dbb magazin 12/2019

portrait Bewährungshelfer betreuen übrigens nicht nur Täter, die eine Bewährungsstrafe bekom- men haben, wie die Berufsbe- zeichnung fälschlicherweise vermuten lässt. Auch Täter, die nach ihrer verbüßten Haftstra- fe eine gerichtliche Führungs- aufsicht zugeteilt bekommen haben, müssen bei ihnen vor- stellig werden. Im Unterschied zur Bewährungsstrafe, bei der ein Teil der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, greift die Führungsaufsicht nach der vollständig verbüßten Freiheitsstrafe. Sie ist eine so- genannte Maßregel zur Besse- rung und Sicherung des Täters und wird etwa verhängt, wenn der Täter nach dem Aufenthalt im Gefängnis Hilfe benötigt – oder wenn nach der Inhaftie- rung noch eine erhöhte Gefahr vom Täter ausgeht. Zum Glück, sagt Seel, könne Bewährungshelfern nicht der Schwarze Peter zugeschoben werden – letzten Endes ent- scheide ja immer ein Gericht über Wohl und Wehe der Pro- banden. Bedrohungen erlebe er daher kaum. Darüber hinaus jedoch ist es für Seel auch wichtig, den Pro- banden als Mensch zu sehen: „Ich versuche immer, die Tat nicht über den Täter zu stül- pen.“ Jeder, der vor ihm sitze, bekomme eine faire Chance – egal, was er vorher getan hat und was sonst noch in seiner Akte steht. „Ich überfliege zum Beispiel die Tatschilderung in der Gerichtsakte vor dem ers- ten persönlichen Gespräch mit dem Probanden meist sowieso nur“, sagt Seel, „um keine Vor- urteile mit ins erste Gespräch zu nehmen.“ Vorurteile lege man als Bewäh- rungshelfer ohnehin ziemlich schnell ab, meint Seel weiter. Immerhin komme der gesamte Querschnitt der Gesellschaft in sein Büro. „Kriminalität gehört zur Gesellschaft dazu“, erklärt der studierte Kriminologe, „darum ist bei mir auch alles dabei: vom arbeitslosen Schul- abgänger bis hin zum ehema­ ligen Arzt.“ Ein Blick auf seine aktuellen Probanden bestätigt seine Schilderung: rund 35 Prozent davon sind zwischen 31 und 40 Jahre alt, 34 Prozent haben ei- nen Hauptschulabschluss und mehr als 80 Prozent sind Deut- sche. „Die Mär von der Auslän- derkriminalität ist ein politi- sches Konstrukt“, betont Seel. Im Gegenteil, denn Ausländer würden tendenziell häufiger kontrolliert und angezeigt als Deutsche. „Wenn Mustafa etwa eine Sachbeschädigung begeht, wird das vom Nach- barn öfter angezeigt als bei Karl-Heinz“, spitzt Seel die Sta- tistiken zu. Das einzige, was die Zahlen immer wieder zeigten, ist eine Korrelation bei Gewalt- delikten. „Da haben wir oft die Kombination ‚jung, männlich, alkoholisiert‘ – oder unter Ein- fluss von Drogen“, sagt Seel. Und in der Tat, auch seine Pro- banden sind derzeit zu 90 Pro- zent männlich. << Drehtür zwischen JVA und Bewährungshilfe Auch Stammkunden gibt es unter seinen Klienten. „Mit manchen wird man gemein- sam alt“, scherzt Seel, „man hat manchmal den Eindruck, als gäbe es bei der JVA und der Bewährungshilfe eine Drehtür.“ Die Probanden sag- ten ihm das auch direkt ins Gesicht – sie seien eben Gano- ven und sie würden sich auch nicht mehr ändern. Es gibt jedoch laut Seel auch kompliziertere Fälle, gerade bei Probanden mit psychischen Er- krankungen oder in prekären sozialen Verhältnissen. „Ich muss hier komplexe Entschei- dungen treffen“, betont er. Manchmal passe zum Beispiel der Bewährungsbeschluss ei- nes Gerichtsurteils nicht an die Gegebenheiten vor Ort – oder er sei überhaupt nicht zielfüh- rend. Dann müsse er das zu- sammen mit dem zuständigen Gericht ändern, so Seel. „Gera- de hier auf dem Land gibt es viele Therapieangebote nicht, die in einem Bewährungsbe- schluss beschrieben sind.“ Da müsse er dann alternative For- men finden, die einen erwart- baren Erfolg versprechen. Denn trotz der kritischen Dis- tanz, die er in seinem Beruf wahren muss, sind ihm die Pro- banden alles andere als egal. Das bezeugt auch das Schild auf seinem Schreibtisch. Dort steht unter der Aufschrift mit der Umsicht in großen Lettern der Satz: „Ich gebe Ihnen nicht die Hand, ich schenke Ihnen dafür ein Lächeln.“ dro << Saarland: Aktionstag für mehr Personal in der Justiz Die saarländischen Fachgewerkschaften des dbb im Justizbereich haben am 30. Oktober 2019 gemeinsammit anderen Initiatoren einen Aktionstag für mehr Personal veranstaltet. Laut ihnen ist die Funktionsfähigkeit der Justiz in Gefahr, da die Beschäftigten über Jahre hinweg über ihrem Limit arbeiten würden und sich die Situa- tion permanent verschlechtere. So fordert das Bündnis neben mehr Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern, Wachtmeistern und Geschäftsstellenkräften auch mehr Bewährungshelfer. << Die Zahl der von Seel betreuten Pro- banden beläuft sich aktuell auf 72, die zumutbare Obergrenze liegt eigentlich bei 60 Klienten. „Meine Kollegen und ich hatten aber alle auch schon 120“, sagt Seel. © Daniel Kuhn 21 dbb > dbb magazin | Dezember 2019

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