dbb magazin 6/2021
hintergrund . Dr. Edmund Stoiber (CSU), Co-Vorsitzender der Föderalismuskommission I (2005 bis 2006) Entscheidungsabläufe optimieren 1 Wie beurteilen Sie die Föderalismusreformen rückblickend? Der Freistaat Bayern steht vor dem Hintergrund seiner über 1000-jährigen Geschichte als eigenes Staatswesen für einen starken deutschen Föderal staat. Der bayerische Minister präsident sieht sich traditionell als „Lordsiegelbewahrer des Föderalismus“. Deshalb war es für mich eine ganz besondere Herausforderung, als Leiter der Föderalismuskommission I zusammen mit Franz Münte fering die Entflechtung der Mischzuständigkeiten von Bund und Ländern in Angriff zu nehmen, zum Beispiel auch im öffentlichen Dienstrecht. Ganz wesentlich war die Rück führung der im Bundesrat zu stimmungspflichtigen Gesetze, die Ende der 90er-Jahre weit mehr als die Hälfte aller Bun desgesetze ausmachten. Das führte oft zu politischen Blo ckaden. Die Kommission war erfolgreich: Durch die Födera lismusreform 2006 fiel dieser Anteil auf unter 40 Prozent. Das war ein wichtiger Schritt weg von einemMitbestim mungsföderalismus, in dem die Verantwortlichkeiten der jeweiligen Ebene verwischt wurden, hin zu einemWettbe werbsföderalismus, bei dem der Wettbewerb um die beste Lösung im Vordergrund steht. Leider haben die Länder von den neu geschaffenen Kompe tenzen, insbesondere in der Ab weichungsgesetzgebung, nicht so Gebrauch gemacht, wie wir das damals geglaubt haben. 2 Sehen Sie weiteren Reformbedarf der föde- ralen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland? Der bundesdeutsche Föderalis mus hat sich auch in der Coro na-Pandemie grundsätzlich be währt. Zentralistische Staaten wie Frankreich sind nicht bes ser durch die Krise gekommen. Die Pandemie hat allerdings generell Schwächen in der Effi zienz unseres Staates wegen der überbordenden Regelungs dichte, der Bürokratie in exten so und des Perfektionismus aufgeworfen. Sie hat vor allem aber auch Schwächen in unse rem Bildungs- und Gesund heitswesen aufgedeckt, be sonders bei den digitalen Abläufen in Schulen und Ge sundheitsämtern. Auch die Abstimmungswege zwischen Bund und Ländern haben gro ße Längen. Deshalb muss man aus den Erfahrungen der Ex tremsituation Pandemie über die Notwendigkeit einer er neuten Staatsinventur nach denken, um die Entscheidungs abläufe zu optimieren. Ich stimme Ralph Brinkhaus, dem Vorsitzenden der Unionsfrak tion im Bundestag, völlig zu, dass wir als Konsequenz aus der Corona-Pandemie effizien tere staatliche Strukturen brauchen, um besser durch die nächste Krise zu kommen. Dafür brauchen wir sicher eine Enquetekommission, mehr als nur eine neue Föderalismus kommission. ?? zwei fragen an ... < Föderalismuskommission I Vorsitzende der Kommission waren Edmund Stoiber, Ministerpräsident des Frei staats Bayern und CSU- Vorsitzender, als Vertreter der Länderseite, und Franz Müntefering, Chef der SPD- Bundestagsfraktion und Bundesvorsitzender der SPD, als Vertreter des Bundes. Die Entscheidung für die Einsetzung von zwei gleich berechtigten Vorsitzenden erfolgte, um die „Gleichge wichtigkeit beider Bänke“ zu betonen. Franz Müntefering konnte dem dbb magazin aus terminlichen Gründen leider kein Statement zu kommen lassen. < Edmund Stoiber © CSU Stellen oder sie können auf grund unattraktiver Rahmen bedingungen, wie der oft un zureichenden Bezahlung, nicht besetzt werden.“ Andererseits gehe die Digitalisierung des öffentlichen Dienstes viel zu schleppend voran. „Zwar wur den hier zuletzt, beispielsweise mit dem Onlinezugangsgesetz, wichtige Projekte angestoßen, Deutschland hat aber auch – gerade im internationalen Ver gleich – sehr, sehr viel aufzu holen“, kritisiert Silberbach. Im Fazit könne die föderale Ord nung der Bundesrepublik an einigen Stellen optimiert wer den, gerade mit Blick auf Aus nahmesituationen. „Trotzdem darf sie aus Sicht des dbb nicht grundsätzlich infrage gestellt werden. Vielmehr gilt es, den öffentlichen Dienst durch In vestitionen in Personal, Vergü tung und Fortbildung sowie in Technik so aufzustellen, dass er nicht nur im Normalbetrieb, sondern auch im Krisenfall handlungsfähig ist.“ < Föderalismusreform III Seit Juni 2014 läuft die soge nannte Föderalismusreform III quasi als stille Reform, die auf eine Föderalismuskommission verzichtet. Als „Work in Pro gress“ halten diese Reformbe mühungen bis heute an, wobei Ergebnisse durch intergouvern mentale Beziehungen erzielt werden. Vor allem der stärker werdende Einfluss der Landes ministerkonferenzen spielt da bei eine Rolle. So sollen unter anderem die in der Föderalis musreform II vernachlässigten Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern vorange bracht werden. Diesbezüglich wurde unter anderem 2017 eine Neuregelung des bundes staatlichen Finanzausgleichs beschlossen. Zudem wurden dem Bund weitere Kompeten zen im Bereich der Finanzhilfen für die Kommunen zugespro chen sowie dem Bundesrech nungshof neue Kontrollrechte eingeräumt. br 13 dbb > dbb magazin | Juni 2021
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