dbb magazin 6/2020

senioren Seniorinnen und Senioren in der Pandemie Die Würde aller achten Auch nach den vielen Wochen mit Berichten über und Kommentaren zur Corona-Pande­ mie und ihren unmittelbaren und langfris­ tigen Folgen – sie bleibt das uns unverän­ dert bestimmende Thema. Die Frage ist: Wo und wie kommen wir Seniorinnen und Senioren in all den Berichten, klugen Analy­ sen und noch besseren Kommentaren der tat­ sächlichen und selbsternannten Experten vor? Nach der anfänglichen Konzen­ tration auf die medizinischen Aspekte der Pandemie mit ei­ ner großen Übereinstimmung in Politik, Wissenschaft und Bevölkerung haben sich spä­ testens mit den ersten Be­ schlüssen zur Lockerung der ursprünglich strengen Ein­ schränkungen erhebliche Un­ terschiede in unserem Land gezeigt und tiefe Gräben auf­ getan. Dabei geht es wie so häufig vor allem ums Geld. Was wird da nicht alles und von wem gefordert! Kaum eine Interessenvertretung lässt sich die Gelegenheit nehmen, mit dem Argument „Corona“ den Staat umMillionen oder Milli­ arden anzubetteln. Starke Lob­ byorganisationen internatio­ naler Großkonzerne fordern milliardenschwere Hilfen vom Steuerzahler, um sich zu sanie­ ren oder wirtschaftlich neu aufzustellen und gleichzeitig ohne Skrupel weiterhin hohe Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten zu können. Dort­ hin, wo angesichts der Pande­ mie und der Nöte unzähliger Menschen wirklich größere Geldsummen notwendig sind, sollen stattdessen vergleichs­ weise Taschengeldbeträge überwiesen werden. Dabei dürfen wir eines nicht vergessen: Forderungen an „den Staat“ sind Forderungen an die Steuerzahlenden. Geld also, das aus einem Haushalts­ titel von Bund, Ländern oder Kommunen kommt. Es kann an anderer Stelle nicht eingesetzt werden und führt dort zu Man­ gelerscheinungen. Steuermil­ liarden für die Autoindustrie und die Luftfahrtunterneh­ men, Kaufhäuser und Maschi­ nenbauer fehlen so zum Bei­ spiel für dringend notwendige Investitionen in Ausstattung und Personal für die Pflege. Die Diskussion um die Sonderboni für Pflegekräfte zeigt, wie es dann gehen soll: Sie sollen zu zwei Dritteln aus den Mitteln der Pflegeversicherungen fi­ nanziert werden. Dachte da ir­ gendwer im Bundestag ernst­ haft an die Pflichtaufgaben der Pflegeversicherung und deren finanzielle Ausstattung? Oder gar an die unweigerlich stei­ genden Kosten für die Betrof­ fenen und Bedürftigen? Zurück zur Ausgangsfrage: Ja, man denkt an uns Ältere – rhetorisch und in Schriftbeiträ­ gen als „Risikogruppe ab 65“, als „in Pflegeeinrichtungen massiv unter der erzwungenen Einsamkeit Leidende“ oder auch als „bestmöglich vor In­ fektionen zu Schützende“. Ein­ samkeit bedeute „ein größeres Gesundheitsrisiko als das Coro­ navirus selbst“. Nicht zuletzt macht mancher sich auch Ge­ danken darüber, ob nicht wir Älteren im Besonderen von den Einschränkungen der Grundrechte gemäß Grundge­ setz betroffen seien und damit nach Art. 3 diskriminiert. Richtig ist sicher, dass hier manchmal durch die Verwen­ dung bestimmter Worte und Begriffe eine Pauschalisierung ganzer Personen- oder Alters­ gruppen vorgenommen wird, wie auch eine eingeschränkte Wahrnehmung von Seniorin­ nen und Senioren als Individu­ en festzustellen ist. Aber gleich die Sprachkeule der Diskrimi­ nierung zu bemühen, ist wohl doch stark übertrieben. Wie ich überhaupt die Diskussion um die Einschränkung der Grundrechte durch die Regie­ rungsanordnungen als eigen­ artig empfinde. Das Grundge­ setz lässt Einschränkungen zu; so dürfen zum Beispiel durch die Wahrnehmung des Rechts auf freie Entfaltung der Per­ sönlichkeit Rechte anderer nicht verletzt (Art. 2 GG) oder das Recht auf Freizügigkeit durch Gesetz unter anderem zur Bekämpfung von Seuchen­ gefahr eingeschränkt werden (Art. 11 GG). Letztlich hilft doch der gesun­ de Menschenverstand. Die Achtung der Würde aller mei­ ner Mitmenschen nehme ich so ernst wie meine Individual­ rechte gemäß Grundgesetz und betrachte dies weder als Diskriminierung meiner Alters­ gruppe noch als grundsätzli­ ches Problem unseres demo­ kratischen Rechtsstaates. Natürlich gehe ich dabei davon aus, dass die Politik ihre Ent­ scheidungen nach sorgfältiger Abwägung von Zweck und Mit­ tel wie von Maßnahmen und Folgen trifft und dabei die Ver­ fassungsmäßigkeit einhält. Ich erwarte zudem, dass sie die Erkenntnisse der Wissenschaft zu akzeptieren und bewerten weiß, wohl bedenkend, dass nicht die Wissenschaft, sondern allein die Politik über Maßnah­ men zu entscheiden hat. Horst Günther Klitzing << Der Autor … . ist Vorsitzender der dbb bundesseniorenvertretung. In seiner letzten beruflichen Funktion war der Ministeri­ alrat von 2007 bis zu seiner Pensionierung 2013 Leiter des Staatlichen Prüfungs­ amtes für das Lehramt an Schulen beim saarländi­ schen Kultusministerium. © Colourbox.de 35 dbb > dbb magazin | Juni 2020

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