdeutsch­ land wurde in den Neunzigern deindustrialisiert und hat sich bis heute nicht davon erholt. Das ist auch nicht in Sicht. Die Eltern raten aus dieser Erfahrung dazu, sichere Wege zu gehen: bloß kei­ ne Experimente! Und um in Führungsjobs zu kommen, braucht man schon einen Schuss Risikolust. Außerdem gehören die Kin­ der, wenn sie doch in Führungspositionen gelangen, plötzlich zu „denen da oben“. Da glauben junge Ostdeutsche mitunter, ihren „eigenen Leuten“ in den Rücken zu fallen. Und natürlich ist das sozialistische Erziehungsziel, die eigenen Interessen und Bedürfnisse denen der Gruppe unterzuordnen, nicht gerade jenes Ziel, das man ausgeben würde, wenn man Führungskräfte für die Gesellschaft, in der wir jetzt leben, re­ krutieren wollte. Strukturellen Nachteilen muss man strukturell begegnen, sonst kann man sie nicht beseitigen. Neben intensiven Mentoringpro­ grammen und Selbstverpflichtungen kann eine bundesweite re­ lative Quote helfen: Bei gleicher Eignung gehen Führungsjobs an ostdeutsche Bewerber(innen) so lange, bis ein Anteil von 18 Pro­ zent erreicht ist. Ostdeutsche müssen endlich angemessen vertreten sein. Alles andere ist ungerecht und beschädigt den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land. pro & contra „Strukturellen Nachteilen muss man strukturell begegnen, sonst kann man sie nicht beseitigen. Neben intensiven Mentoringprogrammen und Selbstverpflichtungen kann eine bundesweite relative Quote helfen.“ „Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes garantiert die Chancengleichheit beim Zugang zu öffentlichen Ämtern. Dieses hohe Gut soll- ten wir nicht durch eine Quotenregelung auf der Basis eines angreifbaren Kriteriums einschränken wollen.“ PRO CONTRA << Reform des Elterngeldes: Mehr Flexibilität für Familien Immer mehr Väter und Mütter wollen sich Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung gleichberechtigt teilen. Das geht aus einer aktuellen Umfrage des Bundesfamilien­ ministeriums hervor. Die dbb bundesfrau­ envertretung fordert deshalb, flexible Arbeitszeitmodelle zum Beschäftigungs­ standard zu machen. „Arbeitgebende und die Bundespolitik können nicht länger ignorieren, dass die Hälfte der Eltern eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit für sich beansprucht. Neben dem Ausbau von Ganztagsbetreuungsangeboten für Schulkinder müssen vor allem individuali­ sierbare Arbeitszeitmodelle zum Standard werden“, machte die Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung, Helene Wild­ feuer, am 10. September 2019 deutlich. Der öffentliche Dienst sei im Bereich der flexiblen Arbeitszeitgestaltung schon sehr weit: „Aber auch hier ist Luft nach oben. Das Potenzial, das der digitale Wandel den Dienststellen bietet, etwa bei der ortsun­ abhängigen Arbeitsorganisation, ist noch längst nicht ausgeschöpft.“ Mit Blick auf die geplante Reform des Elterngeldes forderte Wildfeuer die zustän­ dige Bundesministerin auf, das familienpo­ litische Instrument an die aktuellen Wün­ sche der Eltern anzupassen: „Bisher bildet das Elterngeld eine Realität ab, in der sich die bisherigen Verhältnisse von langen El­ ternzeiten für Mütter und kurzen für Väter weiter reproduzieren.“ Der Umfrage zum Thema Familie und Fami­ lienpolitik zufolge wünschen zum Beispiel rund 46 Prozent der befragten Väter und Mütter, sich Haushaltstätigkeiten und Kin­ derbetreuung besser zu teilen. Noch vor zwölf Jahren favorisierte nur rund ein Drit­ tel diese partnerschaftliche Aufteilung. Die Umfrage war am 9. September 2019 in Ber­ lin von Bundesfamilienminsterin Franziska Giffey und der Geschäftsführerin des Insti­ tuts für Demoskopie Allensbach, Renate Köcher, vorgestellt worden. Sie beruht auf der Befragung von 1200 Personen, die von Februar bis August 2019 durchgeführt wor­ den war. 17 dbb > dbb magazin | Oktober 2019

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