dbb magazin 1-2/2020

dbb jahrestagung 2020 dem gezielt entgegen. Das Ziel sind gleichwertige Lebensver- hältnisse in ganz Deutschland“, erläuterte der Bundesinnen­ minister. Seehofer sprach sich auch für neue Anstrengungen zur Entschuldung von Kom ­ munen aus. „Wenn ein paar Tausend Kommunen nicht in- vestieren können, weil sie über- schuldet sind, dann sorgt das weiter für eine Ungleichheit der Lebensverhältnisse.“ Mit Blick auf die im Herbst an- stehende Einkommensrunde für die Beschäftigten von Bund und Kommunen unterstrich der Bundesinnenminister, dass der öffentliche Dienst immas- siven Wettbewerb mit der Pri- vatwirtschaft um qualifizier- tes und motiviertes Personal stehe. Deswegen sei die Schaf- fung attraktiver Einkommens- und Arbeitsbedingungen wei- terhin von großer Bedeutung. Ihm sei bewusst, so Seehofer, dass den Menschen im öffent- lichen Dienst auch das Thema Arbeitszeit auf den Nägeln brenne. Gleichwohl stellte See- hofer klar, dass eine Gleichung mehr Personal und weniger Ar- beitszeit aktuell nicht aufge- hen könne. Daher sei zunächst für eine ausreichende Perso- nalausstattung zu sorgen, erst dann könne man sich dem The- ma Arbeitszeit widmen. < Schäuble: Verwaltung ist kein Selbstzweck Einigkeit und Recht und Frei- heit: Bei der dbb Jahrestagung ging es auch um die Frage, vor welchen gesellschaftlichen He- rausforderungen die Bundesre- publik 30 Jahre nach der Wie- dervereinigung steht. Darüber diskutierten Wolfgang Schäub- le, Herfried Münkler, Kevin Kühnert und Jens Teutrine. Bundestagspräsident Wolf- gang Schäuble ging in seinem Eingangsvortrag zunächst auf den Prozess der deutschen Ein- heit ein. Dieser habe „nicht nur mutige politische Entscheidun- gen gefordert, sondern auch die engagierte Arbeit der Men- schen in der öffentlichen Ver- waltung“. Heute seien viele Führungspositionen in der Ver- waltung in Ostdeutschland im- mer noch mit Westdeutschen besetzt. „Der Grad der Einheit misst sich aber auch an den gleichen Startchancen für alle.“ Daran gelte es zu arbeiten, denn auch wenn die Einheit formal lange vollzogen sei: „Die Einheit von Fühlen und Denken ist immer noch nicht erreicht.“ Mit Blick auf das heutige Ver- hältnis von Staat und Ver­ waltung auf der einen und Bürgerinnen und Bürgern auf der anderen Seite sagte Schäub- le, dass dieses immer neu aus­ tariert werden müsse. In Zeiten der Verunsicherung durch glo- bale Herausforderungen sei der Wunsch nach einem starken Staat nachvollziehbar. „Diese – teils überzogenen – Erwar- tungen können den Staat über- fordern und in der Folge zu Ent- täuschung oder sogar Wut führen. Und: Je mehr Verant- wortung wir an den Staat abge- ben, desto enger machen wir unsere eigenen Spielräume“, so der Bundestagspräsident. Der Staat müsse daher lernen, sich selbst zurückzunehmen. „Ver- waltung ist kein Selbstzweck, sondern notwendig gegen Cha- os und Willkür. Aber wir müssen die richtige Balance finden. Ver- waltung braucht Ermessens- spielräume – und gleichzeitig den Mut, sie auch zu nutzen.“ < Podium 1: Einigkeit und Recht und Freiheit In der anschließenden Podiums- diskussion ging es insbesondere um Fragen, wie das Verhältnis zwischen bürgerlichem Engage- ment sowie Staat und Verwal- tung austariert werden könne. Politikwissenschaftler Herfried Münkler sagte: „Wer darüber nachdenkt, den Staat sicht- und erlebbarer zu machen, muss klären, auf welchen Staatsbe- griff Bezug genommen wird. Die Unterscheidung liegt zwi- schen der Wahrnehmung von politischem Handeln als Beruf und dem freiwilligen Engage- ment der Zivilgesellschaft. Wo Politik professionell ausgeübt wird, herrscht fachliche Effizi- enz. Ehrenamtliches Engage- ment wird allerdings zurück­ gedrängt.“ Abhilfe könnten „bürger-partizipative Ordnun- gen schaffen, die eine Art ge­ nerationsbewusstes ‚Könnens- bewusstsein‘ erzeugen“. Kevin Kühnert, Juso-Vorsitzen- der und seit einemMonat stell- vertretender Bundesvorsitzen- der der SPD, betonte, ein aus seiner Sicht wesentlicher „En­ gagement-Killer“ seien die jewei ligen materiellen Mög­ lichkeiten der Menschen. Vom Staat erwarte er, Demokratie dorthin zu tragen, wo die Men- schen leben. „Das muss zur politischen Priorität gehören. Sonst laufen wir Gefahr, Struk- turen vor allem in der Fläche zu vernachlässigen. Was funk­ tioniert ist, Menschen ernst zu nehmen und Teilhabe sicher­ zustellen – in jedem Alter, an jedemOrt. Wir müssen wieder einen kleinsten gemeinsamen Nenner entwickeln, was ein demokratisches soziales Ge- meinwesen bereitstellen muss. Und zwar nicht ausge- hend von der Frage, was kos- tet das, sondern geleitet von der Überlegung: Was gehört zu einem guten Leben?“, so der SPD-Vize. Jens Teutrine, Landesvorsitzen- der der Jungen Liberalen Nord- rhein-Westfalen, beklagte, dass das Interesse für parteipoliti- < Wolfgang Schäuble < Podium 1 – „Einigkeit und Recht und Freiheit“: Moderiert von Anke Plättner diskutierten Jens Teutrine, Wolfgang Schäuble, Herfried Münkler und Kevin Kühnert (von links). dbb > dbb magazin | Januar/Februar 2020 14

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==