dbb magazin 5/2020

corona-protokolle W ie das gesamte Land waren auch wir anfangs auf einen solchen Ausnahmezustand wie die Corona-Krise nicht vor- bereitet. Unmittelbar vor Ostern ist in der JVA Billwerder der ers- te Corona-Verdachtsfall aufgetreten, der sich Gott sei Dank nicht bestätigte. Selbstverständlich gibt es auch im Hamburger Justiz- vollzug Pandemiepläne. Weil das Ganze aber für uns eine völlig neue Situation war, lief alles etwas schleppend, und es herrschte eine große Verunsicherung. Ständig kamen neue Informationen und Anweisungen per E-Mail. Es war ziemlich anstrengend, bis sich die Prozesse eingespielt hatten. Durch das große Engage- ment unserer Kolleginnen und Kollegen und ein entsprechendes Krisenmanagement der Justizbehörde ist die Lage unter Kontrolle und die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt gewährleistet. Trotzdem bleibt die Lage fragil. Wir sind eine Anstalt des geschlossenen Vollzugs und müssen den Freiraum der Häftlinge jetzt noch stärker begrenzen. Hinzu kommt, dass wir ihnen keine Perspektiven aufzeigen können, wie lange dieser Zustand anhält. Das Sportangebot ist eingeschränkt. Einige haben durch die generellen Sicherheitsmaßnahmen zu Corona ihre Arbeit verloren. Die meisten gehen gerne zur Arbeit in unsere Werkbetriebe, die für Firmen außerhalb tätig sind, oder arbeiten in hauseigenen Betrieben innerhalb der Haftanstalt. Auch die Besuchsregelungen für die rund 750 Insassinnen und In- sassen sind reglementiert und momentan extrem eingeschränkt. Jeder Häftling darf imMonat nur eine Stunde Besuch von maxi- mal drei Personen bekommen, geschützt durch eine Glasscheibe. Ein direkter Kontakt ist nicht möglich. Besuchsausfälle werden momentan durch andere Maßnahmen wie stärkeren Telefonkon- takt kompensiert. Unsere Anstalten sind vorbereitet. Zunächst musste allerdings Platz geschaffen werden. Wie hinlänglich be- kannt ist, waren die Justizvollzugsanstalten zu Beginn der Krise brechend voll. Um Quarantänemöglichkeiten und eigens dafür vorgesehene Stationen zu schaffen, wurden Haftstrafen unter- brochen und der Antritt von Haftstrafen zurückgestellt. Wenn ein neuer Corona-Verdachtsfall auftritt, wird das betreffende Hafthaus abgeschottet. Die JVA Billwerder verfügt über mehrere Hafthäuser, die jeweils drei Stationen mit bis zu 50 Insassen be- herbergen. Die Station eines vermeintlich Infizierten wird sofort unter Quarantäne gestellt, bis sein Testergebnis vorliegt. In der Regel dauert dies etwa 48 Stunden. Solange bleiben alle in ihren Hafträumen unter Verschluss. Auch wenn die Insassen einzeln untergebracht sind, ist es nicht angenehm, auf acht Quadratme- tern eingeschlossen zu sein. Die Isolierung ist für viele unserer In- sassen schwer auszuhalten. Viele sind überhaupt nicht daran ge- wöhnt, sich an Regeln zu halten. Andere neigen zu gewalttätigen Ausbrüchen, sind psychisch labil oder als verurteilte Geflüchtete traumatisiert, weil sie aus Kriegsgebieten kommen. Gespräche mit den Bediensteten und der Informationserhalt über durchzu- führende Maßnahmen sind für die Inhaftierten enorm wichtig. Beim ersten Verdachtsfall in unserer JVA vor Ostern haben wir fest- gestellt, dass einige Insassen bereits nach 24 Stunden Einschlusszeit starke Aggressionen entwickeln. Hier ist es auch den Kollegen zu verdanken, dass derartige Situationen nicht eskalierten. Wenn das Virus trotz aller Vorkehrungen einenWeg in die JVA findet und wir unsere Pandemiestation in einem abseits gelegenen Bereich mit kurzemWeg zur medizinischen Abteilung in Betrieb nehmen müs- sen, ist es Aufgabe unserer Bediensteten, die Gewaltbereitschaft der in der Isolation befindlichen Insassen zu reduzieren und auch Selbstverletzungen oder Schlimmeres möglichst zu verhindern. Der allgemein vorgeschriebene Mindestabstand von 1,5 Metern ist in einer Haftanstalt imUmgang mit Insassen nicht aufrechtzuerhal- ten. Umso wichtiger sind die Einhaltung von Hygienemaßnahmen und der Eigenschutz durch entsprechende Ausrüstung und Desin- fektionsmittel. Mit Konsequenz gewährleisten wir die Sicherheit der Bevölkerung, ohne dabei die Betreuung der Insassen zu ver- nachlässigen, und sind dabei selbst gefährdet. Wir sehen, wie das Gesundheitswesen durch Personalmangel strapaziert ist. Im Justiz- vollzug ist es nicht anders. In solchen Situationen wie der derzeiti- gen Corona-Krise wird jedem Bediensteten ganz besonders be- wusst, welche außergewöhnliche Verantwortung man für andere trägt. Da wir hinter Mauern in geschlossenen Bereichen agieren, wird die Arbeit im Justizvollzug in der öffentlichenWahrnehmung durch Politik und Gesellschaft leider allzu oft vergessen. Trotz allem liebe ich meinen Beruf, weil er eben nicht alltäglich ist. cri Marcel Schoberth (39), Obersekretär in der JVA Hamburg-Billwerder: „Der Mindestabstand ist nicht aufrechtzuerhalten.“ chen in der Umgebung und auf Kontaktpersonen zu verhindern und so die Übertragungswege einer Corona-Infektion reduzieren“, erklärt Maibaum und berichtet von ungebrochener enthusiasti- scher Nachfrage – Kliniken, Praxen, Bürgerinnen und Bürger: „Da ist ein wahrer Tsunami über uns reingebrochen.“ Mittlerweile kümmert sich der Krisenstab der Stadtverwaltung um die Vertei- lung der Masken, rund 1000 Stück liefert das Theater pro Woche, und auf der Homepage der Spielstätte gibt es eine Do-it-yourself- Anleitung zur Atemschutz-Herstellung in Eigenregie. Auch in den anderen Theaterwerkstätten entstehen mittlerweile Schutzaus- rüstungsgegenstände, die dringend benötigt und stark nachge- fragt werden: Die Kaschierabteilung, normalerweise zuständig für ausdrucksstarke Bühnenbilder, baut Visiere aus Plexiglas, die ins- besondere auf den Isolierstationen der Kliniken benötigt werden. Für Arztpraxen, Apotheken, Behörden und Verwaltung werden Abschirmwände aus transparentem Kunststoff hergestellt. Der Technische Direktor Maibaum schlägt sich nun mit bislang eher ungekannten Problemen wie Materialnachschub herum – der Schneiderei geht das Gummiband aus, bei den Schreinern wird das Plexiglas knapp – und verfolgt gebannt bis empört die Preis- explosionen für diese gefragten Posten amMarkt: „Das ist schon bedenklich.“ Trotz aller Hürden ist aber für Maibaum und die Kol- leginnen und Kollegen klar: „Das machen wir jetzt erst mal weiter. Die ruhigere Phase wird auch für Wartungen, Renovierungen und künftige Produktionen genutzt, sodass wir sofort startklar sind, wenn die Bühne wieder frei ist“, sagt Maibaum. iba © privat 16 dbb > dbb magazin | Mai 2020

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