dbb magazin 5/2020

nachgefragt Warum messen wir diesen Be- rufen so wenig Ansehen bei? Woran liegt das? Es lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten, warum manche Berufe schlechter an- gesehen sind als andere. Aber es fällt auf, dass insbesondere Berufe, die größtenteils von Frauen ausgeübt werden, ge- sellschaftlich weniger aner- kannt werden. In der Gesund- heits- und Krankenpflege zum Beispiel sind mehr als 80 Pro- zent der Beschäftigten Frauen. Ähnlich verhält es sich zum Beispiel bei der Arzt- und Pra- xishilfe, deren gesellschaftliche Anerkennung auch weit unter dem Durchschnitt liegt und gleichzeitig mit einem Frauen- anteil von 96 Prozent fast aus- schließlich von Frauen ausge- übt wird. Aber natürlich gibt es auch Berufe, die einen hohen Frauenanteil haben und ein hohes Ansehen genießen wie zum Beispiel pharmazeutische Berufe. Wie lässt sich die Korrelation von Systemrelevanz mit gerin- gem Ansehen, niedrigen Löh- nen und einem hohen Frauen- anteil erklären? Um diese Frage zu beantwor- ten muss ich etwas weiter aus- holen, denn die Antwort auf diese Frage liegt wahrschein- lich schon in der Erziehung: Viele Tätigkeiten, die in unse- rer Gesellschaft nach wie vor als klassische „Frauenaufga- ben“ angesehen werden, wie sich um Angehörige kümmern, Putzen und den Haushalt schmeißen oder auch für Kin- der sorgen, bekommen oft schon zu Hause wenig Aner- kennung, da sie als „selbstver- ständlich“ angesehen werden. „Selbstverständlich“ lässt sich im Berufskontext gut mit „sys- temrelevant“ übersetzen, denn erst wenn etwas nicht funktio- niert, wird uns wieder bewusst, wie sehr wir diese Berufe für unsere Gesellschaft brauchen. Wie kann das Ansehen der sys- temrelevanten Berufe gestei- gert werden? Welche Maßnah- men tragen ganz konkret zu einer echten Aufwertung sys- temrelevanter Berufe bei? Einerseits beobachten wir ja bereits jetzt durch die Krise, dass die Gesellschaft auf be- stimmte Berufe ganz beson- ders angewiesen ist. Ob dies langfristig auch zu einer höhe- ren Anerkennung dieser Be- rufsgruppen führt, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Krisen bergen jedoch dieses Potenzial, so hat beispielswei- se die Finanzkrise von 2008 auch dazu geführt, dass der bis dahin weit geachtete Beruf der Bankangestellten an ge- sellschaftlichem Ansehen ein- gebüßt hat. Nichtsdestotrotz muss auf die gesellschaftliche Aufwertung systemrelevanter Berufe aber eine finanzielle Aufwertung folgen. Ein mögli- ches Mittel wäre eine Auswei- tung der Tarifbindung. So be- obachten wir beispielsweise schon heute, dass innerhalb der Gruppe systemrelevanter Berufe diejenigen Berufsgrup- pen besser entlohnt werden, in denen es eine hohe Tarif- bindung gibt. Dazu gehören beispielsweise Berufe im Poli- zeivollzug, aber auch in der öffentlichen Verwaltung. Tra- ditionell sind dabei vor allem „Männerberufe“ gut tarifver- traglich abgesichert, da sich Gewerkschaften historisch im industriellen Sektor gebil- det haben. Das heißt, dass es hier starke Gewerkschaften braucht, um allgemeinver- bindliche Tarifverträge auch für weitere Berufsgruppen durchzusetzen. Corona könnte diesen Prozess verstärken: Die Twitter-Kanäle sind derzeit voll von Tweets systemrele- vant Beschäftigter, die einma- lige Corona-Prämien ablehnen und – zu Recht – mehr fordern als geringe Adhoc-Bonuszah- lungen. Denn letztlich schützt kein Danke und auch keine geringe Bonuszahlung vor Altersarmut. Die Corona-Krise offenbart aber noch eine weitere Dimen- sion der Problematik: Durch Schul- und Kitaschließungen entsteht ein Betreuungsvaku- um. Auch hier sind es wieder die Frauen, von denen man er- wartet, im Homeoffice Arbeit, Haushalt und Homeschooling zu vereinen. Warum nicht auch von den Männern? Brauchen wir eine neue Debatte über die Verteilung von Care-Arbeit? Dass es häufig Frauen sind, die die Care-Arbeit überneh- men, wenn beide Elternteile im Homeoffice sind, ist leider nicht sehr überraschend. Meine Kollegin und Studien-Co-Auto- rin Claire Samtleben hat letztes Jahr in einer Studie gezeigt, dass Frauen auch an erwerbs- freien Tagen deutlich mehr Zeit mit Kinderbetreuung verbrin- gen als Männer. Aber warum ist das so? Charlotte Roche hat einmal gesagt „die Gleichbe- rechtigung endet mit dem Tag der Geburt des ersten Kindes“ und damit trifft sie den Nagel auf den Kopf. Denn nach der Geburt des ersten Kindes un- terbricht die Mutter in den meisten Fällen für eine längere Zeit ihre Erwerbstätigkeit und arbeitet danach in Teilzeit wei- ter, während der Vater fast ohne Unterbrechung seine Vollzeiterwerbstätigkeit wei- terführt. Das hat zur Folge, dass sich durch die Geburt des ersten Kindes oft eine tradi­ tionelle Rollenverteilung ein- schleicht, die dazu führt, dass es vor allem Frauen sind, die für die Sorgearbeit zuständig sind. Das führt im Übrigen auch dazu, dass die Löhne von Frau- en nach der Geburt des ersten Kindes stagnieren, während die von Männern unverändert ansteigen, wie meine Kollegin Annekatrin Schrenker und ich erst kürzlich gezeigt haben. Doch kann gegen diese Un- gleichverteilung der Sorgear- beit etwas getan werden? Ja! Denn neue Untersuchungen zeigen, dass Männer, die mehr als zwei Monate Elternzeit ge- nommen haben, und damit auch tagsüber alleine für das Kind verantwortlich waren, auch langfristig mehr Sorge­ arbeit übernehmen. Das be- deutet aber auch, dass jede und jeder etwas Verantwor- tung abgeben muss: Männer im Berufsleben und Frauen bei der Sorgearbeit. Inwieweit trägt eine Aufwer- tung der Berufe zur Verringe- rung des Gender Pay Gaps bei? Der Gender Pay Gap beträgt heute 20 Prozent und ein er- heblicher Teil davon ist auf den Beruf zurückzuführen. Das bedeutet: Frauen haben im Schnitt ein geringeres Lohn- niveau als Männer, weil sie häufig in Berufen mit geringe- ren Löhnen arbeiten. Würde man also systemrelevante Be- rufe mit einem hohen Frauen- anteil und einem geringen Lohnniveau wie zum Beispiel Reinigungs- oder Gesundheits- und Krankenpflegeberufe auf- werten und substanziell besser bezahlen, wie das in vielen an- deren europäischen Ländern auch praktiziert wird, könnte das den unbereinigten Gender Pay Gap erheblich reduzieren. Welchen Wert hat bezahlte und unbezahlte reproduktive Arbeit für die wirtschaftliche Entwicklung mit Blick auf die Zeit nach der Krise? Die Definition des Begriffs re- produktiver Arbeit kann diese Frage schon zu Teilen beant- worten, denn in der Soziologie versteht man unter reproduk- tiver Arbeit diejenigen Tätig- keiten, die zum Erhalt der menschlichen Arbeitskraft notwendig sind. Das bedeu- tet, dass diese Tätigkeiten überhaupt ermöglichen, dass produktive Arbeit geleistet werden kann. Die Corona-Kri- se hat gezeigt, dass diese Be- schäftigten – um es in den Worten von Angela Merkel zu sagen – „den Laden am Lau- fen halten“. Somit macht die Krise ganz deutlich, welchen Wert diese Tätigkeiten für un- ser gesellschaftliches Leben haben. Es ist zu hoffen, dass die Anerkennung dafür auch nach Corona erhalten bleibt. 21 dbb > dbb magazin | Mai 2020

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