dbb magazin 11/2021

jugend tremistischer Entwicklungen auf seinen Berufsalltag. „Ich bin eine Zielscheibe der Gesell­ schaft – positiv wie negativ.“ Zum einen nähmen sich junge Menschen ihn zum Vorbild, wollten wie er auch Polizist werden. „Da diene ich gerne als Berufszielscheibe.“ Doch die Polizei sei heutzutage eben vor allem auch Zielscheibe für den Unmut über die Politik, der sich immer häufiger in Form von Ge­ walt gegen die Beamtinnen und Beamten Bahn breche. „ Weni­ ger Durchsetzungskraft, weni­ ger Personal, weniger Rückhalt von Politik und Gesellschaft – das ist die Formel, die über die Jahre zu einer massiven Zu­ nahme der Gewalt gegen Poli­ zist:innen geführt hat“, ist sich der Beamte sicher. Hinzu kom­ me ein „gewisser Gewöhnungs­ effekt“ auf allen Seiten, der nicht weniger fatal sei. „Wenn ich es nicht mehr für erwäh­ nenswert halte, dass ich im Dienst mit Stühlen beworfen und geschlagen wurde, weil Kolleginnen und Kollegen Stei­ ne abbekommen haben oder überfahren wurden, stimmt et­ was in der Wahrnehmung nicht mehr.“ Man müsse wieder da­ hin kommen, dass jede Beleidi­ gung, jedes Bespucken, jeder Angriff auf öffentlich Bediens­ tete grundsätzlich nicht akzep­ tiert werden dürfe. „Wenn wir unseren Rechtsstaat bewahren wollen, müssen wir die Arbeit der Polizei anerkennen, wert­ schätzen und verteidigen“, forderte der junge Polizist. < Szeneaussteiger: „Ich wollte Nazi sein“ Christian Weißgerber, Jahrgang 1989, gehörte bis 2010 zur Füh­ rung der militanten Neonazi- Splittergruppe der „Autonomen Nationalisten“ in Thüringen. 2010 zog er sich aus der rechten Szene zurück und klärt seit 2012 in Schulen, Universitäten und Veranstaltungen über die extreme Rechte und ihre mode­ rateren Ausläufer auf. Beim Ideencampus erzählte der heu­ tige Kulturwissenschaftler, Au­ tor, Übersetzer und Bildungs­ referent seine Geschichte: „Ich hatte unzählige andere Mög­ lichkeiten, aber ich wollte Nazi sein.“ Weißgerber berichtete von seiner Kindheit in Eisenach, von schwierigen familiären Ver­ hältnissen, stilisierte sich je­ doch nicht als Opfer widriger Lebensumstände und stellte auch klar, dass er nicht von raf­ finierten Funktionären verführt wurde. „Ich fand Nazis, sowohl die historischen als auch die Neonazis, faszinierend und spannend. Auch, dass man sich vor denen gefürchtet hat, gefiel mir“, berichtete Weißgerber. So wurde Weißgerber aktiver Nazi, einer der Wortführer bei den „Autonomen Nationalisten“, kein Mitläufer, sondern ein ak­ tiv Gestaltender. Der Ausstieg aus der rechten Szene kam schleichend – mit vielen Gesprächen mit Anders­ denkenden, denen sich Weiß­ gerber nie verweigert hat, mit einer Verbesserung der finan­ ziellen Verhältnisse. Im Zuge seines Ausstiegs sei ihm auch bewusst geworden, dass „alle Strukturen, die ich aufgebaut habe, alle Menschen, die ich verletzt habe oder denen ich irgendwelches organisatori­ sches Know-how beigebracht habe – dass das alles fortlebt über meine Abwesenheit in der Szene hinaus“. Deshalb müsse er Verantwortung überneh­ men und im Rahmen seiner Möglichkeit gegen diese Struk­ turen vorgehen. „Deswegen mache ich Aufklärungsarbeit, versuche, mit Menschen darü­ ber zu sprechen, wie nationa­ listische und rassistische Politi­ ken funktionieren. “ Mit Blick auf Präventionsmaß­ nahmen gegen Extremismus beschrieb der Kulturwissen­ schaftler, dass man sich vor Au­ gen halten müsse, dass das So­ zialgefüge in der rechten Szene definitiv besser sei als „drau­ ßen in der normalen Gesell­ schaft: Die außenstehende de­ mokratische Gesellschaft hat überzeugten Neonazis nichts anzubieten. Wir brauchen ei­ < Behnam Teimouri-Hashtgerdi < Dr. Danny Michelsen < Christian Weißgerber 29 > dbb magazin | November 2021

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==