dbb magazin 10/2019
spezial frauen 30 Jahre friedliche Revolution Feministische Herbststürme Die Mauer fiel 1989 nicht über Nacht. Oppositi onsgruppen der 1980er bereiteten dem Umbruch den Weg. Bisher weitgehend unbekannt ist die starke Rolle der Frauenbewegung bei der Gestal tung des Aufbruchs vor 30 Jahren. Ihr feministi scher Einfluss wirkt bis heute nach. „Wenn wir nicht losgehen, geht niemand los“, schrieb eine Teil nehmerin rückblickend über den inoffiziellen Kirchentag am 8. Juli 1989 in Leipzig. Mit 500 bis 700 Teilnehmerinnen aus der ganzen DDR bildete dieses Treffen den vorläufigen Höhe punkt der nicht staatlichen Frauenbewegung. In den 1980ern hatten sich unter dem Dach der evangelischen Kirche zahlreiche Frauen vernetzt. Vor allem in größeren Städten bildeten sich staatsunabhängi ge Frauengruppen. Neben der Geschlechterproblematik dis kutierten sie kritisch die Mili tarisierung im Bildungs- und Erziehungswesen, Umweltzer störung, Homosexualität und feministische Theologie. Doch im SED-Staat herrschte Stillstand. Während im Som mer 1989 für viele die Flucht in den Westen die einzige Alter native war, wollten andere die Lethargie überwinden. Ab dem Spätsommer gründeten sich überall in der DDR neue Bür gerrechtsgruppen: unter maß geblicher Beteiligung von Frau en. So meldeten Bärbel Bohley und Katja Havemann am 19. September 1989 das Neue Fo rum (NF) an. Weitere Gruppen wie Demokratie Jetzt oder De mokratischer Aufbruch folg ten. Die Gruppen diskutierten über Reformen und Demokra tisierung, doch es wiederholte sich ein altes Muster: Ge schlechterverhältnisse galten als „Nebenwiderspruch“ und rangierten unter „Sonstiges“. << Die Revolution ist weiblich „Auch bei uns im Neuen Forum fing es wieder so an, dass die Männer redeten und die Frau en den Kaffee kochten“, berich tete Cornelia Matzke in der Leipziger Volkszeitung. 1 Davon hatten Frauen genug und gründeten zwischen Septem ber und Dezember 1989 eigene Gruppen, zum Beispiel Frauen für Veränderung in Erfurt, Frauen im Aufbruch in Karl- Marx-Stadt, die Fraueninitiati ve in Leipzig (FIL), Lila Offensive und den Unabhängigen Frau enverband (UFV) in Ostberlin. Die Frauen gingen los und ver wandelten die friedliche Revo lution in einen feministischen Herbststurm. Sie beteiligten sich an Protestaktionen und sprachen auf Demonstrationen vor Tausenden Teilnehmenden. << Aufruf der Fraueninitiative Leipzig zwischen 1989 und 1991 << Der Unabhän gige Frauen verband (UFV) konstituierte sich am 3. De zember 1989 in der Volks bühne am Rosa- Luxemburg- Platz in Berlin. © Robert-Havemann-Gesellschaft/Gisela Funke/RHG_Fo_GZ_1334 © Digitales Deutsches Frauenarchiv/GrauZone, GZ-AHe01 24 dbb > dbb magazin | Oktober 2019
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