dbb magazin 12/2020
blickpunkt Gesundheitsämter Eine verblüffende Leistung Mehr Geld und die Digitalisierung sollen in der Krise die Gesundheitsämter stärken – zunächst aber soll personelle Hilfe die Belastung lindern. „Sie leisten eine beeindrucken de, unverzichtbare Arbeit. Sie retten Leben!“ Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Ins tituts, war am Dienstag bei ei ner Videokonferenz des Bun desgesundheitsministeriums mit deutschen Gesundheits ämtern voll des Lobes über das, was vor Ort bei der Kontakt nachverfolgung, bei der Orga nisation der Quarantäne ge leistet wird. Um dann gleich nachzuschieben, dass die per sonelle und technische Aus stattung bisher nicht dem Be darf entspreche. Über sich hinauszuwachsen, wie das die Ämter seit Wochen täten, kön ne aber nicht auf Dauer funk tionieren. Also müssten drin gend Veränderungen her. Die würden gelingen, so Wieler, denn „die Krise setzt Kräfte frei“. Und nicht nur Kräfte, sondern auch Geld. Vier Milliarden Euro hat der Bund zur Stärkung des Öffentlichen Gesundheits dienstes zugesagt. Bis Ende 2021 sollen 1500 neue Stellen geschaffen und mit Ärzten so wie Fach- und Verwaltungsper sonal besetzt werden. Bis Ende 2022 sollen weitere 3500 Stel len geschaffen werden. Rund 800 Millionen Euro der Ge samtsumme, betont Gesund heitsminister Jens Spahn (CDU), fließen in die Digitalisierung. Das aber gilt alles erst ab 2021 und hilft damit nicht heute, wo viele Gesundheitsämter ange sichts der aktuell hohen Infek tionszahlen am Limit, etwas oder gar weit darüber sind. So hat ja Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beklagt, dass man jetzt eine Situation habe, „bei der in 75 Prozent der Fälle die Infektionen nicht mehr zu geordnet werden können“. Zu diesen 75 Prozent gehört auch Jens Spahn, für den nicht er mittelt werden konnte, woher er Corona hatte. In Berlin liegt der Wert mittlerweile bei 94 Prozent. << SMS statt Telefonanruf Damit das alles wieder besser klappt, wurden in der Video konferenz Beispiele vorge- führt, wie etwa ein digitales Symptomtagebuch. Wer sich in Quarantäne befindet, be kommt statt eines Anrufes vom Amt eine E-Mail oder eine SMS und antwortet dort auf die Fragen nach dem Befinden. 20 Ämter nutzen die Software. Aus Pinneberg heißt es, dass man 2000 Patienten so digital im Blick behalten konnte und nur noch ein Dutzend anrufen müsse, weil die meisten Bürger die automatisierte Anfrage unterstützten. Nachahmung wird von Spahn nicht nur ge wünscht, sondern auch bezahlt – bis Ende 2021 übernimmt der Bund für die Ämter die Kosten. Doch nicht alle digitalen An wendungen stoßen auf großes Interesse. So berichtete Toivo Glatz von der Berliner Charité, dass der Einsatz eines dort ent wickelten Sprachcomputers auf Vorbehalte stoße. Oft liege das an unklaren Zuständigkeiten. Dabei konnte Susanne Paul mann vom Bamberger Gesund heitsamt berichten, dass der Computer häufig gestellte Fra gen, etwa von Reiserückkeh rern, einwandfrei beantworten könne. Wenn das nicht reiche, könnten Sprachnachrichten aufgenommen oder der Bürger zu einemMitarbeiter durchge stellt werden. „Wir sind sehr zufrieden.“ Dass dabei trotz dem noch Fragen geklärt wer den müssen, weiß auch Toivo Glatz, etwa: „Hört der Patient auf die Anweisungen des Com puters genauso gut wie auf die eines Menschen?“ << Jedes Amt testet anders Für den Gesundheitsminister ist das jedenfalls eine höchst erfreuliche Entwicklung, dass endlich die Digitalisierung in der Breite angegangen wird und das Fax verschwindet: „Die Krise macht vieles mög lich.“ Was ihm noch nicht ge fällt, ist, wie unterschiedlich die Gesundheitsämter mit Quarantäne und Tests umge hen. Als er infiziert gewesen sei, habe es Kontaktpersonen von ihm gegeben, die einmal, zweimal oder gar dreimal ge testet worden seien – je nach dem, wo sie wohnen. Das müs se vereinheitlicht werden. Bis die Digitalisierung wirklich durchschlägt und neue Stellen besetzt sind, kommt personel le Unterstützung von anders wo. So hilft die Bundeswehr in 297 Gesundheitsämtern mit 4412 Soldaten aus. Die Truppe sei damit in rund 80 Prozent aller Gesundheitsämter im Ein satz. Aber auch in den Ländern wird Personal umgeschichtet, Niedersachsen etwa schickt jetzt Finanzbeamte in die Ge sundheitsämter. Wie lange die ser Ausnahmezustand noch anhält, hängt davon ab, wie sich die Zahl der Neuinfektio nen entwickelt – und wann tatsächlich Impfungen für viele Menschen möglich sind. Hajo Zenker Dieser Beitrag ist zuerst in der „Südwest Presse“ erschienen (Ausgabe vom 11. November 2020). Model Foto: r.classen/Colourbox.de Foto: Colourbox.de 18 > dbb magazin | Dezember 2020
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==