Deutschland, Frankreich & Europa Zusammenarbeit begünstigt das Entstehen einer gemeinsamen Verwaltungskultur in Europa Sabine Thillaye ist Deutsche von Geburt, Französin von Herzen und Europäerin aus Überzeugung. Sie hat einen deutschen und einen französischen Pass, ist Abgeordnete der Assemblée nationale und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung, die deutschen und französischen Abgeordneten den Rahmen für regelmäßige Konsultationen bietet. Ein Gespräch über deutsch-französische Politik, die aktuelle französische Ratpräsidentschaft und europäische Herausforderungen. Sie haben als Französin, französische Politikerin, deutsche Wurzeln. Prägt dies Ihre Politik? Meine doppelte Staatsangehörigkeit und meine deutschen Wurzeln haben natürlich eine Auswirkung auf mein Politikverständnis. Ich sage sehr oft, dass ich als „deutsches Originalprodukt“ in Remscheid geboren, seit 38 Jahren in Frankreich lebend, beide Kulturen, die deutsche wie die französische, verinnerlicht habe. Dieses interkulturelle Verständnis erlaubt es mir, Problemstellungen aus einer deutsch-französischen Perspektive zu betrachten. Welche europapolitischen Erwartungen hat Frankreich, haben Sie persönlich an Berlin? Seit Beginn seines Amtes als Präsident hat sich Emmanuel Macron für eine Neuausrichtung der EU engagiert und ein starkes, ehrgeiziges Programm in seiner Grundsatzrede der Sorbonne vorgestellt. Einige Vorschläge sind schon konkretisiert worden wie zum Beispiel die des „Collège du renseignement en Europe“ oder die Stärkung des europäischen Zivilschutzmechanismus. Es besteht jedoch viel Handlungsbedarf, um der europäischen Union das „notwendige Handwerkszeug“ zu geben, um auf die großen Herausforderungen der Zukunft entsprechend reagieren zu können. Klimapolitik, vor allem die Energiewende, Digitalisierung, Verteidigung und Sicherheit, Wettbewerb, Handelspolitik ... Europa muss sich zum Teil neu aufstellen, um sich auf internationaler Ebene behaupten zu können. Umso wichtiger ist das Zusammenspiel der deutsch-französischen Regierungen, aber nicht ausschließlich, die europäische Union braucht alle Partner. Die im Koalitionsvertrag festgelegte Europaausrichtung der neuen Ampelkoalition ist auf französischer Seite sehr positiv aufgenommen worden und bietet eine gute Arbeitsgrundlage. Inwieweit beeinflussen die französischen Präsidentschaftswahlen den Ratsvorsitz? Kommt der Vorsitz nicht zur Unzeit? Die Präsidentschaftswahlen haben natürlich einen Einfluss auf den französischen Ratsvorsitz, da der Beginn des Wahlkampfes auf den 23. März fällt, der Vorsitz aber in den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2022. Man sollte den Ratsvorsitz allerdings auch nicht überbewerten, da er eine neutrale Stellung verlangt, um zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten Kompromisslösungen auszuhandeln, die vorliegenden Gesetzesinitiativen Gestalt verleihen. Der Rat der Europäischen Union ist neben dem Europäischen Parlament Mitgesetzgeber. Der Ratsvorsitz ist allerdings auch eine besondere Gelegenheit, um gerade imWahlkampf europapolitische Themen in das öffentliche Blickfeld zu lenken und Impulse zu geben. Was sind die wichtigsten Themen des französischen Ratsvorsitzes? Die offiziellen Themen, die den französischen Ratsvorsitz prägen werden, sind erst letzte Woche vorgestellt worden, um die Arbeit der slowenischen Präsidentschaft nicht zu beeinflussen. Am 19. Januar 2022 präsentierte Emmanuel Macron sie persönlich in einer Rede vor den Mitgliedern des Europäischen Parlaments. Das Thema Wiederaufbauplan sowie die Bewältigung der Coronapandemie werden uns leider weiterhin gemeinsam beschäftigen. Auf der legislativen Agenda stehen das Paket Fit for 55, der Digital Service Act, Digital Market Act und im sozialen Bereich ein europäischer Mindestlohn als Prioritäten. Strategische, politische Impulse sollen im Bereich der Verteidigungspolitik mit den ersten Resultaten zum strategischen Kompass erfolgen. Die Sicherung der EU-Außengrenzen sowie Fortschritte im Bereich Asyl und Migration sind weitere Themen. Welche Rolle spielen öffentliche Dienste, spielt die nationale Verwaltung mit Blick auf die gemeinsamen europäischen Herausforderungen? Die Europäische Union nimmt einen immer größer werdenden Stellenwert bei der Arbeit der nationalen Verwaltungen ein. Viele nationale Bedienstete sind direkt oder indirekt in europäische Entscheidungsprozesse involviert. Durch ihre täglichen Dienstgeschäfte sind nationale Verwaltungen Akteure der EU. 30 INTERN dbb magazin | Januar/Februar 2022 EUROPA
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==