dbb magazin 6/2021

blickpunkt Digitalisierung bei der Polizei „Wir jagen Cyberkriminelle mit der Steinschleuder“ Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht neue Studien, Kommentare oder Artikel zu den Defiziten der Bundesrepublik bei der Verwaltungsdigitalisie­ rung erscheinen. Der Grundtenor ist allen gleich: Deutschland hinkt hoffnungslos hinterher, betrof­ fen sind alle Bereiche von Verwaltung und öffentli­ chemDienst. Besonders schlimm trifft das Problem die Innere Sicherheit. In einem virtuellen Fachge­ spräch mit Kollegen der Deutschen Polizeigewerk­ schaft (DPolG) Baden-Württemberg hat der dbb am 18. Mai 2021 versucht, ein Lagebild zu skizzieren. < dbb Chef Uli Silberbach im Chat mit der DPolG Baden-Württemberg „Weil Polizei in der föderalen Struktur der Bundesrepublik Ländersache ist, läuft auch die Digitalisierung in jedem Bun­ desland anders“, sagte Ralf Kus­ terer, Erster Polizeihauptkom­ missar, Landesvorsitzender der DPolG Baden-Württemberg und stellvertretender Bundes­ vorsitzender der DPolG. „Das Spektrum reicht von ,Bring Your Own Device‘ bis hin zum sepa­ raten Polizeihandy, wie wir es in Baden-Württemberg verwen­ den. Das iPhone wäre nicht weit von den private Gewohn­ heiten entfernt, wenn nicht alle Funktionen, die man im Dienst wirklich gebrauchen könnte, gesperrt wären.“ Trotzdem kos­ te das proprietäre Telefon rund 1000 Euro pro Stück. „Das Ge­ rät kann zwar grundsätzlich umfangreiche polizeiliche Auf­ gaben erledigen. Es hapert aber am Speicherplatz und der Netz­ abdeckung“, kritisierte Kusterer und konkretisierte: „Wenn zum Beispiel Spezialisten ihres Fachs in der Dieselaffäre im Raum Stuttgart ermitteln und mit diesen Geräten auf unglaubli­ che zu erfassende und zu verar­ beitende Datenmassen stoßen, wird klar, dass die technischen Grenzen viel zu schnell erreicht sind. Um auf Augenhöhe mit der Wirtschaftskriminalität zu bleiben, bräuchten wir ganz an­ dere Technik. Letztlich jagen wir Cybekriminelle mit der Stein­ schleuder.“ Während der Digi­ talisierungsmarkt die Polizei monatlich überrunde, schlage sich diese mit Haushaltsbin­ dungen und langwierigen Aus­ schreibungsverfahren herum. < KI statt Trauma Ein weiteres sehr plastisches Beispiel für den Digitalisie­ rungsrückstand findet Kusterer bei den Ermittlungsstandards bei Fällen von Kinderpornogra­ fie. „Wenn man sich vor Augen führt, welche digitalen Entlas­ tungsmöglichkeiten der Mate­ rialauswertung es heute mit künstlicher Intelligenz und lernfähigen Algorithmen gibt, kann man sich nur darüber wundern, dass wir heute im­ mer noch Kolleginnen und Kollegen mit der persönlichen Sichtung dieses ekelhaften Ma­ terials traumatisieren müssen. Die Digitalisierung der Polizei ist eine unglaubliche Heraus­ forderung, bei der wir in vielen Einsatzbereichen täglich an Grenzen stoßen, während es die Politik nicht schafft, uns auf Augenhöhe mit dem Ver­ brechen auszurüsten“, fasste Kusterer zusammen. In der Diskussion darüber, ob externe IT-Fachkräfte zur Ent­ lastung der Polizei beitragen könnten, verwies der Haupt­ kommissar auf die Gründung einer Landesoberbehörde für Technik in Baden-Württem­ berg. Die Polizei sei dagegen gewesen, weil sie ganz andere Verfahren nutzt als der Rest der Landesverwaltung. „Die Polizei muss daher klar definie­ ren können, was sie in welcher Form braucht, während die Landesoberbehörde eher wie ein privates Unternehmen ar­ beitet und dabei nicht die für uns richtigen Priorisierungen vornimmt.“ Das habe wieder gezeigt, dass es klare Grenzen dessen gebe, was die Polizei outsourcen könne. Dass Polizistinnen und Polizis­ ten täglich mit technischen Limits zu kämpfen haben, be­ stätigte auch Daniel Jungwirth, Polizeihauptmeister und stell­ vertretender Landesvorsitzen­ der der DPolG. < Täglich am technischen Limit Jungwirth plädierte allerdings dafür, Ausstattung getrennt von technischer Ermittlung zu betrachten: „Das Logistik- und Servicepräsidium in Baden- Württemberg bietet zum Bei­ spiel echte Fachkompetenz. Wenn ich bei der Servicehotline für unsere Polizeihandys anru­ fe, habe ich einen Kollegen mit polizeilicher und technischer Ausbildung am Apparat. Dabei müsste er für die reine techni­ sche Hilfeleistung kein Polizist sein, das könnte auch eine ex­ terne IT-Fachkraft machen.“ Bei der technischen Ermittlung dagegen müssten zwingend Polizistinnen und Polizisten eingesetzt werden. Insgesamt hinke die Polizei der techni­ © Soumil Kumar/Pexels.com © Jan Brenner 26 > dbb magazin | Juni 2021 dbb

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==