dbb magazin 12/2019

europa 3. Marginalisierung von Roma Roma leben seit Jahrhunderten in Europa und sindmit geschätz- ten sechs Millionen die größte ethnische Minderheit in der EU. Das Ausmaß an Benachteili- gung, Ausgrenzung und Dis­ kriminierung der Roma stellt rechtlich wie politisch ein Versagen in der EU und ihren Mitgliedstaaten dar. Roma er- fahren nicht nur soziale Aus- grenzung, wie beispielsweise von Roma-Kindern in Schulen, sondern auch manifesten Hass im Alltag. Die Lage der Roma bleibt eines der drängendsten Grundrechteprobleme in der EU. Für politische Entschei- dungsträger auf nationaler und europäischer Ebene sollte es da- her weiterhin Priorität haben, gezielte Maßnahmen zu ergrei- fen und die hierfür vorgesehe- nen EU-Fördermittel effektiv einzusetzen, damit sich die un- haltbare Lage der Roma in der EU substanziell verbessert. 4. Situation von Geflüchteten Im Jahr 2018 ertranken durch- schnittlich sechs Menschen pro Tag imMittelmeer. Wie Europa mit dem Schicksal dieser Men- schen umgeht, ist erschreckend; ebenso wie die Versuche, die Seenotrettung durch zivilge­ sellschaftliche Hilfsorganisatio- nen in Verruf zu bringen und teilweise zu kriminalisieren. Die Rettung in Seenot gerate- ner Menschen ist ein humanitä- rer Akt, der auf der Umsetzung geltenden Seerechts und inter- national verbriefter Menschen- rechte basiert. Die FRA beob- achtet mit besonderer Sorge die prekäre humanitäre Situati- on in den Flüchtlingslagern der Ankunftsländer, insbesondere was den Schutz und die Rechte geflüchteter Kinder betrifft, die zudem auch häufig unbe- gleitet sind (das heißt, sie sind ohne Begleitung eines für sie verantwortlichen Erwachsenen eingereist). Diesen Herbst er- scheinen daher neue FRA-Be- richte über die Rückführung von Minderjährigen in Dritt- staaten und über die Erfahrun- gen junger Flüchtlinge. 5. Schutz unserer Grundrechte im Netz Die zunehmende Digitalisie- rung und Entwicklung neuer Technologien wie der künstli- chen Intelligenz oder der Ein- satz von Gesichtserkennung in unterschiedlichen Bereichen rücken den Schutz unserer Pri- vatsphäre und persönlicher Da- ten immer stärker in den Fokus. Auch Desinformation gibt An- lass zur Sorge. Inwiefern sich künstliche Intelligenz auf die Grundrechte auswirkt, wenn etwa auf Daten mit schlechter Qualität basierende falsche Al- gorithmen angewendet wer- den, wird die FRA in Zukunft ganz besonders beschäftigen. << Neue Maßnahmen zur Grundrechtestärkung Trotz dieser erwähnten Her- ausforderungen gab es im ver- gangenen Jahr allerdings auch bestimmte Entwicklungen, die Grund zur Hoffnung geben: 1. In der EU-Rechtssetzung gab es einige bemerkenswerte Fort- schritte. So traten die Allgemei- ne Datenschutz-Grundverord- nung und die Europäische Säule sozialer Rechte in Kraft; und bei Maßnahmen zur Stärkung des EU-Außengrenzschutzes, insbe- sondere im erweiterten Man- dat der EU-Grenzschutzbehör- de Frontex, wurden verstärkt Grundrechtsaspekte mit ein­ bezogen. 2. Dass die Einhaltung der Grundrechte eine fundamenta- le Säule europäischer Demokra- tien darstellt, erfährt immer mehr politische Aufmerksam- keit. So ist die Stärkung der nationalen Menschenrechts­ institute und Antidiskriminie­ rungsstellen zunehmend in den Fokus gerückt. Auch dass in einigen Mitgliedsländern zivilgesellschaftliche Akteure massive Einschränkungen er- fahren, hat auf europäischer Ebene große Aufmerksamkeit erhalten. Nicht zuletzt wurde in den vergangenen Jahren das EU-Instrumentarium zur Wahrung der Rechtsstaatlich- keit in allen Mitgliedstaaten ausgebaut – und auch vom Eu- ropäischen Parlament, Rat, Ge- richtshof und der Kommission gegenüber einigen Mitglied- staaten angewendet. 3. Erfreulich ist auch, dass das Interesse an der EU-Grund- rechtecharta steigt. Vor allem der Europäische Gerichtshof, aber auch immer mehr nationa- le Gerichte nehmen sich die Charta zumMaßstab. Vergli- chen etwa mit den Konventio- nen der Vereinten Nationen oder des Europarats ist die EU- Grundrechtecharta mit ihren zehn Jahren noch recht jung. Deshalb ist es wichtig, weiter- hin daran zu arbeiten, dass sie in den Mitgliedstaaten ver- stärkt Eingang in Gesetzgebung und Gerichtsverfahren findet. 4. Die globalen nachhaltigen Entwicklungsziele der Verein- ten Nationen haben auch in der EU einen hohen Stellenwert er- halten. Wie eng die sogenannte Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mit den Grund- rechten zusammenhängt, ver- anschaulicht unser aktueller Grundrechtebericht in einem speziellen Kapitel. << Ausblick Damit wir in Zukunft die Grundrechte weiter verwirk­ lichen können, müssen EU-Akteure, Regierungen der Mitgliedstaaten, regionale und lokale Behörden, Sozial- partner und die Zivilgesell- schaft eng zusammenarbei- ten. Dabei ist es zunächst wesent- lich, bestehende Grundrech- testandards zu kennen und an- zuwenden. Grundrechte sind keine freiwillige Handlungs- empfehlung, sondern sie sind durch das Recht der EU und der internationalen Völkergemein- schaft garantiert. Dazu trägt die FRA bei, indemwir die EU-Insti- tutionen und die Mitgliedstaa- ten in Rechtsetzung und -um- setzung beraten und praktische Hilfe wie zum Beispiel Lehrgän- ge zur Anwendung der EU- Grundrechtecharta anbieten. Genauso wichtig wäre der schnellstmögliche Beitritt der EU zur Europäischen Menschen- rechtskonvention (EMRK), um Doppelstandards oder Ein- schränkungen in der Anwen- dung von Grundrechten durch die EU zu vermeiden. Angesichts der nachgewiese- nen Diskriminierungen aus un- terschiedlichen Gründen und in verschiedenen Bereichen wie Bildung, Sozialschutz und Zugang zu Gütern und Dienst- leistungen – wozu auch Wohn- raum zählt – unterstützt die FRA die Bemühungen des fin­ nischen Ratsvorsitzes, die seit 2008 verhandelte Allgemeine Gleichbehandlungsrichtlinie so bald wie möglich zu verab- schieden. Das würde umfas- senden EU-Rechtsschutz gegen Diskriminierung aus Gründen wie Religion, Weltanschauung, Alter, sexueller Orientierung oder einer Behinderung ge- währleisten. Die nachhaltigen Entwick- lungsziele schließlich können nicht erreicht werden, solange viele Menschen in Armut und sozialer Ausgrenzung leben, die soziale Ungleichheit zu- nimmt und bestimmte Bevöl- kerungsgruppen in ständiger Angst vor Gewalt, Belästigung oder Diskriminierung leben müssen. Die FRA kann politi- schen Entscheidungsträgern notwendige Daten und fakten- gestützte Analysen bieten, die Erfahrungen genau solcher Be- völkerungsgruppen aufzeigen und diesen Gruppen somit eine Stimme geben. Michael O’Flaherty Der Beitrag ist online auch in der aktuellen Ausgabe der dbb Europathemen erschie- nen. https://bit.ly/2D3qCKz 35 dbb > dbb magazin | Dezember 2019

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