dbb magazin 10/2020

hintergrund von der eigenen Gewerk­ schaftszugehörigkeit. Ziel der dbb jugend nrw ist es, möglichst viele persönliche Fäl­ le zu dokumentieren, um den politisch Verantwortlichen ebenso wie auch der Öffent­ lichkeit zu zeigen, in welcher Häufigkeit es zu Übergriffen kommt, von denen oft nichts in den Medien zu lesen ist. Aus einer Sicherheitskonferenz weiß die dbb jugend nrw zum Beispiel, dass beinahe jede und jeder der 30 dort anwesenden jungen Beschäftigten aus eige­ ner Erfahrung von Übergriffen der höchsten Gefährdungsstu­ fen berichten konnte. Dazu zählen Vorfälle mit körperli­ cher Gewalt, Handgreiflichkei­ ten, Sachbeschädigung oder sogar der Einsatz von Waffen, Geiselnahme oder Amok. << Gefährlicher „Kundenkontakt“ Von Übergriffen berichtet auch Moritz Pelzer, Vorsitzen­ der der dbb jugend nrw. Am Flughafen Düsseldorf gehe es mitunter rau zu: Vor rund ei­ nem Jahr musste dort ein Bus­ fahrer nach einemMesseran­ griff mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden. Er überlebte nur durch eine Notoperation. „In den vergangenen Jahren beobachten wir immer häufi­ ger Übergriffe, bei denen An­ gegriffene aufs schwerste ver­ letzt oder sogar getötet wer­ den“, sagt Pelzer. Beschäftigte verschiedener deutscher Flug­ häfen, die anonym bleiben möchten, bestätigen die Zu­ nahme von Aggression. „Die Grenzen sind für viele gefal­ len“, sagt einer der Flughafen­ bediensteten. Er berichtet von Kollegen, die am Gate als Na­ zis beschimpft wurden, weil sie das Gepäck aus dem Aus­ land Einreisender durchsucht haben, von einer Kollegin, die als Fotze beschimpft wurde, und von Drohungen wie „Ich stech’ dich ab, du Schlampe!“ gegenüber einer Kollegin an einem Infopoint. Pelzer for­ dert den Ausbau der polizeili­ chen Kriminalstatistik, um die Zahl der Übergriffe in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes sichtbar zu machen. Weiter müssten Kolleginnen und Kollegen konsequent in Deeskalation geschult wer­ den. Auch auf der Schiene nehmen die Eskalationen zu. Zwar sind Zugbegleiterinnen und Zugbe­ gleiter offenbar keiner höheren Infektionsgefahr ausgesetzt als andere Beschäftigte der Bahn, wie eine aktuelle Unter­ suchung der Bahn AG und der Berliner Charité nahelegt. Den­ noch erleben sie aufgrund pandemiebedingter Einschrän­ kungen und zusätzlicher ge­ sellschaftlicher Pflichten wie das Tragen von Masken dieser Tage mehr Aggression als oh­ nehin schon. In der Durchset­ zung gegenüber unwilligen Kunden in den Zügen sieht die Gewerkschaft Deutscher Loko­ motivführer (GDL) mittlerweile ein massives Problem: „Das Management hat die Durch­ setzung zur Maskenpflicht zu­ erst an unsere Zugbegleiterin­ nen und Zugbegleiter delegiert und sie dann im Regen stehen gelassen“, sagt GDL-Chef Claus Weselsky. Sie hätten nach dem Hausrecht noch nicht einmal die Möglichkeit, Maskenver­ weigerer am nächsten Bahnhof zum Aussteigen zu bewegen, wie es zum Beispiel in Öster­ reich üblich sei. Will ein Fahr­ gast partout keine Maske vor­ schriftsmäßig tragen, bleibe dem Zugbegleiter bisher nur der Anruf der Bundespolizei. << Zugbegleiter alleingelassen Die GDL fordert daher einer­ seits, dass Sicherheitspersonal eingesetzt wird. Auf der ande­ ren Seite muss den Zugbeglei­ tern mehr Respekt entgegen­ gebracht werden. „Da die Bahnen den mangelnden An­ stand von uneinsichtigen Maskenverweigerern aber nicht beheben können, muss den Zugbegleitern zumindest das Recht eingeräumt werden, ihnen die Weiterfahrt im Zug am nächsten Bahnhof zu ver­ weigern“, so Weselsky über das zusätzliche Aggressions­ potenzial. In einer bundesweiten Online- Befragung „Mit Sicherheit“ beim Zugpersonal aller Eisen­ bahnverkehrsunternehmen in Deutschland hat die GDL 2019 erschütternde Ergebnisse zuta­ ge gefördert und im Juni 2020 vorgestellt. Im Ergebnis waren die Resultate sogar noch alar­ mierender als die ohnehin schon dramatischen Werte der ersten Umfrage im Jahr 2016. Im Schnitt werden Lokomotiv­ führer und Zugbegleiter dem­ nach zweimal im Jahr körper­ lich angegriffen. Das ist eine Verdoppelung gegenüber 2016. Neben mangelndem Respekt vor dem Zugpersonal müsse daher dringend etwas im Bereich der nur als mangel­ haft zu bezeichnenden Vorsor­ ge und der Betreuung durch die Arbeitgeber nach solchen Ereignissen geschehen. Die Auswertung der rund 2 500 von Lokomotivführern und Zugbegleitern ausgefüll­ ten Fragebögen weist gegen­ über offiziell verfügbaren Zah­ len auf eine hohe Dunkelziffer bei den tatsächlichen Belas­ tungen hin. Weselsky: „Wer die Hoffnung auf Hilfe aufge­ geben hat, wird kaum noch Veranlassung haben, jeden dieser schlimmen Vorfälle zu melden, solange er noch halb­ wegs glimpflich davongekom­ men ist.“ Die Resignation kor­ reliere mit den durchweg schlechten Noten bei der Vorsorge und der Betreuung durch die Arbeitgeber. Die Problematik sei letztlich nur durch die Zusammenarbeit aller Beteiligten sowie mit finanziellen Ressourcen zu lösen, meint Weselsky. „Wir werden unnachgiebig für die Verbesserung der Arbeitsbe­ dingungen unserer Mitglieder eintreten – und zwar so lange, bis auch der letzte Arbeitge­ ber verstanden hat, dass man << Zugbegleiterinnen und Zugbe­ gleiter stehen während der Pande­ mie vor neuen Herausforderungen, denn nicht immer verhalten sich Fahrgäste so kultiviert wie der Herr auf dem Foto. © Oliver Lang / Deutsche Bahn AG 17 dbb > dbb magazin | Oktober 2020

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