dbb magazin 3/2021

bürgerschaftliches engagement Kommunale Entwicklungsbeiräte Gemeinsam über die Zukunft nachdenken und Entwicklungslinien erarbeiten Wie bewerten Sie die Möglich- keiten bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland, was läuft besonders gut, was nicht? Gesine Schwan Es gibt in Deutschland sehr viel sehr gut organisiertes bürgerschaftliches Engage­ ment, besonders in kleinen und mittelgroßen Städten. Zwar haben Traditionsvereine oft Mitglieder verloren. Aber an ihre Stelle sind oft Bürger­ initiativen getreten, die sich um aktuellere Aufgaben küm­ mern. Die Gemeinden brau­ chen mehr Unterstützung, um kulturelle und auch sportliche Aktivitäten dauerhaft betrei­ ben zu können. Hier braucht es mehr Finanzierungssicherheit. Sie selbst propagieren die Idee kommunaler Multi-Stakeholder- Entwicklungsbeiräte. Was ver- birgt sich hinter dem Begriff? Wir müssen unsere repräsen­ tative Demokratie so weiter­ entwickeln, dass Bürgerinnen und Bürger wirklich mehr Ein­ fluss nehmen können, dass aber zugleich die Legitimation der repräsentativen Demokra­ tie keinen Schaden nimmt. Das ist eine Quadratur des Zirkels. Deshalb propagiere ich auf der Ebene der Gemeinden, wo sich das Alltagsleben der Menschen abspielt, Entwick­ lungsbeiräte. Seit der Verab­ schiedung der Nachhaltig­ keitsziele durch die Vereinten Nationen im Jahre 2015 den­ ken wir mehr über nachhaltige Entwicklung nach, nicht nur im Süden unseres Globus, sondern auch im Norden. Wir wollen auch im Harz oder imWester­ wald wissen, wie wir in Zu­ kunft so miteinander leben können, dass unsere natürli­ chen Ressourcen auch für die nachfolgenden Generationen reichen, dass unser Klima nicht verrücktspielt und unsere Nachkommen auch ein aus­ kömmliches selbstbestimmtes Leben führen können. Deshalb brauchen wir einen Ort in den Gemeinden, an dem die Bür­ gerinnen und Bürger zusam­ menkommen können und ihre Zukunft auf der Basis der er­ kennbaren Herausforderungen entwerfen und konkret erar­ beiten können. Dafür schlage ich vor, dass die gewählten Bürgermeister*innen Vertreter der Verwaltung und der ge­ wählten Abgeordneten zu­ sammen mit nicht gewählten Vertretern von Bürgerinitiati­ ven und von Unternehmen einladen, gemeinsam über die Zukunft nachzudenken und Entwicklungslinien zu erarbei­ ten. Dabei ist von vornherein klar, dass die letzte Entschei­ dung nur durch die gewählten Abgeordneten und den Bürger­ meister fallen kann. Der Punkt ist dabei, dass das Dilemma zwischen machtlosen nicht gewählten Bürgern, die nicht entscheiden dürfen, und den legitimierten Gewählten dadurch überwunden werden kann, dass sie gemeinsam ihre Zukunftsentwürfe erarbeiten und dadurch eine gegenseitige Loyalität entsteht. Das ist zum Beispiel wichtig für die Trans­ formation von Wirtschaft und Gesellschaft nach dem Kohle­ ausstieg, aber auch um eine gelungene Flüchtlingsaufnah­ me zugunsten aller Bewohner einer Gemeinde zu gestalten. So werden auch die verschie­ denen Logiken gegenseitig ver­ ständlich. Geschäftsleute müs­ sen sich amMarkt bewähren, Verwaltungsbeamte wollen juristisch einwandfrei handeln und Bürgerinitiativen haben immerfort neue Ideen, mit denen sie die Zukunft gestal­ ten wollen. Diese drei Logiken müssen sich verständigen, daraus entstehen interessante gemeinwohlorientierte Lösun­ gen. Städte können sich auch besser zu grenzüberschreiten­ der Zusammenarbeit zusam­ mentun als nationale Regie­ rungen, weil sie ähnliche Herausforderungen bestehen müssen und sich nicht konkur­ rierenden Wahlpublika stellen müssen. Die Digitalisierung bietet ganz neue Möglichkeiten der Bürger- beteiligung. Wie kann man hier die Partizipation der unterschiedlichen Alters-, Bildungs- und Einkommens- gruppen sicherstellen? Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten, auch auf Dis­ tanz miteinander zu verhan­ deln. Das ermöglicht mehr Teilhabe. Barcelona und viele Smart Cities haben vorbildliche Verfahren und Modelle dafür erarbeitet. Dabei müssen wir darauf achten, dass alle Gene­ rationen gleichberechtigt dar­ an teilhaben können. Die Fragen stellte Frank Zitka. Prof. Dr. Gesine Schwan ist Mitbegründerin und Präsi­ dentin der HUMBOLDT-VIA­ DRINA Governance Platform gGmbH. Das bürgerschaft­ liche Engagement ist auch Thema ihres aktuellen Bu­ ches „Politik trotz Globali­ sierung“, das am 27. Januar 2021 im Stuttgarter Verlag wbg Theiss erschienen ist. © Olaf Kosinsky/Skillshare.eu < Gesine Schwan 13 dbb > dbb magazin | März 2021

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