dbb magazin 11/2019

reportage Aus dem oberen Stockwerk ei­ nes bahnhofsnahen Gebäudes betrachtet, wirkt das Gesche­ hen auf Stuttgarts prominen­ tester Baustelle eher wie eine Computeranimation, in der sich Fahrzeuge, Kräne und Bauleute lautlos nach geheimnisvollen Regeln bewegen. Von einer der viel befahrenen Straßen an den Rändern der Baustelle oder – noch näher – durch eines der vielen Baustellenfenster vom Hauptbahnhof aus beobachtet, lassen sich einzelne Arbeitsvor­ gänge zuordnen und zuneh­ mend deutlicher Geräusche vernehmen, die eine Ahnung davon vermitteln, welche Kräf­ te bei einem Bauvorhaben die­ ser Größe wirksam sind. Dabei geht es nicht nur um die Größe der Baustelle, die sich von Nord nach Süd auf rund 900 Meter in die Länge und von West nach Ost bis zu 80 Meter in die Breite ausdehnt, sondern auch um die Dimensi­ on dessen, was dort entsteht. Die „Talquerung mit Haupt­ bahnhof“, von Insidern mit der Abkürzung ihres Taufnamens „Planfeststellungsabschnitt 1.1“ als „PFA 1.1“ bezeichnet, war die erste Baumaßnahme von „Stuttgart 21“, die das amt­ liche Genehmigungsverfahren erfolgreich durchlaufen hatte. Sie ist das Herzstück der Neu­ ordnung des Eisenbahnknoten­ punktes Stuttgart und stellt die Bauherrin und die Bau­ unternehmen immer wieder vor Herausforderungen. << Durch die Eiszeit gerammt Darüber könnte Thomas Hau­ ser gewiss stundenlang Vorträ­ ge halten. Hauser ist Oberbau­ leiter der Firma Züblin, die als Bauunternehmung mit dem Umbau des Stuttgarter Haupt­ bahnhofes in einen unterirdi­ schen Durchgangsbahnhof beauftragt ist. Er ist seit Bau­ beginn 2012 vor Ort und kennt jede Etappe der Arbeiten, die sowohl von der Züblin-Beleg­ schaft als auch von ihren Nach­ unternehmern durchgeführt werden, die Maurer, Stahlbe­ tonbauer, Eisenflechter, Ge­ rüstbauer oder Hilfskräfte je nach Anforderung der Baulei­ tung beisteuern. Er könnte von der Planung und Realisierung des komplizierten Grundwas­ sermanagements berichten, das benötigt wird, um den Un­ tergrund für den Bau des neu­ en Bahnhofes und seiner Gleis­ anlagen vorzubereiten. Oder von der Arbeit der Landes­ archäologen, nachdem beim Aushub steinzeitliche Gräber und römische Brennöfen ans Licht kamen, die bewiesen, dass schon am ursprünglichen Lauf des Nesenbaches, der die Talmulde geschaffen hatte, in der später die Stadt Stuttgart stand, Menschen gesiedelt hatten. Doch Hauser ist Tiefbauinge­ nieur und kein Bauhistoriker. Deshalb wendet er sich an die­ sem spätsommerlich schönen Herbstmittwoch den neueren Entwicklungen im Bauab­ schnitt 12 zu. „Hier entsteht die Halle des neuen Durch­ gangsbahnhofes mit den vier 420 Meter langen und zehn Meter breiten Bahnsteigen.“ Der Untergrund des Bahnhofs ruht auf 2053 Spezialpfählen, die durch bis zu fünf eiszeitli­ che Lehm- und Schuttschich­ ten etwa acht Meter tief ge­ rammt und mit Stahl und Beton verfüllt worden sind, er­ läutert Hauser weiter. „Nach rund 20000 Arbeitsstunden beendete die mit der Pfahl­ gründung beauftragte Firma Anfang August ihre Arbeit und die meterdicke Betonplatte konnte aufgebracht werden. Zusammen mit den Pfählen bildet sie jetzt das tragfähige Fundament für die Stützen des Bahnhofsdachs.“ << Tageslicht durch Lichtaugen Die futuristisch anmutende Dachkonstruktion, die wie in Videoanimationen bereits zu sehen, als begehbarer Platz ebenerdig an den erhaltenen Teil des bisherigen Bahnhofs­ gebäudes anschließt, wird von 28 Tragelementen gehalten werden, die sich ihrer Form und Funktion wegen schon jetzt einen Platz in der modernen Architekturgeschichte erobert haben. „Das sind sogenannte Kelchstützen mit jeweils einem Lichtauge, durch das Tageslicht in die unterirdische Bahnsteig­ halle gelangt“, erklärt Michael Deufel von der Deutschen Bahn. Die Idee mit dem Natur<< Thomas Hauser, der Oberbauleiter der Firma Züblin, zeigt einen der Ret­ tungskörbe auf der Baustelle. Damit können Schwerverletzte notfalls zusammen mit Ersthelfern oder Sanitätern geborgen werden. << Am Lotsenpunkt finden Unfallhelfer nicht nur Verbandsmaterial, son­ dern auch alle notwendigen Informationen zum Verhalten in bestimm­ ten Schadensfällen und wie sie Rettungs- oder Einsatzkräfte zum Unfall­ ort dirigieren können. Auf der Großbaustelle für den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof gibt es 18 Lotsenpunkte. 15 dbb

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