dbb magazin 4/2021

brennpunkt sen. Im engeren Fokus des Per­ sonalprogramms liegen die unteren Gesundheitsbehörden und die örtlichen Gesundheits­ ämter. Vier Milliarden Euro stellt der Bund dazu zur Verfü­ gung, von denen rund 800 Mil­ lionen für Digitalisierung auf­ gewendet werden sollen. Um das Paket nachhaltig zu gestal­ ten, soll die Finanzierung zu­ nächst bis ins Jahr 2026 laufen und sich auch für die Jahre da­ nach verstetigen. Die erste Tranche soll dem ÖGD im Juli 2021 helfen. Für dbb Chef Ulrich Silberbach ist der Pakt ein wichtiger Schritt zur Aufwertung des ÖGD: „Die Personalpolitik in den Gesundheitsämtern ist zu lange zu kurz gekommen. Und das kann auf lange Sicht fatale Folgen haben. Auch in diesem Bereich fallen Fachkräfte nicht vom Himmel. Sie müssen aus­ gebildet werden und brauchen ein zeitgemäßes berufliches Umfeld mit Perspektiven.“ Au­ ßerdem komme die Einsicht der Bundesregierung für die Kolleginnen und Kollegen, die an vorderster Front mit der Pandemiebekämpfung be­ schäftigt waren und sind, ziemlich spät. Das kann Wolfgang Ditz, Stadt­ arzt und Leiter des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes im Gesundheitsamt Mönchen­ gladbach in Nordrhein-West­ falen, bestätigen. Er blickt auf eine turbulente Zeit zurück. „Wir haben versucht, die Köpfe während der Wellen der Pan­ demie über Wasser zu halten. Nachdem wir unter anderem ein Abstrichzentrum für Tes­ tungen aus dem Boden ge­ stampft und mit technischen Widrigkeiten gekämpft haben, versuchen wir jetzt, wieder ein bisschen Routine in den Be­ trieb zu bringen“, erklärt Ditz und kritisiert, dass sein Amt noch immer ständig neue, von der Politik geforderte Regeln umsetzen muss, was die Arbeit zusätzlich belaste. < Zwischen Medienhype und Corona-Verordnung Klaus Laumen, leitender Medi­ zinaldirektor, Leiter des Fach­ bereichs Gesundheit und Amtsarzt der Stadt Mönchen­ gladbach, sieht den ÖGD in Mönchengladbach zwar nicht so kaputtgespart wie anders­ wo. „Trotzdem sind wir im ver­ gangenen Jahr an unsere Gren­ zen gestoßen, denn den Bedarf in der Pandemie kann man nicht vorplanen. Im tiefsten Loch hat uns dann die Bundes­ wehr unterstützt, was sehr geholfen hat.“ Schlimmer als personelle Eng­ pässe und politische Fehlent­ scheidungen sei aber die „un­ verschuldete Ignoranz“, mit der die Bürgerinnen und Bür­ ger Arbeit und Aufgaben der Gesundheitsämter bewerten: „Ich beobachte seit März 2020, dass die Medien, die die Öf­ fentlichkeit informieren soll­ ten, zu 95 Prozent versagen.“ Es werde der Eindruck einer so­ genannten „Allzuständigkeit der Gesundheitsämter“ ver­ mittelt und den Ämtern Ent­ scheidungen angetragen, die nicht in ihren Zuständigkeits­ bereich fallen. Die Medien ge­ fielen sich darin, „Halbweishei­ ten“ in die Welt zu setzen und Virologen aufeinander zu het­ zen, die sich im Grunde gut verstehen. Beispiel Nachverfol­ gung: Bürgerinnen und Bürger müssten aufgrund zahlreicher Medienberichte den Eindruck erlangt haben, die Nachverfol­ gung habe die Kontrolle verlo­ ren. „In Wirklichkeit haben wir in Mönchengladbach die Kon­ taktverfolgung immer gut ge­ schafft, ausgenommen im No­ vember 2020. Da hatten wir 13000 Fälle. Von denen haben wir fünf nicht erwischt.“ Eigent­ lich müssten die Gesundheits­ ämter die praktischen Ansagen in Zusammenabeit mit der Wis­ senschaft machen, so Laumen. Zudem lasse sich die Politik zu sehr von Medienberichten treiben, was zu kurzsichtigen Entscheidungen führe, die der Pandemiebekämpfung nicht zuträglich seien. Bestes Bei­ spiel dafür sei der kontrapro­ duktive Medienhype um den AstraZeneca-Impfstoff. „Hier waren viele Informationen schlicht falsch, weshalb sich ein großer Teil des Personals in der Altenpflege nicht hat impfen lassen. Dabei ist das Allerwichtigste, dass wir jetzt impfen, impfen, impfen. Wir müssen dafür sorgen, dass kei­ ne Menschen mehr sterben“, erklärt Laumen und ergänzt, dass das kurze Zulassungs­ verfahren kein Indiz für man­ gelnde Qualität sei. „Dass Ent­ wicklung und Zulassung jetzt innerhalb eines Jahres erfolgen konnte, liegt an aufgrund der Pandemie veränderten wirt­ schaftlichen Grundlagen für die Hersteller. Da wird nicht gepfuscht, die Verfahren sind sicher.“ Das bestätigt auch Wolfgang Ditz und fordert mehr Interdis­ ziplinarität in der Pandemie­ bekämpfung. „Neben Virolo­ gen müssen zum Beispiel auch Psychologen und Wirtschafts­ experten gefragt werden, wel­ che Maßnahmen wie wirken. Es hilft letztlich nichts, täglich eine neue Sau durchs Dorf zu treiben und den öffentlichen Dienst vorzuführen, damit es die Kommunen am Ende der © Jan Brenner (2) 9 dbb > dbb magazin | April 2021

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