dbb magazin 7-8/2020
frauen politik erfolgreich gestalten will, muss ich zweigleisig fahren. Ich muss immer gerüstet sein – be- reits vor der gesetzlichen Durch- setzung –, den Rechtsweg zu nehmen und parallel dazu den politischen Pfad zu beschreiten. Dafür braucht man einen lan- gen Atem und ausreichend Ex- pertinnenwissen. Ein gutes Beispiel ist die Ab- schaffung des Versorgungs abschlags. Dafür haben wir fünf Jahre gebraucht. Wir hat- ten einen Präzedenzfall, den wir mit Rechtsschutz des dbb bis zum Bundesverfassungs gericht erfolgreich durchge- kämpft haben. Dank eines EuGH-Urteils wurde dieser als indirekte Diskriminierung von Frauen schließlich auch rückwirkend gekippt. Ein weiteres Beispiel ist die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Auch hier haben wir ein Ver fahren geführt – vor dem Bun- desfinanzhof. Wir wollten die Absetzbarkeit von Kinderbe- treuungskosten als Werbungs- kosten beziehungsweise Be- triebsausgaben durchsetzen, und zwar „zur Erhaltung und Sicherung des Arbeitsplatzes“, wie es so schön im Steuerrecht heißt. Wir haben schließlich ei- nen beachtenswerten Teilerfolg erstritten. Zwar hatte der BFH die Klage in zweiter Instanz ab- gewiesen, aber mit dem Hin- weis, es sei begründet, die Rechtslage zu prüfen. Darauf- hin reichten wir beim Bundes- verfassungsgericht Verfas- sungsbeschwerde ein. Weil aufgrund des zunehmenden politischen Drucks zwischen- zeitlich die entscheidende Ge- setzesänderung auf dem Tisch lag, war das Verfahren been- det: Kinderbetreuungskosten sind seither auch als Werbungs- kosten oder als Sonderausga- ben steuerlich absetzbar. Bei der Durchsetzung der Anerken- nung von Kindererziehungszei- ten bei Rente und Versorgung ging nur der politische Weg. Dafür brauchten wir 20 Jahre. Worin sehen Sie die frauenpoli- tischen Herausforderungen für die Zukunft? Die Quotendiskussion ist nach wie vor in aller Munde. Aber auch die Folgen der Corona- Krise werden uns gleichstel- lungspolitisch fordern – finan- ziell und strukturell. Ich bin sehr froh, dass wir die „Mütter- rente“ auch für Beamtinnen finanziell noch vor Corona durchgesetzt haben. Expertin- nen sehen erste Anzeichen ei- ner Retraditionalisierung der klassischen Rollenverteilung, die uns in Sachen Gleichstel- lung bis zu 30 Jahre zurückwer- fen könnte. Das wäre der Stand 1990, also genau die Zeit, in der ich frauenpolitisch aktiv wurde. Das macht mir Sorgen. Es wird viel Kraft kosten, das abzuwenden. Milanie Hengst, stimmen Sie dem zu? Ja, auch ich glaube, dass durch die Corona-Krise ein noch viel differenzierterer Blick auf die Gleichstellungspolitik nötig wird. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, wel- che gesellschaftlichen Zwän- gen uns in tradierte Rollen- muster drängen. Bei all den drohenden Rückschritten bin ich aber auch fest davon über- zeugt, dass die positiven Ne- beneffekte des Lockdowns eine echte Chance für einen Kultur- wandel in sich tragen. Viele Männer haben auch von zu Hause aus gearbeitet, haben sich mehr um die Kinder ge- kümmert als normalerweise, haben dadurch vielleicht sogar eine stärkere Bindung zu ihren Kindern aufgebaut. Auf jeden Fall, und das zeigen auch aktu- elle Umfragen, hat sich ihre Wertschätzung gegenüber den Tätigkeiten im Haushalt positiv verändert. Die Diskussion über die zukünftige Aufteilung der Care-Arbeit muss nun in den Familien stattfinden. Reichen ein paar Monate im Homeoffice wirklich aus, um einen Mentalitätswandel zu bewirken? Sagen wir, die Tür steht jetzt einen Spalt breit offen. Die Po- litik und die Arbeitgebenden müssen sie jetzt ganz aufsto- ßen, und zwar mit wirkungs- vollen Maßnahmen. Hier müs- sen wir über den Zugang zu Mandaten sprechen – egal ob politisch, gewerkschaftlich oder beruflich. Die Reform des Führungspositionengesetzes ist ein Baustein. Brauchen wir die Quote? Ja. Definitiv. Nur wenn wir vom Ziel her denken und sa- gen, wir wollen Frauen in Füh- rungspositionen, machen wir uns auch tatsächlich auf den Weg, Frauen von Anfang an zu fördern. Halten wir aber wei- terhin an Absichtserklärungen und flexiblen Kann-Quoten fest, werden wir immer wie- der zu hören bekommen: Ja, wenn wir gute Frauen hätten, würden wir sie auch in Füh- rung bringen. Verwaltung, Politik, aber auch die Gewerk- schaften müssen hieran noch arbeiten. Die Quote ist die Forderung, aber das Ziel muss die Parität sein. Wenn sich Frauen dann noch verstärkt auf Führungspositio- nen bewerben und für politi- sche Mandate kandidieren, beschleunigt das den Prozess enorm. Es geht für mich hier auch immer um den Dreiklang Vereinbarkeit von Familie, Be- ruf und Macht. Wenn Mütter in eine Führungsposition kom- men, müssen die familiären Aufgaben damit vereinbar sein. << Helene Wildfeuer << Milanie Hengst 33 dbb > dbb magazin | Juli/August 2020
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