dbb magazin 10/2021

< Der Autor. . ist Chef vom Dienst beim Deutschlandfunk in Köln und dort auch mit dem internen Krisenmanagement befasst. MEINUNG die andere meinung Model Foto: Animaflora Pics-Stock/Colourbox.de Versagen in der Krise Resilienz und Überheblichkeit Die Aufräumarbeiten dauern an, und noch Jah­ re werden in Nordrhein-Westfalen und Rhein­ land-Pfalz Spuren der Flutkatastrophe zu sehen sein. Das Haus der Geschichte in Bonn hat be­ gonnen, Gegenstände zu sammeln, die „sinn­ bildlich für das Ereignis und seine Auswirkun­ gen stehen“. Sinnbildlich wie das Versagen in der Krise auf unterschiedlichsten Ebenen? Neben demWiederaufbau müssen wir uns jetzt auf die wesentlichen Dinge konzentrie­ ren. Resilienz lautet das Stich­ wort, das wir uns genauer an­ sehen sollten, weil es gleich mehrere Aspekte auf den Punkt bringt: unsere Krisenfestigkeit insgesamt. Als Gesellschaft, als Kommune, als Individuen. Mit einer technologiehörigen Über­ heblichkeit ignorieren wir Risi­ ken, die uns Wissenschaftlerin­ nen und Experten aufzeigen. Ja, damit ist auch das große Ganze gemeint. Der Klimawandel und dessen Folgen. Von Dürren bis hin zu Fluten, die gleicherma­ ßen unsere Existenz bedrohen können. Aber nicht nur. Auch eine Nummer kleiner dürfen wir gerne denken – und müssen es auch. Prävention ist nicht sexy. Sie kostet Kraft und Geld. Und als politisch Verantwortlicher muss man bei leeren Kassen erklären können, warum die Befestigung des alten Stadt­ deiches mindestens genauso wichtig ist wie der neue Farb­ anstrich der örtlichen Kita. Je länger die letzte Flut ver­ gangen, der letzte Keller aus­ gepumpt ist, desto eher den­ ken und hören wir Sätze wie: „Wird schon nichts passieren.“ Doch das ist der immer gleiche Irrglaube. Bei Politikerinnen wie bei uns Bürgern gleicher­ maßen. Ein fataler, weil tödli­ cher Irrglaube mit den immer gleichen Mechanismen: große Solidarität in der Krise, ein ver­ meintliches Aufwachen der Politik, plötzlich fließen Mittel, doch schon wenig später ver­ schieben sich die Prioritäten wieder. Dann fehlt es auch an Willen und Kraft, wirkliche Reformen anzugehen. Zum Beispiel mit Blick auf die Kri­ senkompetenzen von Bund, Ländern und Gemeinden. War­ nende Stimmen indes werden als Unken zu den übrigen Krö­ ten in den Dorfteich verbannt. Übrigens: So geschehen auch mit der Corona-Pandemie, auf die wir uns ohne Zweifel hät­ ten besser vorbereiten müssen. Denn die Unken in Form von Bundestagsgutachten und Er­ kenntnissen aus Katastrophen­ schutzübungen gab es zuhauf. Jahre zuvor. Ab damit in den Dorfteich. Doch das muss auf­ hören! Das Dilemma von Prä­ vention und Resilienz: Auf alle Eventualitäten können wir uns nicht vorbereiten. Mit dem Of­ fensichtlichen aber müssen wir beginnen. Gut, dass sich das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe nun neu ausrichten darf. Unter ande­ remmit einem „Kompetenz­ zentrum“ und einem zweiten Akademiestandort. Doch alte Zöpfe bloß neu zu knoten und anders zu benennen, greift zu kurz. Vielleicht bedarf es einer Schere für den Zopf – ganz sicher aber bedarf es einer offenen und gesamtgesell­ schaftlichen Debatte über das Krisenmanagement der Zukunft. Und zwar ohne Tabus. Dazu gehört auch die Debatte über die Grundfeste des Bevöl­ kerungsschutzes, einen Staats­ vertrag vielleicht oder gar eine Grundgesetzänderung. Diesen Dialog zu führen, muss Aufga­ be der neuen Bundesregierung sein – gemeinsammit den Ländern, den Gemeinden, den Hilfsorganisationen und schließlich uns Bürgerinnen und Bürgern. Sonst werden wir uns auch künftig wieder die Frage stellen müssen, war­ um ein Landrat oder eine Bür­ germeisterin inmitten einer großen Krise überfordert ist. Denn gut ist auch, dass das Warnsystemmit vielen Millio­ nen Euro verbessert werden soll – unter anderemmit mehr Sirenen und dem „Cell Broad­ cast“. Doch das beste System nützt nichts, wenn die Verant­ wortlichen vor Ort nicht auf den Alarmknopf drücken, weil sie die Lage vielleicht falsch einschätzen: „Wird schon nichts passieren!“ Und für uns zu Hause stellt sich die Frage, wie wir reagie­ ren, wenn die Sirenen heulen und Handys Alarme anzeigen. Selbst wenn Einsatzkräfte nachts um drei an die Tür klop­ fen und zum Verlassen der ei­ genen vier Wände aufrufen; selbst dann gibt es nicht weni­ ge Menschen, die sich weigern und bleiben. Denn die Gefahr ist für sie nicht sichtbar und die Überheblichkeit obsiegt. „Wird schon nichts passieren!“ Oft habe ich in meiner aktiven Zeit im Zivil- und Katastrophen­ schutz solche Diskussionen mit Anwohnern führen müssen. Wissend, dass in wenigen Stun­ den das Wasser meterhoch im Wohnzimmer stehen wird. Damit wären wir bereits mit­ ten im zweiten Aspekt der Re­ silienz; der ganz persönlichen Krisenfestigkeit. Neben der ei­ genen Risikowahrnehmung be­ ginnt sie mit der simplen Frage, wie lange ich mich ohne frem­ de Hilfe, ohne Strom und ohne Trinkwasser aus der Leitung selbst versorgen könnte. Ein, zwei Tage vielleicht? Das reicht nicht! Das hat uns die Flutka­ tastrophe eindeutig gezeigt. Selbst wenn mein Haus noch steht, wird es dauern, bis Hilfe zu mir durchdringen kann und die Infrastruktur wieder funkti­ oniert. In Interviews habe ich am Tag nach der großen Flut Betroffene aus Hagen gehört, die sich darüber beschwerten, dass sie „schon vor über zehn Stunden“ die Feuerwehr geru­ fen hätten, weil ihr Keller voll­ gelaufen sei. Niemand sei ge­ kommen, niemand hätte sich gemeldet. Mich lässt das ehr­ lich gesagt fassungslos zurück. Anderswo bangen in diesem Moment Menschen um ihr Le­ ben, stemmen sich größten­ teils ehrenamtliche Einsatz­ kräfte gegen Dämme und Talsperren, die vor dem Zer­ bersten stehen. Auch das ist Resilienz: die Fähigkeit, die ei­ gene Betroffenheit vor dem Hintergrund des Leides ande­ rer zu sehen. Mario Dobovišek 21 > dbb magazin | Oktober 2021 dbb

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