dbb magazin 11/2020
die andere meinung Corona-Pandemie: Die zweite Welle ist wohl da Alarmismus hilft ebenso wenig wie Abwiegeln Auf manchen Handys mit der berühmten Corona- Warn-App sind seit einigen Tagen „Risikobegeg nungen mit niedrigem Risiko“ vermeldet. Mal zwei, mal drei . Klingt alarmierend, beim Nachlesen kann man aufatmen – „keine Begegnung mit nachweislich coronapositiv getesteten Personen aufgezeichnet“, heißt es da. << Der Autor … … ist Chefredakteur der „Nürnberger Nachrichten“. Die erste Veröffentlichung dieses Kommentars erfolgte am 8. Oktober 2020 online im Redaktionsnetzwerk www.nordbayern.de und in gedruckter Form am 9. Ok tober 2020 in den „Nürnber ger Nachrichten“. Monatelang aber gab es solche Meldungen auf der – umstrit tenen – App eben gar nicht. Das ist nur ein Beleg dafür, dass sie nun offensichtlich wirklich anrollt: die zweite Welle. Und es kann sein, dass in den Wochen zuvor, im Som mer, viel zu viel über diese zweite Welle geredet, geschrie ben und dramatisiert wurde – mit der Gefahr, dass jetzt die Aufmerksamkeit dafür wo möglich geringer ist als eigent lich notwendig. Der Umgang mit der Pandemie ist schwierig – auch in Deutsch land, wo die Infektions- und Todeszahlen bisher weit unter dem Niveau der meisten ande ren Staaten liegen. Wobei ge nau diese niedrigen Zahlen manche in falscher Sicherheit wiegen: Was wollt ihr denn, wir haben’s doch geschafft – so ähnlich denken nicht weni ge. Die Daten, die nun auch aus Deutschland, vor allem aus vielen benachbarten Staaten kommen, belegen das Gegen teil: Bei uns steigen die Infekti onszahlen deutlich, anderswo dramatisch. Was tun? Im Ver gleich zum Frühjahr haben alle viel dazugelernt, was den Um gang mit dem Virus angeht. Was heute als Überreaktion gilt und auch so benannt wird – der Lockdown des Einzelhan dels oder der Friseure zum Bei spiel –, das war zu Beginn der Pandemie eben noch nicht als Überreaktion erkennbar. Da waren das Vorsichts-, Notmaß nahmen, um die Überbelegung der Intensivbetten zu verhin dern. Schritte, die gewirkt ha ben – mit jenen heftigen, teils brutalen Folgen, die ökono misch und menschlich zu be klagen sind. << Genau und lokal reagieren Der deutsche Weg war – was die Infektionszahlen angeht – sehr erfolgreich, die Neben wirkungen dagegen sind hef tig. Inzwischen wissen wir: Es lohnt sich, gezielt und mög lichst genau lokal zu reagieren, etwa bei der Bekämpfung von Corona-Hotspots in Großstäd ten. Be grenzte Maßnahmen erhöhen deren Ak zeptanz, ebenso gut be gründbare Lockerungen. Fürths Theaterchef Werner Müller zum Beispiel stellte gerade die berechtigte Frage, warum er in seinem Haus nur 200, ein vergleichbares Berli ner Theater aber 400 Gäste unterbringen darf – bei peni belst eingehaltenen und über wachten Hygieneregeln. Was wir brauchen, ist ein Mix aus vertretbarem Pragmatis mus und angesichts der Zahlen nach wie vor gebotener, do sierter Vorsicht. Wir hatten – auch in den Medien – zu viel Alarmismus, gerade in Zeiten, als die Pandemiebekämpfung Erfolge brachte, aber auch zu viel Abwiegeln der nicht ge bannten Gefahren. Ein Mit telweg wäre hilfreich, um die zweite Welle einzu dämmen. Gefragt sind da nicht nur Politiker und Virologen, sondern wir alle. Alexander Jungkunz Model Foto: Colourbox.de (2) 16 > dbb magazin | November 2020
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