dbb magazin 12/2020
blickpunkt schule Was der Schulleiterin Kopfzer brechen bereitet, ist die Dunkel ziffer der Infizierten. Viele Kin der könnten infektiös sein, obwohl sie keine Symptome zeigen oder trotzdem zur Schu le geschickt würden: „Das muss ich zur Kenntnis nehmen, ohne in Panik zu verfallen“, sagt Astrid-Sabine Busse. „Denn ge rade hier ist es enormwichtig, dass unsere Schule so lange wie möglich im Regelbetrieb bleibt.“ Die Fakten, die Busse dann aufzählt, sprechen für sich. Die Schule mit dem hübschen Namen, der an eine umgeben de Naturlandschaft mit glück lichen Weideschafen denken lässt, liegt in einem sozialen Brennpunkt. 97 Prozent aller Familien sind Transferleis tungsbezieher, ebenso viele nicht deutscher Herkunft, darunter 80 Prozent arabisch stämmig. „Wir haben es hier mit zum Teil bildungsfernen Eltern zu tun, die ihre Kinder wenig unterstützen können“, sagt Astrid-Sabine Busse. „Wenn wir diese Kinder wie im Frühjahr wieder nach Hause schicken müssen, ist das für sie eine Katastrophe.“ Während des ersten Lockdowns haben sie Lernumschläge ge packt, weil viele Familien kein Internet haben. Die Lehrkräfte telefonierten regelmäßig mit ihren Schülerinnen und Schü lern, es wurden Einzeltermine auf dem Schulhof abgehalten, zu denen die Kinder gemeinsam mit den Eltern erschienen. „Wir haben uns große Mühe gege ben, den Draht zu den Kindern und damit ihr Zutrauen nicht zu verlieren. Doch als der Regel betrieb wieder aufgenommen werden durfte, stellte sich her aus, dass viele bei der Sprach- und Lernentwicklung stehen geblieben waren oder sogar Rückschritte gemacht hatten“, bilanziert Busse. << Fürsorgende Erziehung in der Schulfamilie Eine erneute wochenlange Schulschließung raube ihren Schülerinnen und Schülern die Chance, die Welt zu erreichen, die außerhalb der Lebenswirk lichkeit ihrer Familien liegt, sagt Busse. „Diese Kinder sind nicht verwöhnt, viele haben kein eigenes Zimmer oder we nigstens einen Ort, an den sie sich ungestört zurückziehen können, kaum eigenes Spiel zeug und Bücher. „Wir versu chen, ihnen zusätzlich zur Bil dung auch Geborgenheit zu vermitteln sowie Eindrücke und Bilder, die sie durch Eltern oder Verwandte nicht bekom men. Zumal auch wir bemer ken, wie sich in der Umgebung der politische Islam ausbrei tet.“ Die Philosophie, mit der die Schule der Armutsödnis und auch dem aufkeimenden religi ösen Fanatismus begegnet, der schon Zweitklässlerinnen ein Kopftuch verpasst, beruht dar auf (Vor-)Bilder zu vermitteln. „45 Prozent unseres Kollegiums haben selbst einen Migrations hintergrund“, sagt Astrid-Sabine Busse. Ob die arabisch stämmige Lehrerin, die kein Kopftuch trägt, aber trotzdem Muslima ist, die Mädchen er reicht oder der Lehrer mit iraki schen Wurzeln die Jungs, die es für normal halten, ihre Mütter zu treten, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen. So verhält es sich vermutlich auch mit der Wirkung der Bil der und Eindrücke deutscher und europäischer Lebenswirk lichkeit, die sie „In der Köllni schen Heide“ mit ihrem Format „Unterricht am anderen Ort“ vermitteln. Für Astrid-Sabine Busse, die trotz der Mammut aufgabe, eine große Schule mit einem Etat von jährlich 250000 Euro zu managen, selbst noch einige Stunden unterrichtet, gehört es zu den Highlights, ihre Kinder in die Welt zu füh ren: auf den lichterfunkelnden Striezelmarkt nach Dresden, in den Berliner Dommit seiner gewaltigen Kuppel oder in die Universitätsstadt Frankfurt an der Oder, wo sie dann gemein sam über die Europabrücke nach Polen gehen, in ein an ders Land und dort eine Au ßenstelle der Europäischen Union besuchen. Die Kosten dieser Exkursionen werden aus dem Fördertopf „Bildung und Teilhabe“ finan ziert. „Das ist gar nicht so teu er. Und es bringt den Kindern so viel. Wenn man etwas nicht selbst erlebt hat, hat man auch kein Bild“, sagt Busse, die auch gerne berichtet, wie groß die Disziplin ihrer Fünftklässler bei diesen Exkursionen ist: „Unse re Kinder wissen sich zu be nehmen. Das sehe ich immer wieder, wenn wir Gruppen aus anderen Schulen treffen. Lei der kommen wir jetzt wegen Corona nirgendwohin.“ Das Konzept der fürsorgenden Bildungs- und Erziehungsver mittlung der „Schulfamilie“, wie Astrid-Sabine Busse ihre Einrichtung liebevoll nennt, scheint aufzugehen: „Bei der jüngsten Schulinspektion haben wir von 15 möglichen A-Bewertungen 13 erreicht und im letzten Jahr hatten wir für 30 Prozent unserer Sechst klässler eine Gymnasial-Emp fehlung.“ Natürlich hat Schulleiterin Busse auch schon einen Plan, wenn die Pandemie vorbei ist: „Dann“, sagt Astrid-Sabine Busse genießerisch, „werden wir endlich wieder alle zusam men ein Fest feiern – mit gro ßemMasken-Verbrennen auf dem Schulhof.“ cri © Jan Brenner (5) << Die Chance auf Bildung und Entfaltung darf Kindern auch in der Pande mie nicht genommen werden. Davon ist Schulleiterin Astrid-Sabine Busse überzeugt. Deshalb werden auch weiterhin Freizeitkurse (oben rechts) angeboten, wenn auch in reduziertem Umfang. 17 > dbb magazin | Dezember 2020
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