dbb magazin 1-2/2022

Verwaltungsdigitalisierung Rettende Inseln gesucht Am schönsten klingt das Thema Digitalisierung immer in den Koalitionsverträgen. Lesen Sie selbst: „Wir wollen unser Land in allen Bereichen zu einem starken Digitalland entwickeln“, haben sich die Koalitionäre selbst verordnet und formulieren anspruchsvolle Ziele. Angestrebt wird „eine flächendeckende digitale Infrastruktur von Weltklasse, die Vermittlung von digitalen Fähigkeiten als Schlüsselkompetenz für alle Altersgruppen, eine Arbeitswelt, die Menschen im digitalen Wandel befähigt, sichert und mehr Lebensqualität ermöglicht, eine Regulierung, die Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit schafft, mehr Sicherheit im Cyberraum“ und natürlich „mehr Bürgernähe durch eine moderne, digitale Verwaltung“. Wundervolle Pläne. Sie wurden allerdings nicht ansatzweise verwirklicht. Das alles stammt nämlich nicht aus dem Koalitionsvertrag der Ampelkoalition von 2021, sondern bereits aus dem vorangegangenen, dem der Großen Koalition. Die meisten versprochenen Ziele warten auch eine Bundestagswahl später noch auf ihre Verwirklichung. Papier – oder auch ein PDF – ist eben geduldig. Der Bundesvorsitzende des Beamtenbundes dbb, Ulrich Silberbach, ist es nicht mehr. Auf der dbb Jahrestagung im Januar machte er seinem Unmut so deutlich Luft, dass er es mit diesem Zitat in die Nachrichtensendungen zur besten Sendezeit schaffte: Ein Kindergeburtstag sei in Deutschland besser organisiert als das Krisenmanagement während der Pandemie. Wie zum Beweis für diese These war vom neuen Jahr bereits eine gute Woche vorbei, ein Überblick über die Verbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus fehlte aber noch immer. Es haperte am Testen und vor allem an der Datenübermittlung. Die Bundesrepublik Deutschland war auch 2021 noch immer das Land der Funklöcher und Faxgeräte. Das betrifft vor allem die staatliche Verwaltung. Mitarbeiterschwund aufgrund jahrelanger Sparrunden, mangelnde technische Ausstattung und ein veralteter Workflow, der keinen Ausweg aus der Situation bietet – das ist die Lage vieler Behörden im 21. Jahrhundert. Die Pandemie und ihre Anforderungen an die staatliche Bürokratie zeigten die Misere wie im Brennglas. So war die Verwaltung bei den Coronahilfen vielfach nicht agil genug, um die Milliarden schnell an die Firmen auszuzahlen – zumal sich bei den Hilfspaketen immer mal wieder etwas an den staatlichen Vorgaben und damit auch an der Antragspraxis änderte. Entsprechend schwierig war es für viele betroffene Firmen, sich ihre Coronahilfen zu organisieren. Die sogenannten Novemberhilfen im Jahr 2020 etwa wurden erst ab Januar ausgezahlt – schuld waren Probleme mit der Software und vor allem die Tatsache, dass die Verwaltung nicht schnell genug auf die Umstellung reagieren konnte. Der Ärger über die lahme Verwaltung war programmiert. Doch wer schafft es schon, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen? Diese Kunst müssten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des öffentlichen Dienstes beherrschen, wenn wirklich sie es sein sollten, die die missliche Situation lösen. Die Bediensteten, so scheint es oft, sind auf eine andere Weise nützlich beim Thema Digitalisierung: als Sündenböcke für die Verschleppung der Modernisierung. Die Deutschen seien halt ungern zu Veränderungen bereit, heißt es dann gerne. Dabei waren es nicht die Bediensteten, die sich weigerten, im Homeoffice zu arbeiten. Viele Behörden waren im ersten Lockdown der Coronapandemie lahmgelegt, weil es hier schon an den nicht vorhandenen Laptops scheiterte. Die meisten Lehrer etwa nutzten für den Distanzunterricht im Lockdown ihre privaten Computer. Nicht nur in Berlin gab es dann sofort noch weitere Probleme: Die Landesdatenschutzbeauftragte wollte den Schulen untersagen, Programme wie Zoom oder Teams zu benutzen – aus Gründen des Datenschutzes. Diese Episode zeigt, woran es unter anderem krankt, dass gerade in Behörden und der staatlichen Verwaltung die Digitalisierung so schleppend vorangeht: Einfach mal anfangen ist verboten. Es muss alles bereits perfekt aufgesetzt sein, jegliche Fehlerquellen bereits ausgemerzt. Wenn staatliche Stellen handeln sollen wie ein Start-up, dann müssen sie auch die entsprechenden Freiheiten dazu bekommen. Mit Verordnungen von oben wird das aber eher nichts werden. Die Ampelkoalition und die Länderregierungen müssen in den Behörden Inseln der Innovation organisieren. Und hoffen, dass der Funke überspringt. Christine Dankbar ... Christine Dankbar ist Ressortleiterin Politik und Gesellschaft bei der Berliner Zeitung. Die Autorin ... MEINUNG „Die Bediensteten, so scheint es oft, sind auf eine andere Weise nützlich beim Thema Digitalisierung: als Sündenböcke für die Verschleppung der Modernisierung.“ Foto: Colourbox.de 24 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2022

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