dbb magazin 9/2020
drei fragen an ? ? ? drei fragen an ... … Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz Naturnahe Wälder fördern 1 Um den Wald steht es nicht gut. Fachleute gehen von einem Schadholzbefall von 160 Millionen Kubikmetern und einer Fläche von 245 000 Hektar aus, die wiederbewal- det werden müssen … Die Folgen des Klimawandels sind inzwischen vielerorts deutlich in unseren Wäldern zu erkennen. Und es ist zu befürchten, dass die Heraus- forderungen an die Bewirt- schaftung unserer Wälder und den Waldnaturschutz weiter wachsen.Die aktuelle Situati- on kann aber auch eine Chan- ce bedeuten: Vor allem das Absterben der in Deutschland überwiegenden, naturfernen und meist nicht standortge- rechten Fichtenforste bietet Raum für die Entwicklung na- turnäherer und besser ange- passter Waldökosysteme. Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, von denen viele als gefährdet in unseren Roten Listen ge- führt werden, profitieren von dem zusätzlichen Totholz und ungesteuerten, natürlichen Sukzessionsprozessen. Dazu brauchen wir jedoch vor allem Geduld und Vertrauen, dass der Wald sich an den Klima- wandel ein Stück weit selbst anpassen kann. Damit unterscheidet sich unse- re Sichtweise naturgemäß von der eines erwerbswirtschaft- lich arbeitenden Forstbetrie- bes, für den die absterbenden Nadelholzbestände existenz bedrohende Verluste darstellen können. Die Bundesregierung hat deshalb auch schnell viel Geld bereitgestellt, umWald- besitzerinnen und Waldbesit- zern in der aktuellen Situation zu helfen und die Entwicklung zukunftsfähiger Konzepte für den Schutz und die Nutzung des Waldes zu fördern. Waldbesitz und Naturschutz eint das Ziel, die Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit un- serer Wälder zu fördern. Denn der Wald hat in Deutschland einen ökonomisch wie kultu- rell wichtigen Stellenwert, und das soll auch so bleiben. Dies kann aber nur gelingen, wenn wir Wälder wieder na- turnäher und stärker als kom- plexe, dynamische Ökosyste- me betrachten, die neben der Holzerzeugung auch vielfälti- ge andere ökologische Leis- tungen für Natur und Gesell- schaft erbringen, sei es die Regulierung des örtlichen Kli- ma- und Wasserhaushalts, als Freizeit- und Erholungsraum oder die Kohlenstoffbindung. Auch Wälder mit natürlicher Waldentwicklung, das heißt Flächen, auf denen weder Förs- terinnen und Förster noch der Naturschutz aktiv werden, spie- len dabei eine wichtige Rolle. Hier trifft die Natur selbst die Entscheidung, was am Stand- ort geeignet ist – aber wir kön- nen dies beobachten und vor allem für die Entwicklung unserer waldbaulichen Konzep- te daraus lernen. 2 Welchen aktiven Beitrag können wir alle leisten, um unsere Wälder zu schützen? Wenn es uns nicht gelingt, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Erder- wärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begren- zen, wird die Anpassung unse- rer Wälder langfristig nur be- dingt gelingen. Hierzu kann und muss jede und jeder auf seine Weise beitragen und ei- nen aktiven Beitrag leisten. Sei es durch einen bewussteren Konsum oder persönliches En- gagement im Naturschutz, um nur zwei Beispiele zu nennen. Setzen Sie sich dafür ein, dass die Gesellschaft die notwendi- ge Geduld, aber auch die zwei- felsohne notwendigen Finanz- mittel aufbringt, Rahmenbe- dingungen zu schaffen, die es auch unseren Enkeln und vie- len weiteren Generationen er- möglichen, vielfältige und ge- sunde Wälder zu erfahren. 3 Für Seniorinnen und Senio- ren ist das Naherholungs- gebiet Wald von großer Bedeu- tung. Kann einWaldspaziergang abgesehen von der körperli- chen Aktivität zur Gesundheit beitragen? Ruhe, sauerstoffreiche und pollenarme Luft, ein angeneh- mes temperaturausgleichendes „Innenklima“ in heißen Som- mern sind gerade für Seniorin- nen und Senioren gute Gründe für regelmäßige Waldbesuche. Die intensiven Eindrücke im Wald durch Farben, Gerüche und Geräusche regen die Sinne an, wodurch auch die Stimmung nachweislich positiv ansteigt. Wer Zeit imWald verbringt, profitiert auch körperlich. Denn der weiche Waldboden schont nicht nur den Bewegungsappa rat. Das Einatmen von ätheri- schen Ölen stärkt das Immun- system. Und weil sich in der Waldluft bis zu 90 Prozent we- niger Feinstaubpartikel befin- den und der Sauerstoffgehalt sehr hoch ist, tun regelmäßige Besuche imWald auch unseren Atemwegen gut. Die japanische Regierung hat übrigens bereits vor fast 40 Jah- ren die gesundheitsfördernde Wirkung des Waldes erkannt und den Begriff des „Waldbadens“ geprägt. Inzwischen hat die „Waldmedizin“ auch die Wis- senschaft und Praxis in Deutsch- land erreicht. So bieten bei- spielsweise die Universitäten in Rostock und München eine Aus- bildung in Waldtherapie bezie- hungsweise eine Weiterbildung zumWaldgesundheitstrainer an. Und auf der Insel Usedom gibt es seit 2017 den ersten Heil- und Kurwald Deutsch- lands. Allesamt klare Indizien dafür, wie wertvoll unser Wald ist – in vieler Hinsicht und gera- de auch für uns Menschen. © Ursula Euler / BfN << Prof. Dr. Beate Jessel 26 dbb > dbb magazin | September 2020
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