dbb magazin 10/2019

interview organisierte Staaten wie die USA oder die Schweiz, wo im Prinzip jede staatliche Ebene ihre eigene Gesetzgebungszu­ ständigkeit hat und für den Vollzug dieser Gesetze verant­ wortlich ist. Das sind Alternati­ ven zur föderalen Verflech­ tung, wie wir sie kennen, an denen man sich – zumindest als Ausgangspunkt von Refor­ men – orientieren könnte. Welche Rolle spielt der öffent­ liche Dienst für den Zusam­ menhalt des Landes? Ist bei­ spielsweise die Ansiedlung beziehungsweise sogar Verle­ gung von Verwaltungen, wie sie in einigen Ländern schon praktiziert wird, ein gangbarer Weg, um strukturschwache Regionen zu fördern? Der öffentliche Dienst hat für die Implementation von Politik eine entscheidende Bedeu­ tung. Politiker kommen und gehen. Die Verwaltung bleibt bestehen. Politik muss führen, sie stellt die Weichen. Aber es ist die Verwaltung, die die Lo­ komotive unter Dampf hält und dafür sorgen muss, dass der Zug sein Ziel auch erreicht. Dafür braucht es gute Rah­ menbedingungen, auch Anrei­ ze für die Beschäftigten: eine angemessene materielle Aus­ stattung, familienfreundliche Arbeitsbedingungen, Anerken­ nung der Leistungen der Mitar­ beiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Zum Erfolg gehört aber mehr. Eine Verwaltung ist nur so gut wie die intrinsische Motivation derer, die sich für eine Tätigkeit als Beamter oder Angestellter entschieden haben. Dazu zäh­ len neben Pflichtbewusstsein, Fleiß und Sorgfalt auch Flexibi­ lität und die Bereitschaft, einer Verlegung von Verwaltungen nicht ablehnend gegenüberzu­ stehen, auch wenn der berufs­ bedingte Wechsel des Arbeits­ orts Unannehmlichkeiten mit sich bringt. Dienst, auch öf­ fentlicher, hat insofern immer noch ein Stück weit mit Dienen zu tun, dem bereitwilligen Er­ füllen von Aufgaben, die viel­ leicht nicht immer nur Freude machen. Ich bin überzeugt, dass der dazu nötige Wille bei den Beschäftigten unseres öf­ fentlichen Dienstes auch vor­ handen ist. Braucht Deutschland, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, eine Art neue „Erzählung“, um gesellschaftliche Gräben zu überwinden? Also etwa ein gro­ ßes gemeinsames Ziel, hinter dem sich eine Mehrheit der Bür­ gerinnen und Bürger versam­ meln kann? Und was könnte das Thema sein? Klimaschutz? Digitalisierung? Europa? Jede dieser genannten Aufga­ ben ist für sich bereits eine Auf­ gabe, die wir nur gemeinschaft­ lich lösen können. Jahrzehnte stetig wachsenden Wohlstands haben uns in eine gewisse Star­ re geführt und Saturiertheit ausgelöst, die Innovationen imWege steht. Innovationen braucht es aber bei allen drän­ genden Herausforderungen: zur Wahrung der inneren Ein­ heit, für einen verbesserten Zusammenhalt in Europa, zur Bewältigung der Herausforde­ rungen der Digitalisierung und zur Bewahrung unserer von akuter Zerstörung bedrohten natürlichen Lebensgrundlagen. Dahinter steckt eine gesell­ schaftliche Mammutaufgabe. Sie sollten wir auch als Chance begreifen, uns selbst ein Stück weit neu zu erfinden. Eine Auf­ gabe kann den Kräften eines Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger eine Richtung ge­ ben, im besten Fall mobilisiert sie die in uns steckende Energie und stärkt das Vertrauen in uns, Großes leisten zu können, statt uns an das Bestehende zu klammern, weil wir fürchten, Veränderungen nicht gewach­ sen zu sein. Davon, dass wir unsere Potenziale in Politik und Verwaltung, Forschung und Entwicklung, Wirtschaft und Gesellschaft jetzt wir­ kungsvoll ausschöpfen, hängt ab, ob wir den Wandel im 21. Jahrhundert weiter als Akteure mitgestalten werden oder zu Zaungästen werden, die nur zuschauen können, was ge­ schieht. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt. << Dr. Wolfgang Schäuble . . bekleidet seit seiner Wahl zum Präsidenten des Deut­ schen Bundestages im Ok­ tober 2017 das zweithöchs­ te Staatsamt nach dem Bundespräsidenten. Die bundespolitische Laufbahn des Christdemokraten be­ gann 1972 und trug den promovierten Juristen in höchste Ämter. Dazu zählt die Leitung des Bundes­ kanzleramts, zweimal war Schäuble Bundesinnen­ minister und von 2009 bis 2017 Bundesfinanzminister. Während seiner ersten Amtszeit als Bundesinnen­ minister war er für die Bun­ desrepublik Deutschland 1990 gemeinsammit Gün­ ther Krause, dem Parlamen­ tarischen Staatssekretär des letzten Ministerpräsidenten seitens der DDR, Verhand­ lungsführer zu dem am 2. Juli 1990 abgeschlosse­ nen Einigungsvertrag zur Auflösung der DDR. © Marco Urban (3) 5 dbb > dbb magazin | Oktober 2019

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==