dbb magazin 11/2021

interview erfahrung sind vielfach ungenutzt geblieben. Das war nicht gut für die Qualität ge­ setzlicher Regelungen. Denn es ist wichtig, dass schon bei der Formulierung von Gesetzen Vollzug und Anwendbarkeit in der Praxis mitgedacht werden. Sonst entstehen Gesetze, die vielleicht politischen und juris­ tischen Ansprüchen genügen mögen, aber deren Praxistaug­ lichkeit und Bürgerorientie­ rung zu oft hinter dem zurück­ bleiben, was heute möglich ist und erwartet wird. Deswegen wäre es sinnvoll, zu­ nächst Eckpunkte für Gesetze zu entwickeln – und zwar ge­ meinsam durch Fachleute in den Ministerien, Praktiker vor Ort, Betroffene und Experten. Wir haben dieses Vorgehen mehrfach in sogenannten „Gesetzgebungslaboren“ er­ probt – mit guten Ergebnissen, sodass solche Formate zum Re­ gelfall werden sollten. Wenn die fachlichen Aspekte klar durchdacht und praxistauglich ausgestaltet sind, dann kann die Überführung in einen Rechtstext erfolgen. Heute läuft es fast immer umgekehrt, mit der Formulierung von Rechtstexten imMittelpunkt. Kein Zweifel: Wir müssen we­ sentlich mehr darauf achten, dass unsere Regelungen nicht nur juristisch korrekt, sondern vor allem anwenderfreundlich und praxistauglich werden. Das fördert nicht zuletzt die Akzeptanz der Regelungen und damit die Rechtstreue. Für die nächste Bundesregierung gibt es hier sehr viel zu tun. Seit geraumer Zeit widmet sich der NKR auch Fragen der Verwaltungsmodernisierung. Im aktuellen Jahresbericht wird betont, dass ohne eine leistungs­ starke Verwaltung dauerhaft kein Staat zu machen ist. Wel­ che Herausforderungen sehen Sie an dieser Stelle und was muss getan werden, um den Staat krisenresilient zu machen? Die Vorschläge des NKR gehen auf die Erfahrungen aus der Flüchtlingskrise zurück, die sich während der Corona-Pandemie größtenteils wiederholt und be­ stätigt haben. Hinzu kommen Erfahrungen aus der notleiden­ den Verwaltungsdigitalisierung. Bei unseren Empfehlungen geht es um einen kontinuierli­ chen Verbesserungsprozess, der auch dann weiterwirkt, wenn Reformbereitschaft und beson­ dere Aufmerksamkeit der Poli­ tik wieder abebben sollte. Im Mittelpunkt steht ein Maßnah­ mendreiklang: verbindliche Au­ dits zur Selbsteinschätzung und Evaluierung behördlicher Leis­ tungsfähigkeit imNormalbe­ trieb. Aber auch Stresstests zur Bestimmung der Handlungsfä­ higkeit von Behörden in einer Last- beziehungsweise Krisen­ situation. Hinzu kommt die Ein­ setzung eines unabhängigen Expertenrats, der Audits und Stresstests begleitet und als kontinuierlicher „Motor“ in Sa­ chen Staats- und Verwaltungs­ modernisierung fungiert. In den vergangenen Jahren ist die Digitalisierung zu einem wesentlichen Schlüssel für den Abbau von Bürokratie und zu­ gleich für die Leistungsfähig­ keit der staatlichen Verwal­ tung geworden. Dennoch verläuft die dafür notwendige Digitalisierung der wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen immer noch viel zu schlep­ pend. Hier muss das Zusam­ menwirken von Bund, Ländern und Kommunen deutlich bes­ ser, schneller und verbindlicher werden. Ansonsten droht hier das endgültige Abrutschen in die zweite oder dritte Liga. Welche Rolle spielt das Perso­ nalmanagement beziehungs­ weise ganz konkret die Perso­ nalauswahl im öffentlichen Dienst dabei? Bekommen wir eine bessere Verwaltung mit dem richtigen Mix aus Profes­ sionen? Und generell einem Mehr an Diversität? Die öffentliche Verwaltung ist traditionell sehr juristisch ge­ prägt. Das ist darauf zurückzu­ führen, dass die Kernaufgabe der Ministerien die Vorberei­ tung von Gesetzen ist. Inzwi­ schen kommen aber neue Aufgaben hinzu – neben der Digitalisierung zum Beispiel auch die Unterstützung nach­ haltiger struktureller Verände­ rungen in Wirtschaft und Ge­ sellschaft. Um diese komplexen Anforderungen zu verstehen und die richtigen Maßnahmen auf den Weg zu bringen, braucht die Verwaltung eine Vielzahl von Experten mit un­ terschiedlichen beruflichen Hin­ tergründen und Fachkenntnis­ sen. Gleiches gilt für das Thema Klimawandel. Um diese Heraus­ forderung zu bestehen, werden Mitarbeiterinnen und Mitarbei­ ter im öffentlichen Dienst aus unterschiedlichsten Disziplinen und mit unterschiedlichen Er­ fahrungen benötigt. Das erfor­ dert eine größere Durchlässig­ keit – innerhalb der Verwaltung ebenso wie zwischen privatem Sektor, Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand. Gerade Großprojekte stehen ja in der Öffentlichkeit immer wieder als zu langwierig und zu teuer in der Kritik. Daran ha­ ben natürlich auch gesetzliche Vorgaben und ausführende Pri­ vatunternehmen ihren Anteil – aber sicherlich auch die zu­ ständigen Behörden. Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um solche Prozesse spürbar zu beschleunigen? Hier stehen wir in der Tat vor einer weiteren zentralen Herausforderung für unser Land. Die Beschleunigung, Straffung und Digitalisierung von Zulassungsverfahren für Infrastrukturmaßnahmen und Großprojekte ist die Grundvor­ aussetzung für wichtige Klima- und Umweltschutzvorhaben – und für zahlreiche andere notwendige Investitionen in unseren Wirtschaftsstandort. Mit dem Bundesverkehrswege­ planungsbeschleunigungsge­ setz von 1991 hat die Politik nach der Wiedervereinigung gezeigt, dass die Dauer dieser Verfahren drastisch verkürzt werden kann, wenn der poli­ tische Wille tatsächlich gege­ ben ist. Der NKR hat im Herbst 2020 Vorschläge für schnellere Pla­ nungs-, Genehmigungs- und Gerichtsverfahren erarbeitet. Dazu gehören etwa der ver­ stärkte Einsatz von Projekt­ managern, um die personellen und fachlichen Ressourcen der Zulassungsbehörden zu unter­ stützen, die Festlegung verbind­ licher Standards imNatur- und Artenschutzrecht bei vollzugs­ relevanten Fragestellungen, die Digitalisierung der Verwal­ tungsverfahren und die Be­ schleunigung der Rechtsschutz­ verfahren. Weitere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Jetzt ist die Politik gefordert! < Der nationale Normenkontrollrat . . (NKR) ist ein unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregie­ rung, das seit 2006 die transparente und nachvollziehbare Darstel­ lung der Bürokratiekosten aus Informationspflichten und seit 2011 die gesamten Folgekosten, den sogenannten Erfüllungsaufwand, in allen Gesetzes- und Verordnungsentwürfen der Bundesregierung prüft. Entscheidungsträger in Regierung und Parlament sollen so Informationen darüber erhalten, welche Kostenfolgen mit ihren Entscheidungen ausgelöst werden. Der NKR arbeitet nach dem Be­ richterstatterprinzip: Jedes Mitglied betreut ein oder mehrere Res­ sorts. In den in der Regel 14-tägig stattfindenden Sitzungen im Bundeskanzleramt werden die Stellungnahmen zu den Regelungs­ vorhaben beschlossen. Alle Beschlüsse sind bisher einstimmig ge­ fasst worden, obwohl einfache Mehrheiten nach dem NKR-Gesetz ausreichen. Über seine Tätigkeit, die Entwicklung der Folgekosten von Gesetzen sowie seine Initiativen für bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau berichtet der NKR jährlich der Bundesregierung und veröffentlicht einen Jahresbericht. Darüber hinaus berät der NKR die Bundesregierung in Sachen „Bessere Rechtsetzung“. 15 dbb > dbb magazin | November 2021

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