dbb magazin 1-2/2020

<< „Wir werden gebraucht“, ist sich Physiklehrer Ibrahim Shashaa sicher. Seine Frau, ebenfalls Lehrerin, hat das Refugee Teachers Program bereits erfolgreich absolviert. reportage das Projekt eine enorme Anstren- gung, in mehrerlei Hinsicht. Angefan- gen beim aufwen- digen Auswahlver- fahren über die praktische Ausge- staltung der Lehr- veranstaltungen bis hin zur Integra- tionsarbeit für die geflüchteten Lehr- kräfte über das Qualifizierungs­ programm hinaus. Trotz der hohen Anforderungen ist das Programm be- gehrt. Die Bewer- berzahlen überstei- gen die Kapazitäten der Uni um ein Vielfaches – aus dem gesamten Bundes­ gebiet melden sich Hunderte jener rund 11 000 vom Bun- desamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) registrier- ten Geflüchteten, die in ihrem Herkunftsstaat einen Lehrer- oder lehrerähnlichen Beruf ausgeübt haben, und wollen aufgenommen werden. „Das große Interesse zeigt uns, dass wir in die richtige Richtung ge- hen“, sagt Wojciechowicz. Obwohl mittlerweile weitere Hochschulen in Deutschland ähnliche Projekte aufgelegt haben, leisten die Potsdamer weiterhin Pionierarbeit. „Dank unserer ständigen Evaluation konnten wir bereits wirksam nachsteuern und haben schon viele Antworten auf praktische Fragestellungen gefunden – etwa, wie wir eine Unter- richtsatmosphäre schaffen, die die Geflüchteten nicht ausschließt und zugleich die anderen Studierenden nicht unterfordert, oder wie wir die Praxisanteile sinnvoll erhöhen und auch die an den erfolgrei- chen Abschluss folgende Bera- tungs- und Vernetzungsarbeit verbessern können“, berichtet die Projektleiterin. Ein weiterer positiver Aspekt der neuen Zielgruppe in der Lehrerbil- dung sei die „kritische Ausein- andersetzung mit unserem System in Deutschland“, be- tont die Wissenschaftlerin. „Diese intensive Erfahrung und der enge Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern lassen uns bislang kaum hinterfragte Essentials unserer Lehreraus- bildung anders sehen – bei- spielsweise die Zwei-Fach-Regel, nach der Lehrkräfte an deutschen Schulen mindestens zwei Fächer studiert haben müssen. Solange dieses Junk- tim besteht, legen wir den Ge- flüchteten, die häufig nur ein Fach studiert haben, unnötig Steine in den Weg, sie haben ja eine Fachlichkeit auf sehr ho- hem Niveau und verfügen über das notwendige pädagogische Handwerkszeug. Anderes Bei- spiel: Wir könnten auch ein- mal überlegen, welche Mög ­ lichkeiten sich eröffnen könn- ten, wenn beispielsweise ara- bischsprachige Lehrkräfte eingestellt werden, die be- stimmte Angebote ausschließ- lich auf Arabisch anbieten wür- den“, erklärt Wojciechowicz. „Wenn wir die gesellschaftliche Teilhabe wirklich ernst nehmen, dann kommen wir zu dem Schluss, dass wir auch unser ei- genes System, unsere Lehrerbil- dung auf den Prüfstand stellen müssen, um uns anzuschauen, wer bisher einen Zugang zum Lehrerberuf findet und wem das verwehrt wird“, überlegt sie. Auch insofern sei das Pro- jekt ein „doppelter Gewinn“, wie es die damalige Branden- burger Wissenschaftsministe- rin Martina Münch anlässlich einer Zertifikatsverleihung an Refugee-Teachers-Absolventen einmal bezeichnete. „Wir su- chen händeringend Lehrerin- nen und Lehrer, die Schulen haben einen zunehmend viel- fältigeren Adressatenkreis, stellen aber ihrer Schülerschaft eine homogene Lehrerschaft gegenüber. Hier können die ge- flüchteten Kolleginnen und Kol- legen nun Abhilfe schaffen. Sie können zum einen wieder ihren Beruf ausüben und bringen auf- grund ihrer Berufserfahrungen in einem anderen Land und ih- rer Migrationserfahrung eine wertvolle Perspektive in den Bildungsprozess ein. Und wir können gleichzeitig in der Leh- rerbildung Vielfalt lernen und leben sowie Althergebrachtes hinterfragen und gegebenen- falls modernisieren – das ist zwar ein ganz schönes Puzzle, aber es lohnt sich, alle diese Teile zu einem besseren Gan- zen zusammenzufügen“, ist Wojciechowicz überzeugt. << Wegbegleiter: „Wir werden gebraucht“ Lieber heute als morgen würde Grundschullehrer Salman Al Ha- san aus Potsdam wieder anfangen zu arbeiten. In Syrien ausgebildet in zwölf Fächern, kann es der pas­ sionierte Pädagoge quasi kaum erwarten, endlich wieder mit Kindern zu ar­ beiten. Doch erstmal ist auch für ihn Pauken an der Uni in Potsdam angesagt. Neben dem Refugee Teachers Pro- gram gibt er im Rahmen eines Projekts der Regionalen Arbeits- stelle für Integration, Bildung und Demokratie nachmittags muttersprachlichen Unterricht für arabischsprachige Kinder an der Grundschule seines sieben- jährigen Sohnes – „ich finde es wichtig, die Kinder auch in die- sen Teil ihrer kulturellen Her- kunft einzuführen“, sagt er, auch das sei für ihn Integrati- onsarbeit. Die machte er auch schon während der Wartezeit auf das Uni-Programm und half als Freiwilliger in einer Potsda- mer Kita aus. „Brücken“ habe er dort gebaut, wie er sagt, beispielsweise für ein kleines syrisches Mädchen, das Angst vor den anderen Kindern hatte, weil es kein einziges Wort Deutsch verstand. Al Hasan erklärte, übersetzte, begleite- te, sodass die Kleine schließlich den Weg in die Gruppe fand. „Diesen Job können wir sehr gut“, sagt Physiklehrer Ibrahim Shashaa, der nach seiner Frau, ebenfalls Lehrerin, nun auch das Programm durchläuft und sich dafür jeden Tag zweiein- halb Stunden aus Wittenberge auf den Weg nach Potsdam macht. „Wir sind ausgebildete Pädagogen und kommen aus dem gleichen Sprach- und Kul- turraum wie die vielen Kinder, die jetzt in den Willkommens- klassen sitzen und ihren Weg in eine ihnen bislang völlig frem- de Welt finden müssen. Gleich- zeitig sprechen wir die Sprache der neuen Heimat und kennen uns schon ein bisschen besser aus mit dem Leben und den Schulerfordernissen hier. Das macht uns zu guten Wegbe- gleitern“, findet Shashaa und ist sich ganz sicher: „Wir wer- den gebraucht.“ Britta Ibald 32 dbb > dbb magazin | Januar/Februar 2020

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