dbb magazin 12/2021

lehnte Schäfer ab: „Ein solches Verfahren ist mit der Dienst­ unfallfürsorge des Beamtenrechts systematisch und sachlich unvereinbar.“ „Bei den Versicherten der gesetzlichen Unfallversicherung wird unterschieden zwischen Wegeunfall, Arbeitsunfall und Berufs­ krankheit. Der Unterschied zwischen einem Arbeitsunfall und ei­ ner Berufskrankheit bestimmt sich durch Dauer und Einwirkung. Als Berufskrankheit wird nur anerkannt, wenn die Erkrankung auf der Liste der Berufskrankheiten steht, die den Unfallversiche­ rungsträgern ermöglicht, die Einzelfallprüfung durchzuführen“, erläuterte Fred-Dieter Zagrodnik von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (DGUV) die Regeln, nach denen bei nicht beamteten Beschäftigten verfahren wird. Infektionsgeschehen seien anerkennungsfähig, wenn neben dem massenhaften Auftreten von Infektionen auch Krankheiten ein­ träten. „Wenn aber – wie bei den Vorfällen in der fleischverarbei­ tenden Industrie zu Beginn der Corona-Pandemie – massenhaft Erkrankungen auftreten, wird dies nicht automatisch als Arbeits­ unfall oder sogar als Berufskrankheit anerkannt.“ Das liege daran, dass die fleischverarbeitende Industrie nicht zu den sogenannten privilegierten Berufsgruppen zählt, die für die „Berufskrankheit 3101“, die durch Infektionen hervorgerufen wird, gehöre. „Die Be­ rufskrankheit 3101 gilt für Beschäftigte im Gesundheitsdienst, in Laboratorien, Laboren und vergleichbaren Tätigkeitsbereichen“, erläuterte der Referatsleiter Berufskrankheiten in der DGUV- Hauptabteilung Versicherung und Leistungen. Mit Blick auf die COVID-19-Infektionen in der fleischverarbeiten­ den Industrie, die letztlich auch durch die dort herrschenden Ar­ beitsbedingungen begünstigt worden seien, räumte Zagrodnik ein, dass die Unfallversicherer in den vergangenen anderthalb Jahren weitere Bereiche im Fokus hatten, von denen sie annah­ men, dass es dort zu hohen COVID-Ausbruchzahlen kommen wird, etwa bei den Kassiererinnen und Kassierern sowie beim Personal im öffentlichen Personennahverkehr: „Dort hat der Arbeitsschutz schnell reagiert und durch die Anordnung von Schutzvorrichtungen Schlimmeres verhindert.“ Die Anerkennung als Arbeitsunfall sei in der Unfallversicherung grundsätzlich möglich, wenn das Infektionsgeschehen erheblich ist. Im privilegierten Bereich der auf 3101 gelisteten Bereiche sei auch eine Anerkennung als Berufskrankheit möglich: „Ausschlag­ gebend ist, dass die Infektion bei versicherter Tätigkeit erfolgt ist. Außerdemmuss die Indexperson benannt werden können“, sagte Zagrodnik, der in der gesetzlichen Unfallversicherung keinen Er­ weiterungsbedarf der Regelungen sieht. Mit Blick auf die andau­ ernde Pandemie schätzt Zagrodnik jedoch, dass auch die GUV in diesemWinter noch reichlich Gelegenheit bekommen wird, ihre Regelwerke auf den Prüfstand zu stellen. „Die GUV wird von einem Gremium aus Medizinern und anderen Experten beraten, die je­ weils schauen, ob bestimmte Einwirkungen im Beruf zu Erkrankun­ gen führen können. Es würde mich sehr wundern, wenn COVID-19 auf lange Sicht weiter nur als allgemeine Infektionskrankheit ein­ gestuft wird.“ Als „Casus knacksus“ bezeichnete Regierungsdirekor Eike Ziekow von der Hochschule des Bundes die Nachweisbarkeit eines Dienstunfalls im Beamtenrecht, wie er in den Beamtengesetzen definiert sei. „Das Unfallereignis muss zeitlich und örtlich ein­ grenzbar sein. Wenn sich ein Polizist im Einsatz den Knöchel bricht, ist der Nachweis in aller Regel kein Problem. Bei einer Co­ rona-Infektion ist das wesentlich schwieriger, weil die Kollegin­ nen und Kollegen oft eben nicht eingrenzen können, ob sie sich zum Beispiel im Dienst auf einer bestimmten Demonstration an­ gesteckt haben oder nicht.“ Auf jeden Fall müsse der Nachweis erbracht werden, dass sich eine Corona-Infektion in Ausübung des Dienstes ereignet hat. Einerseits lasse sich das bei einer pan­ demischen Infektion nicht wirklich eingrenzen, andererseits liege die Beweispflicht immer bei der betroffenen Beamtin oder beim betroffenen Beamten. Klarer sei der Fall zum Beispiel bei Teilneh­ menden eines Lehrganges gewesen, in dessen Rahmen es zu ei­ nem Corona-Ausbruch gekommen sei. Ähnlich verhalte es sich auch bei Lehrkräften, wenn die Infektion zum Beispiel auf einer Klassenfahrt erfolgt sei. Aufgrund der Komplexität des Beamtenrechtes in Sachen Dienst­ unfall erreichten die Experten der Online-Diskussion zahlreiche Fragen aus dem Livechat, beispielsweise die einer Justizwacht­ meisterin, die sich im Dienst mit Corona infiziert hatte. Auch hier, so Ziekow, sollte die Beweisführung kein Problem darstellen: „Wenn zum Beispiel Kolleginnen und Kollegen oder Strafgefan­ gene im gleichen Zeitraum ebenfalls infiziert waren, greift die ,normale‘ gesetzliche Regelung, weil die Infektion auf einen ab­ gegrenzten Personenkreis zurückzuführen ist.“ Das konkrete Vorgehen in einem solchen Fall sei die fristgerechte Anzeige des Dienstunfalls beim Dienstherrn, der Nachweis der Erkrankung und die örtliche und zeitliche Zuordnung der Infektion auf die JVA sowie der Nachweis einer Einwirkung von außen in Form der Tröpfcheninfektion. Zudem könnten durchaus auch andere Berufe des öffentlichen Dienstes zu den besonders infektionsgefährdeten Gruppen ge­ zählt werden, wenn sie zum Beispiel die Abstand-Hygiene-All­ tagsmaske-(AHA-)Regeln einsatzbedingt nicht oder nur teilweise einhalten könnten, wie Feuerwehrleute oder Rettungssanitäter. „Es gibt derzeit allerdings keine Regelung, nach der bestimmte Personenkreise eine Beweiserleichterung erhalten. Die Auslegung ist relativ eng, damit der bestehende gesetzliche Rahmen nicht ausgehebelt wird.“ Zudem würde die Beweisführung schwierig, wenn Hygieneregeln fahrlässig missachtet worden seien, „aber der Dienstherr führt sicher kein Händewaschprotokoll“. bas, br, cri „Es gibt derzeit keine Regelung, nach der bestimmte Personenkreise eine Beweiserleichterung erhalten.“ Eike Ziekow „Der Arbeitsschutz hat schnell reagiert und Schlimmeres verhindert.“ Fred-Dieter Zagrodnik AKTUELL 13 dbb magazin | Dezember 2021

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