dbb magazin 7-8/2021
dbb dialog „Wir sind stolz auf das, was un sere Kolleginnen und Kollegen in den letzten 15 Monaten un ter widrigsten Bedingungen geleistet haben. Und doch hat die Corona-Pandemie wie mit einem Brennglas auch die Feh ler offengelegt, die unser Ge meinwesen aufweist“, stellte dbb Chef Ulrich Silberbach im Gespräch mit dem Bundesin nenminister fest. Jetzt müsse man gemeinsam daran arbei ten, die Dinge sowohl für die Beschäftigten als auch für die Bürgerinnen und Bürger besser zu machen. „Wir konnten in der Pandemie feststellen, dass die jungen Menschen wieder mehr Inte resse am Gemeinwohl ent wickelt haben und der sinn stiftenden Tätigkeit für das Gemeinwohl wieder mehr Charme abgewinnen. Das ist nicht mehr die Null-Bock-Ge neration der vergangenen Jah re“, bilanzierte Silberbach ei nen eher positiven Effekt der gesellschaftlichen Ausnahme situation „Zu dieser neuen Achtsamkeit gehört für mich auch, dass in der Pandemie – entgegen aller Querdenker-Ak tivitäten – die Kritik an der zu nehmenden Gewalt gegen die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes viel stärker und lauter geworden ist“, so der dbb Chef weiter. Eine weitere wichtige Erfahrung aus den vergange nen 15 Monaten sei auch der gewachsene Stellenwert, der dem Thema Digitalisierung aktuell beigemessen wird: „Die Politik hat in der Pande mie gemerkt, dass wir hier noch sehr viel besser werden müssen. Das wird Unsummen kosten, aber ich glaube, dass Wirtschaft und Staat stark ge nug sind, den Umbau zu voll ziehen“, zeigte sich der dbb Bundesvorsitzende überzeugt. Die Politik muss sich von ihrer Gestaltungswut verabschieden Immerhin sei die Politik durch die Pandemie in vielen Berei chen agiler geworden: „Sie hat deutlich mehr PS auf die Stra ße gesetzt, aber das reicht noch nicht“, machte Silberbach auch mit Blick auf den Stand der Umsetzung des Online zugangsgesetzes deutlich: „Das sind noch immer nur Mo dellprojekte, von einer flächen deckenden Versorgung sind wir noch weit entfernt“, kriti sierte er und wies auch der Zögerlichkeit des deutschen Verwaltungshandelns eine Teilschuld zu: „Wir starten im mer erst, wenn wir bei 99,9 Prozent sind. In den skandina vischen Ländern, zum Beispiel in Dänemark, starten Digitali sierungsprojekte, wenn sie zu 50 Prozent bereit sind, der Rest wird nach dem Prinzip ‚lear ning by doing‘ vervollständigt.“ Angesichts der rund 400 Geset ze, die in der laufenden Legisla turperiode verabschiedet wur den, sei es vor allemwichtig, Abschied zu nehmen von der herrschenden „überbordenden Ausgestaltungswut der Politik, die jedes Detail regeln möch te“. Auch deshalb sei es eine Überlegung wert, „unsere fö deralen Strukturen an der ei nen oder anderen Stelle neu zu justieren“, so Silberbach. Auf den aktuellen Abschluss des Digital-Tarifvertrags in der Bundesverwaltung müssten nun entsprechende Regeln bei Bund und Ländern folgen, for derte der dbb Bundesvorsit zende. „Wir erwarten, dass Länder und Kommunen dem Vertragswerk beitreten oder in eigener Regie entsprechen de Vereinbarungen aushan deln. Es ist bekannt, dass im öffentlichen Dienst in den nächsten Jahren über 300000 Beschäftigte fehlen werden. Wir brauchen viele neue Leute, da ist eine moderne digitale Arbeitswelt ein gutes Argu ment, wenn es darum geht, die Attraktivität des öffentli chen Dienstes als Arbeitgeber ins rechte Licht zu rücken.“ Mit Blick auf den enormen Personalbedarf des öffentli chen Sektors infolge der de mografischen Entwicklung und den Anspruch, gut genug für die Besten der Besten zu sein, stellte der dbb Bundes vorsitzende erneut klar, dass auch bei der Bezahlung „noch deutlich Luft nach oben ist: Die Beschäftigten des öffentli chen Dienstes stehen täglich für unsere Verfassungswerte ein. Deshalb verdienen sie eine amtsangemessene Alimenta tion und keine Vertröstungen”, so Silberbach. Besonders kri tisch bewertete der dbb Chef die aktuelle Lage in der exeku tiven Verwaltung: Zwar müsse anerkannt werden, dass im Be reich der Sicherheitskräfte ein massiver Personalzuwachs er folgt ist. „Aber im Bereich der Justiz klafft nach wie vor eine gewaltige Personallücke. Unse re Justizkräfte werden ange sichts der Aufgaben, die sie häufig nicht in den vorgegebe nen Fristen erledigen können, demotiviert. “ Am Ende der Diskussion wand te sich Ulrich Silberbach mit zwei Wünschen an den Bun desinnenminister, der nach der Bundestagswahl im Septem ber in den Ruhestand gehen wird: Erstens sollte er seinem Amtsnachfolger oder seiner Amtsnachfolgerin den Akten ordner zur Arbeitszeit der Bun desbeamtinnen und -beamten ganz besonders ans Herz le gen: „Damit wir hier endlich weiter vorkommen.“ Und zwei tens möge er sich auch in den letzten Monaten seiner Amts zeit dafür einsetzen, „dass die Politik – auch im bevorstehen den Wahlkampf – nicht davon ablässt, jegliche Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu geißeln“. Abschlie ßend dankte der dbb Chef dem Bundesinnenminister dafür, „dass Sie immer an unserer Sei te gestanden haben“. cri/iba © Marco Urban (2) 9 dbb > dbb magazin | Juli/August 2021
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