dbb magazin 6/2021
frauen Familienbesteuerung Neuen Konstellationen gerecht werden In einem Leitantrag, der im April 2021 auf dem 12. dbb bundesfrauenkongress verabschiedet wurde, befassen sich die dbb frauen mit der Mo dernisierung des Familienrechts. Die Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung, Milanie Kreutz, erklärt, welche steuerpolitischen Aspekte drin gend auf den Prüfstand gehören. ? Warum brauchen wir eine Steuerreform, die Familien in den Fokus stellt? Die Familienkonstellationen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verän dert. Immer mehr Frauen wol len arbeiten und sie wollen einer existenzsichernden Er werbstätigkeit nachgehen, die sie als Mutter ausüben können. Zudem steigt die Zahl der Alleinerziehenden und der Patchwork-Familien. Aber auch Familien mit gleichgeschlecht lichen Elternteilen gehören mehr und mehr zum gesell schaftlichen Bild. Das aktuelle Steuerrecht mit dem Ehegat tensplitting entsprach dem Familienbild der 1950er-Jahre und ist in seiner jetzigen Form heute einfach nicht mehr zeit gemäß. Wir müssen einen stär keren Fokus auf die Entlastung von Familien mit Kindern set zen, aber wir müssen auch rea lisieren, dass das Ehegatten splitting für viele Frauen ein Erwerbstätigkeitshemmnis darstellt. Das wurde durch zahlreiche Studien belegt. ? Warum ist das Ehegatten- splitting aus Ihrer Sicht heute nicht mehr zeitgemäß? Die Formel „nur Ehe gleich Familie“ geht nicht mehr auf. Damit verfehlt das Ehegatten splitting in seiner aktuellen Form zunehmend seine ange stammte Sinnhaftigkeit, näm lich kinderreiche Familien im Alleinverdienermodell zu stär ken. Derzeit profitieren vor al lem kinderlose Ehen mit nur einem Erwerbseinkommen überproportional vom Split tingvorteil. Fakt ist, dass kin derlose Ehepaare – vor allem in Westdeutschland – überpro portional vom Ehegattensplit ting profitieren. Der Faktor „Alleinerziehende mit Kindern“ spielt beim Splitting keine Rol le. Wir sind in einer Zeit, in der wir uns überlegen müssen, ob wir einen Systemwechsel wol len. Wollen wir den Status quo beibehalten oder wollen wir Kinder in den Mittelpunkt un serer steuerlichen Förderungen stellen? Andere europäische Länder haben Letzteres schon längst umgesetzt. Als dbb frau en setzen wir uns bereits seit Jahren für ein familienorien tiertes Splittingmodell ein. Selbstverständlich darf eine solche Reform Bestandsehen nicht benachteiligen. ? Abgesehen vom Ehegatten- splitting: Welche Stell- schrauben müssen noch ge- dreht werden, damit Familien steuerlich besser wegkommen als bisher? Uns liegen Anträge zur Refor mierung der Steuerklassenwahl vor. Als dbb frauen fordern wir – wie viele politische Akteure auch – die Abschaffung der Lohnsteuerklasse V. Auch das Faktorverfahren wird in seiner jetzigen Form von Bürgerinnen und Bürgern kaum genutzt – hier besteht entsprechend mehr Bedarf für Aufklärungs arbeit. Gleichzeitig müssen wir aber auch kritisch hinterfragen, ob die Lohnsteuerklasse II für Alleinerziehende wirklich noch sinnvoll ist. Darüber hinaus muss die Absetzbarkeit von Ausgaben, die in Zusammen hang mit Kinderbetreuung und Pflege stehen, analysiert und konkretisiert werden. Wir müs sen hier auf tatsächliche Bedar fe schauen. ? Geben Sie ein Beispiel. Nehmen wir die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Derzeit werden diese in der Einkommensteuerklärung nur wie Werbungskosten behan delt und sind mit einem be stimmten Betrag gedeckelt. Hiervon müssen wir wegkom men und Betreuungskosten – auch Kosten für häusliche Pflege von Angehörigen schlie ßen wir hier mit ein – als echte Werbungskosten anerkennen. Auch die Einführung eines Pflegzeitgeldes in Anlehnung an das Elterngeld müssen wir voranbringen. Ich denke hier aber auch an die Absetzbarkeit von familiennahen Dienstleis tung. Hier könnte der Staat Fa milien noch stärker entlasten. Vor allem Alleinerziehende würden von besseren Regelun gen profitieren. Schließlich müssen wir endlich anerken nen, dass private und instituti onalisierte Care-Arbeit einen Teil unserer Wirtschaftskraft ausmacht. Familiäre Sorgear beit ist also alles andere als pri vat und muss staatlich geför dert und unterstützt werden. Auch beim Kindergeld sehen wir Reformbedarf. Dieses muss aus unserer Sicht um den Be trag erhöht werden, welcher sich bei der Günstigerprüfung als zusätzliche steuerliche Ent lastung durch den Kinderfrei betrag im Spitzensteuersatz ergibt. Richtig wäre es, den Kinderfreibetrag ganz abzu schaffen und im Gegenzug eine einheitliche Kindergeld auszahlung einzuführen. Ehegattensplitting – Familienförderung aus einer anderen Zeit Seit 1958 gilt in Deutschland das sogenannte Ehegattensplit ting mehr oder weniger unver ändert. Es geht zurück auf einen Bundestagsbeschluss aus dem Jahr 1955, in dem die Bundesre gierung dazu aufgefordert wur de, „Vorschläge für Maßnah men zur gleichmäßigen und gerechten Besteuerung der Ehe gatten zu unterbreiten“. Trotz steter Kritik am Ehegattensplit ting, das jährlich rund 20 Milli arden Euro kostet und vor allem Einverdienerehen in den west deutschen Bundesländern be günstigt, blieb eine Reform bis heute aus. Model Foto: Colourbox.de (2) 33 dbb > dbb magazin | Juni 2021
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