dbb magazin 5/2021
interview dbb magazin In den vergangenen Monaten gab es zahlreiche Demos ge- gen die Corona-Maßnahmen, bei denen die Auflagen zum Infektionsschutz missachtet wurden. Das hat zum Teil zu heftiger Kritik an der Polizei geführt, weil sie nicht einge- griffen habe. Wie haben Sie die Situation wahrgenommen? Thomas Strobl Die Versammlungsfreiheit ist ein wichtiges Gut in einem de mokratischen Rechtsstaat. Es gehört zu einer freiheitlichen Demokratie dazu, dass jeder sich innerhalb der Grenzen un serer Rechtsordnung versam meln und seine Meinung kund tun darf. Und zwar ganz gleich, ob uns diese Meinung gefällt oder nicht. In der aktuellen Pandemielage sind Versammlungen mit meh reren Tausend Demonstrantin nen und Demonstranten, wie etwa in Berlin, Kassel, Leipzig und zuletzt auch in Stuttgart, freilich problematisch. Da steht das Recht auf Versammlungs freiheit auf der einen Seite und das Recht auf körperliche Un versehrtheit auf der anderen. Und deshalb waren die Bilder vom Osterwochenende so be schämend: Tausende Men schen zogen ohne Abstand und Anstand durch die Stra ßen. Sie haben sich auf ein Grundrecht berufen und ein anderes buchstäblich mit Füßen getreten. Das können wir so nicht hinnehmen. Deshalb habe ich klar gesagt: Bilder wie am Karsamstag darf es nicht mehr geben. Und ich bin froh, dass die Stadt Stutt gart die Folgeveranstaltung ver boten hat – und dies auch auf der obergerichtlichen Ebene Bestand hatte. Das bestätigt meine Überzeugung: Demons trationsfreiheit verlangt verant wortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger. Und deshalb ist es schon irritierend und befremd lich, wenn wir in einer Zeit, in der wir mit gegenseitiger Rück sichtnahme und größtmöglicher Vorsicht aufeinander Acht ge ben sollten, erneut Hunderte von Polizistinnen und Polizisten brauchen, um grundlegende Formen von Abstand und An stand zu überwachen. Doch klar ist: Der Rechtsstaat funk tioniert, setzt sich durch, ist stark. Das war in den nachöster lichenWochen zu beweisen. Der Nachweis wurde erbracht. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat scheint zu sinken. Das bekommen die Kolleginnen und Kollegen (nicht nur bei der Polizei) oft direkt zu spüren – übrigens auch schon vor Corona. Was muss passieren, um einerseits das Verhältnis zwischen Bevöl- kerung und Staat zu stabilisie- ren und andererseits, um die Beschäftigten im öffentlichen Dienst vor Beleidigungen oder sogar Angriffen zu schützen? Die Pandemie hat auch das gesellschaftliche Klima verän dert, zum Teil bestehende, un erfreuliche Tendenzen noch verschärft. Anfeindungen, Hass und Hetze richten sich teilweise konkret gegen Ein richtungen oder Personen. Beispielsweise beleidigen Corona-Leugner Amtsträger und Politiker oder bedrohen sie. Freilich: Hass und Hetze, Gewalt gegen Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettungs diensten und Polizei oder ge gen Beschäftigte des öffent lichen Dienstes gab es auch schon vor Corona – und das hat in den vergangenen Jah ren leider auch stetig zuge nommen. Das ist besonders Thomas Strobl, Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration, Baden-Württemberg, Der Rechtsstaat funktioniert, setzt © Laurence Chaperon < Thomas Strobl 4 dbb > dbb magazin | Mai 2021
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