dbb magazin 11/2019

reportage licht war Teil des preisgekrön­ ten Entwurfes, mit dem sich das Düsseldorfer Architekten­ büro um Christoph Ingenhofen im November 1997 unter 126 Einsendungen durchgesetzt hatte. Die ursprünglich geplan­ ten Lichtschächte wurden nach mehrfacher Überarbeitung durch eben jene Kelchstützen ersetzt, die der für seine Dach­ konstruktionen berühmte Ar­ chitekt Frei Otto entwickelt hatte: „Zu diesem Zeitpunkt ließ sich noch nicht absehen, welche technische Herausfor­ derung im Bau der Stützen steckt“, lässt DB-Mitarbeiter Deufel etwas von den Unan­ nehmlichkeiten durchblicken, die durch jede Komplikation oder Verzögerung entstehen, nicht selten Kosten weiter in die Höhe treiben und immer wieder etwas Wasser auf die Mühlen der Stuttgart-21-Kriti­ ker spülen. Hauser und Deufel gehen zum Bauabschnitt 16. Quer zur spä­ teren Gleisanlage wurde dort Mitte April die erste aus drei Kelchen bestehende Kelchreihe fertiggestellt. „Das war echte Pionierarbeit“, stimmen Baulei­ ter und Bauherr überein. In je­ der der bis zwölf Meter hohen Betonstützen mit einem Kelch­ durchmesser von rund 32 Me­ tern stecken etwa 350 Tonnen Bewehrungsstahl, die sich auf 22000 Eisenstäbe verteilen. Das sind 180 Lkw-Ladungen. Selbst die erfahrenen türki­ schen Eisenflechter hätten Mo­ nate gebraucht, die Stäbe, die teilweise in 13 Lagen überein­ anderliegen, so in Position zu bringen, dass sie den statischen Erfordernissen entsprechen. Bei der zweiten Stütze sei es – auch dank hochmoderner Tech­ nologie – deutlich schneller gegangen, berichtet Michael Deufel. „Pro Stütze gibt es bis zu 400 Baupläne. Zum besse- ren Überblick hat die Deutsche Bahn vom Hochleistungszen­ trum der Uni Stuttgart begeh­ bare 3-D-Visualisierungen der Stützen entwickeln lassen. Da­ mit können die Bauplaner für jeden Bewehrungsstab virtuell prüfen, ob er an der richtigen Stelle liegt.“ << Sicherheit durch strenge Einlasskontrollen Über Gerüste, Bohlenstege und Versorgungswege, in die Last­ wagen und Bagger zum Teil tiefe Spuren gezogen haben, führt Thomas Hauser weiter über die Baustelle, auf der täg­ lich bis zu 250 Bauhandwerker bei nahezu jedemWetter ar­ beiten. In Lärm, Staub, Matsch, unter der schwankenden Last eines Baukrans oder dem um­ triebigen An- und Abtransport von Baumaterial und Bau­ schutt bekommen Außenste­ hende schnell ein Gefühl dafür, wie zerbrechlich Menschen an einem Ort wie diesem sind. Deswegen sorgen an den Zu­ gängen zur Baustelle strenge Einlasskontrollen dafür, dass niemand von draußen ohne besonderen Grund und Erlaub­ nis das Gelände betritt. Und um die Sicherheit und Gesundheit der Menschen auf dem Bau und ihr berufs­ bedingt erhöhtes Unfallrisiko kümmert sich der gesetzliche Arbeitsschutz. Er verpflichtet Bauträger und Baufirmen, gesetzliche Vorgaben umzu­ setzen, wobei ab einer be­ stimmten Baustellengröße ein Koordinator bestellt und ein Sicherheits- und Gesund­ heitsschutzplan ausgearbeitet werden muss. „Bei einem Bauprojekt dieser Größenordnung läuft das zu­ meist korrekt ab. Etwas ande­ res können sich die Bahn und ihre Auftragnehmer gar nicht leisten“, sagt Dieter Schmid. Der Bauingenieur ist Mitarbei­ ter der Abteilung Gewerbeauf­ sicht im Stuttgarter Amt für Umweltschutz und einer von zwei Beamten, die in der Lan­ deshauptstadt für den Arbeits­ schutz der Leitbranche Bau – und damit rund 21000 Bau- stellen pro Jahr – zuständig sind. „Für das Großprojekt Stuttgart 21, das neben der Baustelle im PFA 1.1 weitere sechs Planfeststellungsab­ schnitte mit circa 15 Großbau­ stellen auf Stuttgarter Terrain umfasst, ist eigentlich eine hal­ be Stelle eingeplant. Diese ist jedoch nicht besetzt. Derzeit kümmere ich mich nebenher so gut es geht um S 21“, ergänzt der Aufsichtsbeamte und zeigt sich erleichtert, dass es dort of­ fenbar auch ohne stete Wach­ samkeit der Gewerbeaufsicht gut läuft beim Arbeitsschutz. << Mit Helm und ohne kurze Hosen Und es scheint zu laufen: Ab­ gesehen von einer Flasche mit Augenflüssigkeit als Sofort­ maßnahme gegen Verätzun­ gen, die im PFA 1.1 an einem der 18 Lotsenpunkte für Erst­ helfer fehlte, und einemwack­ ligen Holzgeländer, konnte Schmid bei seinem Rundgang über die Baustelle keine gravie­ renden Mängel ausmachen. Alle Beschäftigten trugen vor­ schriftsmäßig ihre PSA, die per­ sönliche Schutzausrüstung, die imMinimum aus Schutzhelm, signalfarbener Weste und Ar­ beitsschuhen bestehen muss, und kurze Hosen, die wegen der erhöhten Verletzungsge<< Bauhandwerker haben wegen der ständig wechselnden Arbeits­ umgebung ein erhöhtes Unfallrisiko. Bei der Arbeit am Boden … << . oder in der Bewehrung einer Kelchstütze in zwölf Metern Höhe sind sie gesetzlich verpflichtet, ihre persönliche Schutzausrüstung (PSA) zu tragen. << Michael Deufel von der Deutschen Bahn erklärt das hochmoderne 3-D-Ver­ fahren, das die Bahn vomHochleistungszentrumder Uni Stuttgart für den Bau der Kelchstützen, die das Bahnhofsdach tragen werden, entwickeln ließ. 16 dbb > dbb magazin | November 2019

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==