dbb magazin 11/2021

nachrichten Europäischer Tag der pflegenden Angehörigen Lohnersatzleistung für Pflegende muss kommen Die Situation für pflegende Angehörige müsse dringend verbessert werden, fordert dbb Chef Ulrich Silberbach gemeinsammit dbb frauen und dbb Senioren. „In einem sind sich alle Partei­ en einig: Ein ‚Weiter so‘ soll es nicht geben. Das muss auch un­ eingeschränkt für die Weiter­ entwicklung der Pflegeversi­ cherung gelten“, machte Ulrich Silberbach am 6. Oktober 2021, dem Europäischen Tag der pfle­ genden Angehörigen, deutlich. Der scheidenden Regierung at­ testierte Silberbach, eine wich­ tige Chance vertan zu haben. „Anstatt sich die nötige Zeit für eine umfassende Reform der Pflegeversicherung zu nehmen, haben sich die Verantwortli­ chen mit kosmetischer Detail­ arbeit aus der Affäre gezogen. Die künftigen Koalitionspart­ ner haben jetzt die Gelegen­ heit, alles richtig zu machen und endlich diejenigen, die die Hauptlast der Pflege in unserer Gesellschaft tragen, ins Zen­ trum der Aufmerksamkeit zu rücken. Und das sind vor allem Frauen, die ihre Angehörigen privat pflegen.“ Als Mitglied im Beirat zur Ver­ einbarkeit von Pflege und Be­ ruf hatte sich der dbb gemein­ sammit zahlreichen weiteren Verbänden und Interessenver­ tretungen eingebracht und konkrete Vorschläge für eine Lohnersatzleistung im Pflege­ fall vorgelegt. „Neben der Auf­ stockung der Betreuungsplätze in der Kurzzeitpflege muss endlich auch die Lohnersatz­ leistung für Pflegezeiten ein­ geführt werden“, forderte Silberbach. Wer Angehörige pflegt, solle auch in der Alterssicherung bes­ sergestellt werden, fordern die dbb Senioren. „Für viele bedeu­ tet ein Pflegefall in der Familie auch heute noch ein Alter in Ar­ mut. Und das betrifft vor allem Frauen, die mehr als 70 Prozent der Hauptpflegepersonen aus­ machen. Sie stecken beruflich zurück, arbeiten lange in Teilzeit oder geben ihre Jobs sogar ganz auf, um Kinder, Kranke oder Alte zu pflegen. Das dürfen wir als Gesellschaft nicht länger to­ lerieren. Pflegezeiten müssen sich stärker als bisher renten- und versorgungserhöhend aus­ wirken“, erklärte Horst Günther Klitzing, Vorsitzender der dbb Senioren. Die bisherigen Maß­ nahmen zur Abmilderung der Pflegelast reichten bei Weitem nicht aus. „Die Möglichkeit, Ver­ sicherungsbeiträge je nach Pfle­ gegrad an die Rentenversiche­ rung abzuführen, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, kritisierte Klitzing. Vor allem Frauen, die die Haupt­ last der privaten Pflege tragen, kann eine Lohnersatzleistung für Pflegezeiten entlasten, be­ tonten auch die dbb frauen. „Einen Pflegefall kann man nicht planen wie eine Baby­ pause. Man weiß nie, wann es einen trifft und für wie lange die Pflegesituation anhält. Sicher ist nur, wenn es einen trifft, dann muss alles sehr schnell gehen. Eine staatlich ge­ förderte Auszeit in Form einer Lohnersatzleistung nach dem Vorbild des Elterngeldes ver­ schafft Planungssicherheit und schützt viele Pflegende vor dem finanziellen Ruin“, erklärte dbb frauen Chefin Milanie Kreutz. Von der künftigen Regierung forderte Kreutz zudem eine nachhaltige Strategie zur fai­ ren Verteilung der familiären Sorgelasten. „Wir müssen Care-Arbeit entstigmatisieren. Auch für Männer muss es ein­ facher werden, Eltern- und Pflegezeiten in Anspruch zu nehmen und in Teilzeit zu ar­ beiten, wenn Angehörige ihre Unterstützung benötigen. Das kann nur durch einen gesell­ schaftlichen Wandel gelingen.“ Aber auch die Arbeitgebenden dürfen sich ihrer Verantwor­ tung nicht entziehen. „Jeder Arbeitgebende hat es selbst in der Hand und kann für seine Beschäftigten ein familienori­ entiertes Arbeitsklima schaffen – mit guten Arbeitsschutzrege­ lungen, familiengerechten Ent­ wicklungsmöglichkeiten und familienfreundlichen Arbeits­ zeiten. Der öffentliche Dienst muss hier mit gutem Beispiel vorangehen“, forderte Kreutz. < Hintergrund Rund 3,4 Millionen Menschen in Deutschland sind pflege­ bedürftig. Drei Viertel von ih­ nen werden zu Hause versorgt, davon 1,76 Millionen in der Re­ gel allein durch ihre Angehöri­ gen. Derzeit gehen Berechnun­ gen von etwa 4,8 Millionen pflegenden Angehörigen aus. Davon sind rund 2,5 Millionen Menschen erwerbstätig. Sie müssen Pflege und Beruf gleichzeitig schultern. Mehr als 70 Prozent der Hauptpfle­ gepersonen sind Frauen, die sich oft auch parallel um die Kinderbetreuung kümmern. Pflegende Angehörige sind damit die größte Pflegesäule in Deutschland. Model Fotos: Colourbox.de 6 dbb > dbb magazin | November 2021

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