dbb magazin 7-8/2021

zur sache Mobilität verändern Verkehrswende ist menschlich – nicht technisch Wir haben in Deutschland ganz gewiss kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem, wenn es um die dringend erforderliche Verkehrswende geht. < Die Autorin Katja Diehl war 15 Jahre in Konzernen der Logistik, des Transports und der Bahn in leitenden Funktionen tätig. Diese Innensicht und ihr umfassendes Netzwerk in der Branche nahm sie mit in ihre Tätigkeit als Unterneh­ mens- und Umsetzungsbe­ raterin unter dem Namen „She Drives Mobility“ – was auch der Name ihres Pod­ casts zumMobilitätswandel ist. Sie sieht den wichtigs­ ten Part der Verkehrswende in der Einstellungs- und Ver­ haltensänderung der Men­ schen, die aktuell noch im Auto sitzen oder als Politi­ ker:innen oder Industriever­ antwortliche noch zu sehr auf den Pkw fixiert sind. Ihr ist wichtig, Lösungen ge­ meinsammit den Menschen zu etablieren, deren Mobili­ tät verändert werden soll. Aus guten Gründen war das Auto lange Zeit ein Symbol für den wirtschaftlichen Auf­ schwung nach den schweren Kriegsjahren, ein Symbol für wiedererlangte Freiheit und Reisen. Mittlerweile haben wir aber fast 49 Millionen Pkw in Deutschland, die Städte stehen im Stau, und einst gesunde länd­ liche Räume sind durch Weg­ sparen der Alternativen vom Auto abhängig geworden. Nicht zuletzt ist es die Abwendung der Klimakrise, die zeigt, dass sich etwas ändern muss. Denn: Die Emissionen im Verkehrs­ sektor steigen, weil die Effekte immer besserer Motorentech­ nik durch die Entwicklung hin zu immer größeren Fahrzeugen förmlich egalisiert werden. Doch wie starten wir nun end­ lich den Wandel? Sind es wirk­ lich nur Angebote, die diesen einleiten – oder brauchen wir ein Umdenken, um Verhalten bei der Mobilität zu ändern? Manchmal sind es ganz einfa­ che Fragen, die gewohnte Ver­ haltensweisen zu reflektieren helfen. In Sachen der Verkehrs­ wende stelle ich gern die Frage: „Willst oder musst du Auto fah­ ren?“ Nicht selten erntet diese Frage ein Stirnrunzeln – dann eine kurze Pause und das Be­ kenntnis: „Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Aber jetzt, wo du mich das fragst: Es stimmt! Ich muss Auto fah­ ren!“ Die Gründe für Automobi­ lität sind vielfältig – und sicher gibt es auch Menschen, die ein­ fach gern Auto fahren. Aber nicht selten ist der Grund für Automobilität das Fehlen von Alternativen, der Wunsch nach Sicherheit für sich selbst oder die Menschen im Auto oder ein Job, der ohne Auto nicht zu er­ reichen wäre. Ist das gut so? Für ein hoch entwickeltes Land wie Deutschland? Oder sollten wir das verändern im Sinne einer guten und vor allem auch klima­ bewusst lebenden Gesellschaft? Beleuchten wir die genannten Beispiele doch einmal genauer. „Ich lebe im ländlichen Raum.“ Diese Aussage hat in den sel­ tensten Fällen statistische Grundlage, es ist meiner Er­ fahrung nach eher die Abwe­ senheit von Alternativen zum Auto, schnellem Internet und guter Nahversorgung. Es gab in Deutschland durch den Pkw, gerade auch in Regionen jenseits der Metropolen, eine Entwicklung, die vom Auto abhängig machte. Buslinien wurden eingespart, allein in den östlichen Bundesländern wurden nach der Wiederver­ einigung 40 Prozent der Schie­ nenstrecken stillgelegt. Dies sind jetzt vor allem die Regio­ nalverbindungen, die uns feh­ len, um auch ohne Auto mobil zu sein. Hinzu kam der Trend, dass viele kleine Bäckereien und Supermärkte, aber auch Ärzt:in­ nen und Freizeiteinrichtungen, auf „die grüne Wiese“ zogen. Das machte die Wege auf dem Land länger. Die Zahl der Wege hat sich nicht geändert, die Län­ ge der Wege zum Job, zu Hob­ bys oder auch anderen Zielen wuchsen jedoch. Weil wir das Auto haben. Ist das gut so? Statistisch erwiesen ist auch, dass unter anderem Frauen und rassistisch diskriminierte Personen lieber mit dem Auto fahren, auch wenn sie die Mög­ lichkeit hätten, den ÖPNV zu nutzen. Der Grund? Sie haben im Pkw ihren eigenen „safe space“, müssen im Dunklen nicht im öffentlichen Raum sein, der ihnen keinen Schutz vor Angriffen bietet. Aber auch Eltern werden mit der Geburt ihrer Kinder nicht selten wieder zu Autofahrer:innen, weil sie den Straßenverkehr als zu ge­ fährlich erachten. Ich glaube, um eine Verkehrs­ wende gut für alle zu gestal­ ten, braucht es weniger der technischen Innovationen – die sind meiner Einschätzung nach alle schon da und müssen nur noch in Details weiter entwi­ ckelt werden. Es geht darum, Mobilität anders, inklusiver und empathischer zu denken. Um das zu können, müssen wir vor allem unsere eigenen „blinden Flecken“ ausleuchten. Denn meine Mobilität, die ei­ ner gesunden weißen Frau, entspricht in gewisser Weise einer deutschen Norm, aber bei Weitem nicht den Bedürf­ nissen anderer Menschen. Ich sehe daher in der Verkehrs­ wende eine tolle Möglichkeit, eine lebenswerte Zukunft für alle mit einem Grundrecht auf Mobilität zu gestalten. Gerne mache ich dies an einem Beispiel deutlich. In Oberbay­ ern – startend in Murnau – ist seit einigen Monaten das Start-up „omobi“ tätig. Bei die­ sem Angebot kommen zwei Kernkompetenzen zusammen: einmal die Verbundenheit der Gründer mit ihrer Region, die zuvor nur ein sehr rudimentä­ res Nahverkehrsangebot hatte, zum anderen die digitale Kom­ petenz des Technikpartners door2door aus Berlin. Das Pro­ dukt? Ein digitaler Rufbus. Be­ stellt per App und auf virtuel­ len Haltepunkten basierend, erfreut er sich seit dem Start hoher Beliebtheit. Er wird ge­ nutzt von Eltern, die für zwei Euro ihre Kinder zur Schule fah­ ren lassen und so Zeit für sich gewinnen, von Senior:innen, die sich lieber fahren lassen wollen als noch selbst zu fah­ ren, und von Tourist:innen, die mit omobi vom regionalen Bahnhof aus zu ihren Zielen fahren und das eigene Auto zu Hause lassen können. Infos unter https://www.omobi.de/ und https://door2door.io/de. Katja Diehl Foto: Colourbox.de 19 > dbb magazin | Juli/August 2021 dbb

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