dbb magazin 11/2021

senioren Hauptversammlung der dbb bundesseniorenvertretung Transformationsprozesse zwingen zum Handeln Die politischen Erwartungen der dbb Senioren an eine neue Bundes­ regierung und Fragen der Digitalisierung standen imMittelpunkt der Beratungen der Mitglieder der Hauptversammlung der dbb bundes­ seniorenvertretung am 6. Oktober 2021 in Berlin. dbb Senioren-Chef Horst Günther Klitzing kritisierte die untergeordne­ te Rolle spezifischer seniorenpolitischer Themenfelder in den Wahlpro­ grammen der großen demokratischen Parteien, was auch mit Blick auf den zu erwartenden Koalitionsvertrag „keine große Euphorie“ aufkom­ men lasse. Darüber hinaus seien gesellschaftliche Kernthemen wie Rente und Pflege aller erfolgter Reformen zum Trotz bisher nicht kon­ sequent genug zukunftsfähig gemacht worden: „Wenn sich im statio­ nären und ambulanten Bereich in den kommenden Jahren ein Fach­ kräftemangel von bis zu 100000 Stellen abzeichnet, es nach wie vor nicht genügend Pflegeplätze gibt und die Eigenanteile in der Pflege immer weiter ansteigen, hat die neue Bundesregierung vor dem Hin­ tergrund des demografischen Wandels hier ein Aufgabenfeld mit dringendem Handlungsbedarf vor sich“, so Klitzing. Auch mit Blick auf die Rente stehe die neue Bundesregierung vor Herausforderungen: „2025 greifen politisch wichtige Haltelinien. Sie besagen, dass der Rentenbeitrag nicht über 20 Prozent und das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent liegen darf. Wie das in der Praxis sichergestellt werden soll, ist bislang ebenso unklar, wie Detailfragen der Rentenentwicklung Ost offen sind“, so Klitzing. Der Zweite Vorsitzende und Fachvorstand Beamtenpolitik des dbb, Friedhelm Schäfer, unterstrich in seinem Grußwort, dass die Corona- Pandemie den digitalen Transformationsprozess in allen Lebensberei­ chen beschleunigt habe. Bei aller Digitalisierungseuphorie dürfe die Gruppe der Seniorinnen und Senioren dabei aber nicht vergessen wer­ den. Die Politik sei gefordert, flächendeckend verfügbares schnelles Internet, mehr Bildungsangebote für ältere Generationen und einen Zugang zum Internet in jedem Alten- und Pflegeheim für die Bewoh­ nerinnen und Bewohner zu gewährleisten. Mit Blick auf die laufende Regierungsbildung nach der Bundestags­ wahl hob Schäfer hervor, dass Staat und Gesellschaft in einer unruhi­ gen Zeit vor ganz besonderen Herausforderungen stünden, von denen nicht zuletzt die Seniorenpolitik betroffen sei. „Wir werden jedem Ver­ such entgegentreten, Versorgung und Rente, Beihilfe, PKV und gesetz­ liche Krankenversicherung in einen Topf zu werfen.” Karl-Peter Naumann, Ehren­ vorsitzender des Fahrgastver­ bandes PRO BAHN, legte sein Hauptaugenmerk auf das Wohl­ befinden von Bahnkunden. Für ihn hat Bahnfahren im Alter als bequeme Art der Fortbewe­ gung klare Vorteile. Der Faktor, dass man dabei quasi immer in Begleitung ist, ist für Naumann gleich zweifach ideal: „Im Falle eines Sturzes oder eines ande­ ren gesundheitlichen Notfalls ist Hilfe nicht weit. Außerdem bietet es die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen zu un­ terhalten.“ Auch in Sachen Öko­ bilanz und Unterhaltungswert sei Bahnfahren unschlagbar. Naumann kritisierte allerdings die manchmal mangelnde Zu­ verlässigkeit, Pünktlichkeit und Barrierefreiheit von Bahn und ÖPNV. Für Andreas Hein bedeutet Mobilität nicht, sich in der Verkehrsplanung auf ein Ver­ kehrsmittel als Ultima Ratio festzulegen, sondern „die je nach Situation vor Ort best­ passende Verkehrskette kon­ sequent von der technischen Vision in die Praxis zu holen“. Im Idealfall würden Gesell­ schaft, Wissenschaft und In­ dustrie dabei interdisziplinär zusammenarbeiten. Hein kriti­ sierte, dass ein Großteil der For­ schungsbudgets in allen Mobi­ litäts- und Assistenzbereichen derzeit noch zu industrienah ausgelegt sei. „Man muss in der Forschung auch die politi­ sche Frage nach dem stellen, was gewollt ist. Das ist ein Punkt, in dem sich die Bun­ desrepublik noch mehr ihrer gesamtgesellschaftlichen Ver­ antwortung stellen muss.“ Dass Mobilität auch mit poli­ tischer Soziologie zu tun hat, erläuterte Jan Alexandersson anhand der deutschen Praxis, „in einem hochkomplexen poli­ tischen und gesellschaftlichen System ständig alles und jeden einbinden zu wollen. Das ist nicht unbedingt mein Spiel­ platz“, weil es Entscheidungen verkompliziere. Auf der anderen Seite sei es ihm völlig unver­ ständlich, warum ÖPNV-Tickets hierzulande an Ländergrenzen endeten: „Europa wird viel zu sehr von Zuständigkeitswirr­ warr und Kleinstaaterei zerteilt. Dabei müssen wir uns alle an einen Tisch setzen. Ein einmal falsch konzipierter Bahnsteig hat über Dekaden Auswirkun­ gen auf die Barrierefreiheit.“ In seinem Schlusswort unter­ strich der Zweite Vorsitzende der dbb bundesseniorenvertre­ tung, Norbert Lütke, die Not­ wendigkeit eines nutzerfreund­ lichen, an die Bedürfnisse von Menschen mit Einschränkun­ gen angepassten öffentlichen Nah- und Fernverkehrs für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. „Das Projekt ,mobisaar‘ zeigt, wie es gehen kann“, so Lütke. Ebenso müssten For­ schung und Entwicklung inno­ vativer Technologien, die die Beweglichkeit des Einzelnen fördern und erhalten, konse­ quent gefördert werden: „Die Forschung auf diesem Gebiet ist wichtig, und die Entwicklun­ gen werden die Pflege verän­ dern und können möglicher­ weise den Pflegenotstand mindern.“ br/rh/ows < Norbert Lütke < Die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion (von links): Karl-Peter Naumann, Jan Alexandersson, Horst Günther Klitzing , Kuan-wu Lin und Andreas Hein 36 > dbb magazin | November 2021

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