dbb magazin 1-2/2022

geführt werden in Staaten wie Libyen, dass es Abschiebehaft gibt und dass die europäischen Regierungen das alles finanzieren und unterstützen. Die EU trägt die Verantwortung, wenn Menschenrechte an ihren Außengrenzen mit Füßen getreten werden und die Grenzpolitik einfach in Form von Pushbacks an die Außengrenzen Libyens oder Afghanistans ausgelagert wird. Das ist unwürdig.“ Parvanta forderte, mehr finanzielle Ressourcen in die Integration geflüchteter Menschen und die psychosoziale Betreuung durch Gewalt und Flucht traumatisierter Menschen zu investieren. Persönlich habe sie als Flüchtlingskind aus Afghanistan schlicht „Glück gehabt, an Grenzpolizisten vorbeigefahren zu sein, die unser Auto nicht angehalten haben. Außerdem habe ich das Asylverfahren sehr jung im Schulalter durchlaufen. Auch das war Glück.“ Die EU brauche eine geordnete Migrationspolitik, die auch Menschen, die aus wirtschaftlichen Interessen nach Europa oder nach Deutschland kommen, eine faire Integrationschance biete. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen betonte, dass das Recht auf Asyl nicht vermischt werden dürfe mit anderen Intentionen für Migration – „das Asylsystem ist kein Migrationssystem“. Bei der Gewährleistung und der Umsetzung des Asylrechts kämen Deutschland und EU ihren verfassungs- und völkerrechtlichen Verpflichtungen nach. „Diesen Schutz gewähren wir auf jeden Fall“, so Stübgen, „aber wenn Menschen den Wunsch haben, in einem Land wie Deutschland zu leben, fällt das nicht in den Bereich Asyl.“ Für diese Menschen müsse man zu einer geordneten Migrationspolitik kommen, die mit der Möglichkeit des sogenannten „kleinen Spurwechsels“ bereits in Ansätzen in sinnhafter Verbindung mit dem Asylrecht über Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung praktiziert werden könne. Brandenburg praktiziert laut Stübgen bereits aktive Fachkräftezuwanderung und konnte so allein im vergangenen Jahr rund 2000 Menschen aus dem Ausland für den heimischen Arbeitsmarkt gewinnen. Der Minister betonte, dass man in Deutschland und Europa, neben eines über das Dublin-II-Abkommen hinausgehenden Verteilungssystems von Geflüchteten, auch zu einer besser geordneten und effektiveren Rückführung von abgelehnten Asylbeantragenden kommen müsse. „Die Rückführung von ausreisepflichtigen Asylbewerbenden funktioniert deshalb nicht, weil die eigentlich rücknahmepflichtigen Herkunftsländer blockieren. In dieser Frage müssen wir mehr Klarheit schaffen.“ dbb Chef Ulrich Silberbach betonte in einem abschließenden Statement, dass irreguläre Migration zu verhindern und reguläre Migration zu ermöglichen, zwei Seiten ein und derselben Medaille seien. „Wir wissen, dass wir vor dem Hintergrund der Alterung unserer Gesellschaft dringend reguläre Migration brauchen – für unseren Arbeitsmarkt, aber auch für die Stabilität unserer sozialen Sicherungssysteme. Wir wissen aber auch, dass irreguläre Migration unsere Gesellschaft überfordern kann. Das gilt auch für den Staat und seinen öffentlichen Dienst, die wie viele unserer Kolleginnen und Kollegen bei Fragen der Migration, regulärer wie irregulärer, stark gefordert sind.“ Silberbach hielt fest, dass die personelle und sachliche Ausstattung der Behörden auch in Sachen Migration unvorhergesehenen Lagen standhalten müsse. Dies sei jedoch derzeit nicht der Fall, im europäischen und im internationalen Vergleich etwa der OECD-Länder gebe Deutschland mitunter am wenigsten für seinen öffentlichen Dienst aus und stehe auch beim Anteil der öffentlich Beschäftigten weit hinten. „Wir brauchen genug Polizei und Justiz, aber auch die Ressourcen in unserer allgemeinen Verwaltung, der Sozialverwaltung und an unseren Schulen, um eine gelingende Aufnahme und perspektivisch die Integration der Menschen sicherzustellen, die langfristig oder dauerhaft in Deutschland eine neue Heimat finden.“ Der dbb Bundesvorsitzende sprach sich für eine stärkere europäische Außen- und Sicherheitspolitik und mehr Kooperation in der Flüchtlingspolitik aus. „Um Menschen Schutz vor Flucht und Verfolgung bieten zu können, müssen wir diejenigen, die keinen Bleibegrund haben, auch in ihre Herkunftsländer zurückführen. Der Schutz der europäischen Außengrenzen ist dabei von zentraler Bedeutung. Die unverzichtbare Arbeit, die unsere Bundespolizei, Frontex und unsere europäischen Kolleginnen und Kollegen hier leisten, ist Voraussetzung für Sicherheit und jede Art von regulärer Migration“, betonte Silberbach. Unkontrollierte Zuwanderung gelte es zu verhindern, gleichwohl dürfe Europa nicht zu einer Festung werden oder erlauben, „dass menschenverachtende diktatorische Regime am Rande Europas uns erpressen und die legitimen Hoffnungen von Menschen auf ein besseres Leben ausnutzen, um unsere Gesellschaften in Europa zu destabilisieren“. Wichtig sei insbesondere auch, „dass wir unsere humanitären Anstrengungen in den Herkunftsländern vervielfachen“, so Silberbach. br/iba „Wir brauchen genug Polizei und Justiz, aber auch die Ressourcen in unserer allgemeinen Verwaltung, der Sozialverwaltung und an unseren Schulen, um eine gelingende Aufnahme und perspektivisch die Integration der Menschen sicherzustellen, die langfristig oder dauerhaft in Deutschland eine neue Heimat finden.“ Ulrich Silberbach Die Frage, wie mit dem Zustrom von Flüchtlingen nach Europa umgegangen werden soll, beantworteten 46 Prozent der Teilnehmenden an einer vom dbb in Auftrag gegebenen forsa-Umfrage mit „Sicherung der EU-Grenzen und Kontrollen“. 40 Prozent würden die Flüchtlinge zunächst nach Europa kommen lassen und dann verteilen. Lediglich sechs Prozent der Befragten sprachen sich für eine Sicherung und Kontrolle der deutschen Grenzen aus. Kein Votum für Kontrolle der Binnengrenzen 16 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2022

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