dbb magazin 10/2021

dbb forum personalvertretungsrecht und mitgestaltet werden kön­ nen. Detailliert informierte der Jurist, der bis zu seiner Emeritie­ rung im Jahre 2012 an der Uni­ versität Halle einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deut­ sches und Europäisches Arbeits- und Unternehmensrecht sowie Sozialrecht innehatte, unter an­ derem über die Chancen, die digitalisierte Arbeitsvorgänge etwa Menschen mit Behinde­ rungen durch ihre vielfältigen Assistenzsysteme bieten. Kohte warnte aber auch vor mentaler und körperlicher Überforderung Beschäftigter, wenn Arbeitgeber bei der Ge­ staltung digitalisierter Arbeits­ weisen arbeitspsychologischen und arbeitsmedizinischen Anforderungen und Erkenntnis­ sen kaum oder zu wenig Beach­ tung schenkten. Funktions­ fähiger Arbeitsschutz müsse immer konkret sein und von möglichst vielen Partnern ge­ staltet werden: Nicht nur die Hardware und die Ausstattung erforderten Ergonomie, sondern auch die verwendete Software. Da im Personalvertretungs­ recht planungsbezogene Regelungen fehlten und eine frühzeitige Beteiligung der Per­ sonalvertretungen bei der Ein­ führung grundlegend neuer Arbeitsmethoden mitbestim­ mungsrechtlich nicht vorge­ schrieben sei, verwies Kohte auf Regelungen aus dem Ar­ beits- und Gesundheitsschutz, über die Personalvertretungen mitbestimmend agieren kön­ nen. Gerade bei der Digitalisie­ ring müsse die Beteiligung der Interessenvertretungen bereits im Planungsprozess einsetzen: „Ohne Mitbestimmung ist die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht zu leisten.“ Gebler: Agile Methoden und Mitbestimmung Christine Gebler, selbstständi­ ge Trainerin und Leiterin der Abteilung strategische Perso­ nal- und Organisationsent­ wicklung der Stadt Heidel­ berg, erläuterte, wie sich Personalvertretungen agilem Arbeiten in der Verwaltung annähern und daraus Nutzen für die eigene Arbeit ziehen können. „Nur wer sich dazu verhält, kann mithalten“, betonte Gebler, die selbst mehrere Jahre als Personal­ rätin tätig war. Damit agiles Arbeiten Erfolg versprechend ins Verwaltungs­ handeln integriert werden könne, müssten vor allem die Rahmenbedingungen in den Blick genommen werden. „Wie ist die Belegschaft technisch ausgestattet? Gibt es Experi­ mentierräume und Rückzugs­ orte?“ Für die Personalvertre­ tungen sei es darüber hinaus essenziell wichtig zu hinterfra­ gen, welche Ziele der Arbeit­ geber mit agilem Arbeiten verbinde: „Oft wissen es die Arbeitgeber selbst nicht so genau. Klären Sie das.“ Gebler räumte mit gängigen Mythen über agiles Arbeiten auf. „Agil zu arbeiten bedeu- tet nicht, unstrukturiert und chaotisch zu arbeiten. Im Gegenteil.“ Jedoch stecke im Veränderungsprozess auch Konfliktpotenzial. Hier sei die Personalvertretung gefragt, genau hinzusehen: „Was soll auf struktureller Ebene verän­ dert werden und was heißt das konkret für die Beschäftigten?“ Eindringlich warnte Gebler Per­ sonalvertretungen davor, eine Blockadehaltung einzunehmen. Personalvertreterinnen und -vertreter sollten sich vielmehr zu „Mitwissenden“ machen. Liebel: Beschäftigtenschutz im Auge behalten Thomas Liebel, Vorsitzender des Hauptpersonalrates im Bundesministerium der Finan­ zen (BMF) und stellvertreten­ der Bundesvorsitzender des BDZ Deutsche Zoll- und Finanz­ gewerkschaft, berichtete von seinen Erfahrungen in der Per­ sonalratsarbeit in Zeiten der digitalen Revolution. In der täglichen Arbeit des BMF sei die Digitalisierung von Arbeits­ abläufen heute in vielen Berei­ chen bereits Standard: 52 Mil­ lionen Kfz-Steuerbescheide würden pro Jahr zu 98 Prozent voll automatisiert zugestellt. 251 Millionen Zollabfertigun­ gen liefen ebenso IT-basiert ab wie 145000 Geldwäsche-Ver­ dachtsmeldungen und 56000 Überprüfungen von möglichen Fällen von Schwarzarbeit. Auch sei ein auf künstlicher Intelli­ genz basierender Chatbot für einfache Kundenanfragen er­ folgreich in Betrieb genommen worden. „Trotzdem gibt es auch im BMF bei der Digitali­ sierung noch viel Luft nach oben“, sagte Liebel. Auf sich ändernde Arbeits­ abläufe reagiert habe der Gesetzgeber seit der Jahrtau­ sendwende mit zahlreichen Digitalisierungsprojekten, darunter unter anderem das Bundesprogramm E-Govern­ ment 2.0 von 2006, das Regie­ rungsprogramm Digitale Ver­ waltung 2020 von 2014 und jüngst das Onlinezugangsge­ setz von 2017 sowie die Ein­ führung der E-Akte seit 2020. An vielen Umsetzungsdetails müsse aber weiterhin gefeilt werden, so Liebel: „Mit dem Onlinezugangsgesetz ist näm­ lich eigentlich nicht intendiert, Papieranforderungen zuerst zu digitalisieren, um sie danach in der Dienststelle wieder auszu­ drucken und sie dann analog weiterzubearbeiten, wie es in der Praxis immer noch pas­ siert.“ Für die Arbeit der Perso­ nalvertretungen bedeute Digi­ talisierung neue Möglichkeiten der Mitbestimmung, wie sie sich in der Novelle des Bundes­ personalvertretungsgesetzes manifestierten – von der Mög­ lichkeit digitaler Personalrats­ sitzungen über elektronische Personalversammlungen bis hin zu einem neuen Stellung­ nahmerecht bei ressortüber­ greifenden Digitalisierungsmaß­ nahmen. Anhand Letzterem skizzierte Liebel aber auch dort Potenzial für Verbesserungen, denn das Stellungnahmerecht allein beinhalte noch keine echte Mitbestimmung. dbb jugend: Digitales Arbeiten braucht mehr als nur Technik Wie kann auch in einer digita­ lisierten Arbeitswelt mensch­ liche Nähe bewahrt werden? < Wolfhard Kohte < Christine Gebler < Thomas Liebel 14 dbb > dbb magazin | Oktober 2021

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